"Aufbruch und Geschlossenheit" - das sollten nach dem Willen von Parteichef Edmund Stoiber die Signale des CSU-Parteitags sein. Doch am Ende der zweitägigen Heerschau in der neuen Münchner Messe herrschte am Samstag bei führenden Christsozialen vor allem Ungewissheit über die Zukunft von Parteivize Horst Seehofer. Der 55-jährige Oberbayer, der in den vergangenen Wochen und Monaten den Nervenkrieg mit der Schwesterpartei CDU um die Gesundheitspolitik kräftig geschürt hat, will seinen Konfliktkurs offenbar allen Friedensappellen zum Trotz weiterfahren. Der gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU/CSU steht eine spannende Woche ins Haus.
Schlagabtausch in letzter Minute abgewendet
Zwar hatte Stoiber einen Schlagabtausch auf offener Bühne durch eine Vereinbarung mit Seehofer praktisch in letzter Minute abgewendet. Der bei der Basis als "Robin Hood der CSU" beliebte Sozialexperte verzichtete daraufhin auf einen publikumswirksamen Auftritt vor dem Parteivolk. Aber mit dem Pakt vom Donnerstag fangen die Probleme eigentlich erst so recht an.
Stoiber hatte Seehofer zugesagt, dass er trotz seiner massiven Kritik am Gesundheitskompromiss mit der CDU seine Ämter als Vize sowohl in der CSU wie auch in der gemeinsamen Bundestagsfraktion behalten darf. Nur die Zuständigkeit für die Gesundheitspolitik sollte Seehofer abgeben - und allen kritischen Äußerungen zu dem heiklen Thema abschwören.
Genau das aber gedenkt der selbstbewusste Parteivize wohl kaum zu machen. "Ich werde nie in der Politik Mitglied des Nickerclubs werden", tat er unmittelbar nach Abschluss des Friedensvertrags mit Stoiber kund. Und legte während des Parteitags über die Medien ungeniert mit kritischen Worten über den Gesundheitskompromiss nach.
Stoiber, sonst wenig geduldig, gibt sich demonstrativ gelassen. Seit der Parteitag seine umstrittene Einigung mit CDU-Chefin Angela Merkel mit mehr als 88 Prozent der Delegiertenstimmen abgesegnet hat, ist für ihn "das Thema erledigt". Gleichwohl wird hinter den Kulissen darauf verwiesen, dass der frühere Bundesgesundheitsminister jetzt keineswegs einen "Freibrief" hat. Die Warnung gilt vor allem mit Blick auf Seehofers Posten in der gemeinsamen Bundestagsfraktion. "Die Kollegen von der CDU haben seine Extratouren satt", sagt ein CSU-Führungsmann.
Wunsch nicht erfüllt
Zweifelsohne hätte die CDU es am liebsten gesehen, hätte Seehofer seinen Sessel freiwillig geräumt. Weil die CSU aber für die beiden ihr zustehenden Vizeposten in der Fraktion das alleinige Benennungsrecht hat, können die Christdemokraten die kleinere Schwesterpartei in Berlin zu nichts zwingen. Ein Druckmittel hätten sie nur, wenn die Aufgabengebiete der Fraktionsvizes neu zugeschnitten werden sollten. Hier wäre die Zustimmung des CDU-Teils in der gemeinsamen Fraktion erforderlich.

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Dem ungeliebten Kollegen Seehofer zu helfen - dazu dürfte es in der CDU kaum eine Bereitschaft vorhanden sein. Also muss die CSU zu allererst nach einer internen Lösung fahnden. Doch viele Optionen gibt es dafür nicht. Allenfalls könnte Seehofer die Zuständigkeiten mit seiner Vorstandskollegin Gerda Hasselfeldt tauschen, die für eine breite Themenpalette vom Verbraucherschutz bis zur Landwirtschaft zuständig ist. Dabei fürchtet die CSU aber das Image, sie wolle Seehofer nur einen Posten zuschustern. "Es gibt schon genügend Leute, die Seehofer eher für eine Primadonna halten als für einen Retter der Armen und Entrechteten", sagt ein CSU-Spitzenmann. Seehofer hat auch in den eigenen Reihen seine Freunde weitgehend verloren.
Am Ende könnte es sein, dass Seehofer in Berlin von beiden Seiten doch zum Verzicht auf den Vize-Fraktionsvorsitz gedrängt wird. Einfach deshalb, weil ihm keine Seite ein Angebot zufrieden stellendes Angebot unterbreitet.
"Ich werde kein bloßer Mitläufer"
Seehofer selbst blieb auch am Samstag dem Parteitag fern und teilte sich seinen Parteifreunden lieber über ein "Focus"-Interview mit: "Ich bleibe in der CSU für die gesamte Sozialpolitik zuständig." Alles andere als in Demut fügte er hinzu: "Ich werde kein bloßer Mitläufer, das werden Sie in den nächsten Monaten merken." In der CSU wird der Ex-Minister zunehmend als eine Art Diva empfunden, die gern austeilt, aber wie ein rohes Ei behandelt werden will. Seehofer habe in den letzten Tagen "die Nerven aller arg strapaziert", sagt ein CSU-Spitzenmann.
Die Parteispitze hatte sich, wie es hieß, eigentlich darauf eingestellt, dass Seehofer zum Parteitag kommt. Ein solcher Auftritt Seehofers wäre für einen CSU-Parteitag eine Sensation gewesen: Erstmals wären politische Schwergewichte gegeneinander in die Bütt gestiegen. "Aber keine Rede der Welt hätte die Entscheidung kippen können", betont ein Führungsmitglied mit Blick auf die fast 90 Prozent Zustimmung für Stoibers Verhandlungsergebnis.
Seehofers Verhalten lenkte immerhin davon ab, dass Stoiber bei dem Kompromiss in allen wesentlichen Punkten entscheidende Positionen aufgab. Lange hatte er Einheitspauschale und Steuerfinanzierung strikt abgelehnt und ein einfacheres Modell gefordert. Nachdem Stoiber zudem immer wieder betont hatte, die CSU stehe in dieser Frage unter keinem Zeitdruck, kann es Angela Merkel als Erfolg verbuchen, die bayerische Schwesterpartei vor dem Parteitag zur Einigung gebracht zu haben. Die CDU-Wahlkämpfer in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben ohne Streit eine Hypothek weniger.
Ovationen für CDU-Chefin
Auf dem Parteitag wurde die CDU-Chefin mit stehenden Ovationen bedacht. Obwohl ihre Rede aus Standardbausteinen zusammengefügt schien, ließen Blicke in die Gesichter der Delegierten erkennen, dass sie vor allem die weiblichen CSU-Mitglieder in den Bann ziehen konnte. Merkel vermied alles, was nach einem Führungsanspruch innerhalb der Union klingen könnte. Stattdessen huldigte sie der Gemeinsamkeit und schmeichelte: "Es ist schön, eine Schwester zu haben."
Doch das für CSU-Parteitage typische, vor Selbstbewusstsein strotzende "Mir san mir"-Gefühl war angesichts des Krachs um den Kompromiss deutlich weniger spürbar. Die Parteiführung betont freilich, dass das Treffen eine Siegesmeldung und kein Kniefall gewesen sei. Tatsächlich erhielt Stoiber für seinen harten Kurs mit Einschnitten ins Tarifrecht und Kündigungsschutz, längeren Arbeitszeiten fast einhellige Zustimmung.
Mit seinem Ruf nach einem "aufgeklärten Patriotismus" und der Rückbesinnung auf christliche Werte erntete er von der Parteibasis regelrechte Beifallsstürme. Spannend wird nun, ob dies auch bei Stoibers Auftritt beim CDU-Parteitag in zwei Wochen so sein wird.