Während die Bundesregierung im Bundestag für den Euro-Rettungsschirm wirbt, erweist sich Griechenland immer mehr als Fass ohne Boden. Sparbemühungen schlagen fehl oder sind zu halbherzig, die Zweifel daran, dass das kriselnde Land jemals seine Schulden auch nur annähernd zurückzahlen kann, wachsen. Folge: Die Lenker der Eurozone müssen sich mit Szenarien auseinandersetzen, die vor kurzem noch als Albtraum galten.
Szenario a) Der Staat geht pleite – mit dramatischen Konsequenzen. Griechische Staatsanleihen wären nichts mehr wert. Banken müssten sie abschreiben und würden in neue Probleme geraten. Auf dem Anleihenmarkt würde Panik ausbrechen, auch irische und portugiesische Anleihen würden an Wert verlieren. In Griechenland selber wird sich die Stimmung weiter verfinstern. Wie das Beispiel Argentinien von 2002 zeigt, erleidet die Volksseele schwerste Depression bei einer Staatspleite.
Szenario b) Griechenland fliegt aus der Eurozone. Die Bürger laufen zu ihren Banken, um ihre Euro abzuziehen, bevor sie in Drachmen umgetauscht werden und so an Wert verlieren. Die Inflation steigt explosionsartig. Griechische Banken würden kollabieren, viele Institute wären schlagartig pleite. Sie müssten mit neuen Milliarden gerettet werden. Experten befürchten, dass bürgerkriegsartige Zustände auf Griechenlands Straßen herrschen könnten.
Sind wir davon noch weit entfernt? "Es gibt auf griechischer Seite noch einiges zu tun." Das waren die Worte von EU-Währungskommissar Olli Rehn, nachdem die Mitarbeiter der Troika aus Europäischer Union (EU), Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) vergangene Woche in Athen die Umsetzung des Spar- und Stabilisierungsprogramms überprüft hatten. Ihr Ergebnis: Die Rezession hat diese Ziele zunichte gemacht. Die Verschuldung wird wahrscheinlich höher ausfallen. Fachleute rechnen für 2011 mit einem Haushaltsloch von 8,5 Prozent oder mehr. Angepeilt waren 7,6 Prozent. Es kam zum Eklat zwischen Troika und Athen. Die Retter hätten größere Einsparungen gefordert, die Griechen hätten das abgelehnt. Derzeit pausieren die Gespräche. Griechenland zittert nun um die Auszahlung der nächsten Kredittranche von acht Milliarden Euro aus dem laufenden Hilfspaket.
Europarechtlich ist ein Rausschmiss Griechenlands nicht möglich
Es ist ein weiterer Akt in einer Tragödie, deren Ende derzeit niemand abschätzen kann. Viele Verantwortliche in den Euro-Staaten und deren Bürger fragen sich, wie lange sie noch mit milliardenschweren Rettungspaketen für ein Land gerade stehen sollen, das seine Schulden nicht in den Griff bekommt. So plädiert etwa Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) für einen Euro-Ausschluss, aber auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach legt dem Land nun den Abschied vom Euro nahe. „Wenn Griechenland sich für den Verbleib entscheidet, kann das Land nicht erwarten, dauerhaft massiv unterstützt zu werden", sagte der Politiker im "Tagesspiegel".
Das Problem: Europarechtlich wäre ein solcher Schritt überhaupt nicht möglich. "Griechenland könnte allenfalls die Eurozone freiwillig verlassen", sagt Jessica Koch, Juristin am Centrum für Europäische Politik in Freiburg.
Ein Schritt, den Griechenland freiwillig wohl kaum gehen würde. "Es wäre Selbstmord", sagt Ferdinand Fichtner, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Denn die eigene Wirtschaft würde immensen Schaden nehmen. Die Griechen haben mit einer negativen Leistungsbilanz zu kämpfen. Das bedeutet, dass sie mehr importieren als exportieren. Hätten sie nun wieder eine eigene Währung, würden die Produkte, die sie importieren, erheblich teurer.
Auch Rückzug ausgeschlossen
Zudem drohte das eingangs beschriebene Szenario. Der Rückzug oder Ausschluss ist deshalb den Debatten zum Trotz ausgeschlossen. Und auch wenn es möglich wäre, Griechenland den Euro wegzunehmen: Der Schritt wäre weder für Griechenland noch für die Europäische Union sinnvoll. Denn würde das Land die alte Währung wieder einführen, würde sie von Beginn an unter Abwertungsdruck stehen. Die Last durch die Staatsschulden würde sich vervielfachen, weil sie in Euro und nicht in Drachmen zurückgezahlt werden müssten. "Dann wäre endgültig besiegelt, dass die Geberländer ihr Geld nicht zurückbekommen", sagt Fichtner vom DIW. "Das beträfe nicht nur die Schulden des griechischen Staates, auch die griechische Privatwirtschaft könnte ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen", so der Wissenschaftler. "Sowohl die Geberländer als auch die privaten Banken und Versicherungen würden nur einen geringen Teil ihrer Schulden zurückbekommen", glaubt Fichtner.
Zudem wären Finanzspekulanten Tür und Tor geöffnet, gegen Länder zu wetten, die mit Schuldenproblemen zu kämpfen haben. "Man kann sicher davon ausgehen, dass auf einen Austritt Portugals und Irland gewettet würde", sagt Fichtner. "Und irgendwann wären auch Spanien und Italien dran."
Deshalb halten viele Ökonomen einen Schuldenschnitt - der Szenario A nahekommt, aber keine Pleite bedeutet - für die bessere Option. Die Gläubiger Griechenlands würden bei einer solchen Lösung auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten und die Verluste in ihre Bücher nehmen. "Die Schulden Griechenlands sind so unglaublich hoch", sagt Fichtner vom DIW. "Ich halte es nicht für realistisch, dass das Land sie jemals in den Griff bekommt."
Auf ihrem jüngsten Gipfeltreffen haben die europäischen Staats- und Regierungschefs die Beteiligung privater Gläubiger an dem nächsten Rettungspaket beschlossen. In den kommenden 30 Jahren sollen sie sich mit 135 Milliarden Euro beteiligen. Durch diese und eine Senkung der Hilfskredite soll die Schuldenlast von fast 160 Prozent um 24 Prozentpunkte gesenkt werden. "Es ist ein Balanceakt", sagt Henning Vöpel, Experte für Währungspolitik am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut. "Aus Sicht der Steuerzahler und Politiker ist es ein zu weicher Schnitt. Aus Sicht der Banken ist er zu hart." Noch ist die Beteiligung der privaten Gläubiger ohnehin freiwillig und inwieweit sie sich daran maßgeblich an der Rettung Griechenlands beteiligen, ist ungewiss.