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Das Bundesinnenministerium unter Leitung von Nancy Faeser (SPD) hat einen Vorschlag gemacht, wie Angehörige krimineller Clans oder anderer Gruppierungen der Organisierten Kriminalität in Zukunft leichter abgeschoben werden könnten. Eine vergleichbare Regelung gibt es bereits für Mitglieder terroristischer Vereinigungen.
Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Maximilian Kall, betonte allerdings am Montag in Berlin, einen konkreten Gesetzentwurf gebe es noch nicht. Der Vorschlag sei vielmehr Teil eines "Diskussionspapiers", zu dem es einen "laufenden Abstimmungsprozess mit den Ländern und Kommunen" gebe. Dennoch hat Faesers Vorstoß viele Reaktionen hervorgerufen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Was steht in dem "Diskussionspapier" zur Clan-Kriminalität?
Nach Angaben des Sprechers, wäre – sollte der Vorschlag umgesetzt werden – für eine erleichterte Abschiebung nicht mehr zwingend eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung notwendig. Vielmehr wäre es dann so, "dass eine Ausweisung möglich sein soll, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass jemand Teil einer kriminellen Vereinigung war oder ist".
Mit Blick auf kriminelle Clans sagte er, dass bei jedem einzelnen Familienmitglied, das entsprechend der neuen Regelung abgeschoben würde, ein Bezug zu kriminellen Aktivitäten vorhanden sein müsste. Er betonte: "Eine Familienzugehörigkeit ist keine kriminelle Aktivität". Damit widerspricht er der Berichterstattung, dass auch unbescholtene Familienmitglieder von Clan-Kriminellen abgeschoben werden könnten.
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums teilte auf Anfrage mit, die vorgeschlagene Regelung entspreche dem Wunsch einiger Länder und kommunaler Spitzenverbände. Einschränkend sagte sie: "Ob eine solche Regelung indes verhältnismäßig ist und das Regelungsziel ohne ungewollte Nebenfolgen erreicht werden kann, soll nun noch einmal eingehend mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden erörtert werden." Sprich: Entschieden ist das ganze Thema noch lange nicht.
Wie ist die aktuelle Gesetzeslage?
Bislang existiert eine ähnlich pauschalisierende Regelung im Ausländerrecht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge nur für den Bereich der Terrorismusbekämpfung. Die treffe zum Beispiel Ausländer, die einem Moscheeverein angehören, der an eine terroristische Gruppe gespendet hat. Sie sind demnach selbst dann auszuweisen, wenn sie nicht selbst gegen Gesetze verstoßen haben.
Wie fallen die Reaktionen auf den Vorschlag aus?
Die Grünen meldeten Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit an: Es sei "klar, dass außerhalb des Rechtsstaats stehende Regelungen für uns Grüne niemals zur Debatte stehen", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, den RND-Zeitungen vom Dienstag. Das gelte auch für Maßnahmen, mit denen nicht strafrechtlich verurteilte Verwandte von Kriminellen genauso behandelt würden wie Kriminelle. Die Partei will also nur tatsächlich Verurteilte leichter abschieben lassen.
"Die Koalition hat vereinbart, die Abschiebepraxis zu reformieren und zu effektivieren", sagte Mihalic. "Dazu erwarten wir von der verantwortlichen Innenministerin konkrete, belastbare Vorschläge", fügte sie in Richtung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hinzu.
Auch Rechtsexperten äußerten sich skeptisch. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Innenministerium ernsthaft erwogen wird, dass Menschen allein wegen ihrer Mitgliedschaft zu einer Familie ausgewiesen werden", sagte der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis dem "Tagesspiegel", ließ dabei jedoch außer Acht, dass es dem Sprecher des Innenministeriums ausdrücklich nicht um die Zugehörigkeit zu einer Familie, sondern zu einer kriminellen Vereinigung gehen solle. Ausweisungen müssten als Eingriff in Grundrechte "immer im Einzelfall gerechtfertigt sein", so Battis. Der Asylrechtsexperte Daniel Thym von der Universität Konstanz sagte der Zeitung, die Vorschläge grenzten an eine "Geisterdiskussion". Selbst wenn die Behörden zu dem Schluss kämen, dass ein Grund für eine Ausweisung vorliege, stünde den Betroffenen immer noch der Klageweg offen. Aus der CDU hingegen kamen Zweifel daran, dass der Vorschlag auch durchgesetzt wird.

Wie groß ist das Problem Clan-Kriminalität überhaupt?
Das "Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2021" definiert Clan so: "Ein Clan ist eine informelle soziale Organisation, die durch ein gemeinsames Abstammungsverständnis ihrer Angehörigen bestimmt ist. Sie zeichnet sich insbesondere durch eine hierarchische Struktur, ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl und ein gemeinsames Normen- und Werteverständnis aus." Die größte Gruppe der Tatverdächtigen (338) in Sachen Clankriminalität hatte 2021 die deutsche Staatsbürgerschaft. Diese können also gar nicht abgeschoben werden. Danach folgten 187 Tatverdächtige mit libanesischer Staatsangehörigkeit, 159 mit türkischer Staatsangehörigkeit, bei 65 Tatverdächtigen ist die Staatsangehörigkeit ungeklärt, was eine Abschiebung ebenfalls verhindert. 37 Tatverdächtige hatten die syrische Staatsangehörigkeit, 22 die albanische. Insgesamt zählt die Clankriminalität-Statistik 930 Tatverdächtige für das Jahr 2021.
Was steckt hinter dem Vorstoß von Nancy Faeser?
Die "Taz" hat eine Vermutung: Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist im Wahlkampf um das Amt der hessischen Ministerpräsidentin. Dadurch, dass sie das Missverständnis, unbescholtene Familienangehörige von Clankriminellen abzuschieben, nicht richtigstellt, bekommt sie laut "Taz" ein "skupelloses Haudrauf-Image geschenkt".
Weitere Quellen:"Diskussionspapier auf bmi.de, Kommentar auf "Taz.de", "sueddeutsche.de", "Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2021" (PDF) auf bka.de,