Das Nein von CDU-Chefin Angela Merkel zu einem EU-Beitritt der Türkei hat eine heftigen Kontroverse ausgelöst. Kritik an Merkels Linie kam nicht nur von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, sondern auch aus der CDU und türkischen Gemeinde in Deutschland. Mit Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust warnte das bislang hochrangigste CDU-Mitglied vor einer endgültigen Absage an die Türkei. Merkel verteidigte hingegen zum Abschluss ihrer zweitägigen Türkei-Reise in Istanbul nochmals ihre Position und versicherte, mit dem Thema im Europawahlkampf nicht populistisch auf Stimmenfang gehen zu wollen.
Die Verletzung von Gefühlen der Türkei sei nicht der Preis, den sie für einen Wahlkampf zahlen wolle, sagte Merkel. Sie grenzte sich damit klar von der Haltung der Schwesterpartei CSU ab, die nach eignen Angaben die Wahl auch zu einer Volksabstimmung über den EU- Beitritt Ankaras machen will. Merkel sagte hingegen: "Zum Populismus eignet sich das Thema nicht."
Modell der privilegierten Partnerschaft
Merkel hatte der türkischen Regierung das Modell einer privilegierten Partnerschaft unterhalb der Vollmitgliedschaft vorgestellt, war dabei aber auf strikte Ablehnung gestoßen. Merkel bezeichnete ihre Position als ehrlicher, weil sie der Türkei im Gegensatz zur Haltung der Befürworter keine falschen Hoffnungen mache.
Kritik von Verheugen
Verheugen erinnerte dagegen in Brüssel an einstimmige Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs, nach denen die Türkei für einen EU-Beitritt in Frage komme, wenn sie die politischen Bedingungen dafür erfülle. Diese Zusage sei eine Basis für den derzeitigen Reformprozess in der Türkei. Dazu müsse die EU auch stehen. "Jeder muss der türkischen Regierung dabei helfen." Verheugen lobte die Entscheidung der türkischen Regierung, die von ihr weit gehend abhängige Führung der türkischen Zyprer zu Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der Mittelmeerinsel zu bewegen.
Bundesregierung tritt für EU-Vollmitgliedschaft ein
Im Vorfeld des Besuchs von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der nächsten Woche in Ankara stellte auch die Bundesregierung klar, dass sie klar für eine spätere EU-Vollmitgliedschaft Ankaras eintrete. Es dürfe dabei keine "Privilegierung, aber auch keine Diskriminierung" für die Türkei geben, hieß es in Berliner Regierungskreisen. Es spreche alles dafür, dass die EU-Kommission in ihrem Bericht im Herbst die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Ankara empfehlen werde.

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Frankreich noch ohne klare Position
Schröder will bereits bei dem Dreier-Treffen am Mittwoch in Berlin mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und dem britischen Premierminister Tony Blair versuchen, eine Abstimmung in der Haltung zu EU-Beitrittsgesprächen mit Ankara zu erreichen. Die Regierung in Paris hat mit Blick auf die rechtsnationalistischen Kräfte im eigenen Lande dazu noch nicht klar Position bezogen, während London den türkischen Wunsch nach einer späteren EU-Aufnahme unterstützt.
Von Beust, der mitten im Wahlkampf in der Hansestadt steht, warnte seine Partei davor, der Türkei den Weg in die EU zu versperren. "Es ist im europäischen Interesse, der Türkei nicht grundsätzlich die Beitrittsoption zu verweigern", sagte Beust in Hamburg.
Türkische Gemeinde fühlt sich verletzt
Die Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) nannte die Position der Union "verletzend". Merkel und Stoiber wollten die Türkei "anders und ungleich behandeln als die anderen EU-Anwerbe-Staaten", kritisierte der TGD-Vorsitzende Prof. Hakki Keskin in Hamburg. Als "Vorwände" für ihre Haltung führe die Unionsspitze immer neue Gründe an - von religiösen über wirtschaftliche bis hin zu kulturellen Unterschieden, kritisierte Keskin.
Merkel hatte dies in Ankara immer wieder verneint. Stattdessen hob sie hervor, dass die EU auf Grund ihrer derzeitigen Verfassung nicht in der Lage sei, die Türkei in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu integrieren.