Wenn es angebracht ist, kann Angela Merkel auch Drama Queen. Anfang Oktober 2008 trat sie vor die Presse, setzte ihr staatstragendes Vertraut-eurer-Kanzlerin-Gesicht auf und versprach dem Volk: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein." Peer Steinbrück, damals in der großen Koalition ihr Finanzminister, sekundierte: "Ich möchte gerne unterstreichen, dass wir in der Tat in der gemeinsamen Verantwortung, die wir in der Bundesregierung fühlen, dafür Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren."
Die Sätze stammen aus jenen Tagen, als die Weltwirtschaft nach dem Ende des Lehman-Finanzkonzerns bebte und auch in Deutschland die Angst vor Bankenpleiten grassierte. Merkel und Steinbrück waren in Sorge, dass es zu einem Bankrun kommt, einen Ansturm auf die Konten. So ähnlich wie ihn am Samstag das kleine Zypern erlebte, nachdem die Euroretter beschlossen hatten, das Volk zur Kasse zu bitten, um den Inselstaat vor der Pleite zu bewahren. 2008 wurde gerätselt, ob die Aussagen der Kanzlerin und ihres Kassenwarts als generelle Garantie für Sparguthaben verstanden werden können oder es sich um Symbolpolitik handelt. Als zwei Jahre später - inzwischen regierten Union und FDP - die kleine Noa-Bank pleiteging, mussten deren Kunden lernen, dass die Beteuerungen - jedenfalls für sie - nicht als staatliche Zusage für komplette Sparguthaben interpretiert werden dürfen. Maximal 50.000 Euro wurden ihnen zugesichert. Das Finanzministerium wollte nicht einspringen, weil das 2009 gegründete Geldhaus kein Opfer des Lehman-Desasters war.
Garantierte 100.000 Euro
Schon damals wurde die Frage diskutiert: Was sind solche Zusagen wert? Und jetzt, wo es eine EU-weite Garantie für Sparguthaben von 100.000 Euro gibt, stellen sich nicht nur Deutsche erneut diese Frage. Die Menschen auf Zypern, aber auch Russen, Briten und Deutsche, die Geld auf der Insel angelegt haben, wissen seit Samstag: Der Wert ist begrenzt. Statt für 100.000 Euro zu garantieren, enteignet der Staat notfalls die Bürger. Alle Kontoninhaber Zyperns müssen 6,75 Prozent ihres Geldes abführen. Wer mehr als 100.000 Euro auf der hohen Kante hat, muss 9,9 Prozent in die Staatskasse zahlen. Das trifft natürlich russische Oligarchen besonders hart, aber eben auch den Handwerker in Nikosia, den Restaurentbesitzer in Paphos oder den Lehrer in Limassol sowie den britischen Rentner, der im Vertrauen auf Verlässlichkeit und Rechtsschutz sein Erspartes in Zypern angelegt hat, weil dort die Besteuerung günstiger ist als in der Heimat.
Ein sarkastischer Leserkommentar auf der Facebook-Seite von stern.de bringt die Sorgen der Menschen auf den Punkt: "Wenn man es genauer durchdenkt, sollten Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, Irland und Frankreich noch heute Nacht das Gleiche machen. So eine Chance zur Reduzierung der Staatsschulden kommt so schnell nicht wieder, weil der Überraschungseffekt flöten geht." Wer sein Geld in Staatsanleihen steckt, weiß seit dem Schuldenschnitt für Griechenland, dass es keine 100-Prozent-Garantie für Rückzahlungen gibt, schon gar nicht für einen Zinsgewinn. Und nun also auch Sparguthaben? Hätte eine Diktaktur diesen Beschluss gefasst, würde das niemand wundern. Aber da den Kompromiss alle Finanzminister der Eurostaaten ausgehandelt haben, geht in der Bevölkerung die Angst um. Kein Wunder, dass die Regierung in Nikosia und Finanzminister Wolfgang Schäuble zurückrudern und die Kanzlerin ihre Zusage für deutsche Sparer umgehend bekräftigt. "Es ist das Merkmal einer Garantie, dass sie gilt", sagte Merkels Chefsprecher Steffen Seibert am Montag. Zypern sei ein Sonderfall. Unruhe unter Anlegern und Sparern in anderen Euroländern sei also nicht gerechtfertigt.
"Bedrohung für das Finanzsystem im gesamten Euroraum"
Das Wort "Sonderfall" gehört zum Vokabular der Euroretter wie ein Tresor zur Bank. Seit drei Jahren werden einzelne Hilfsmaßnahmen für Staaten in akuter Finanznot wahlweise als Sonder- oder Einzelfälle dargestellt. Die privaten Geldgeber Griechenlands, also Inhaber von Staatsanleihen, verloren rund 100 Milliarden Euro. Es sollte eine Einmaligkeit bleiben. Doch wer kann garantieren, dass nicht auch Spanien einen Schuldenschnitt nötig haben wird? Auch die Zwangsabgabe aller Sparer mit Geld in Zypern wird nun wieder als einmalige Sonderaktion dargestellt. Die Erfahrungen zeigen, dass Zusagen in Zeiten der Eurokrise nicht zwingend von Bestand sind.
Ökonomen und Finanzexperten teilen jedenfalls die Sorgen der Bürger und warnen vor fatalen Folgen für das Vertrauen in die Eurozone. Sie fragen besorgt: Wer legt sein Geld in Ländern an, wenn er Enteignung fürchten muss? Peter Bofinger, einer von Merkels Wirtschaftsweisen, betrachtet den zyprischen Tabubruch als "Bedrohung für das Finanzsystem im gesamten Euroraum". In der "Passauer Neuen Presse" forderte Bofinger: "Das muss revidiert werden." Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, malt ebenfalls die Gefahr einer Bankenkrise an die Wand, weil verschreckte Kunden ihre Konten leerräumen. Thorsten Polleit, Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management, kritisiert im "Handelsblatt", die Politik sei "ganz offensichtlich bereit, geltendes Recht zu verletzten". Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon versucht zu beruhigen. Deutsche Sparer mit Konto in der Heimat müssten sich "keine Sorgen machen", kommentiert er der Zeitung zufolge. Die Lage in Zypern habe nichts mit der Situation in der Bundesrepublik zu tun.
Mehrere Milliarden im Sicherungsfonds
Das stimmt insofern, dass Deutschland keine Staatspleite droht und Zusammenbrüche kleinerer Banken - aus welchen Gründen auch immer - zu verkraften wären, auch für die Sparer. Experten schätzen, dass die deutschen privaten Geldhäuser in ihrem Sicherungsfonds einen Milliardenbetrag im unteren einstelligen Bereich haben, um Kunden zumindest die 100.000 Euro Sparguthaben zu garantieren. Nur für diesen Betrag gilt ein Rechtsanspruch. Alles darüber hinaus würde auf Freiwilligkeit beruhen. Käme es jedoch zu einem Zusammenbruch des Systems, wäre der Fonds komplett überfordert. Denn dann ginge es um Beträge in astronomischer Höhe. Allein die Commerzbank, die nach eigenen Angaben elf Millionen Privatkunden hat, müsste 1,1 Billionen Euro auszahlen, wenn jeder Klient 100.000 Euro auf der hohen Kante hätte. Selbst wenn es nur ein Drittel wären, wäre der Betrag immens. Die Privatbanken hierzulande planen zudem, die freiwillige Mindestsicherungsgrenze bis 2025 in drei Schritten von derzeit 1,5 Millionen auf dann 437.500 Euro pro Kunde zurückzufahren. Davon wären nur sehr vermögende Anleger betroffen. Die öffentlich-rechtlich organisierten Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben ein eigenes Sicherungssystem aufgebaut, das die Ersparnisse der Kunden in unbegrenzter Höhe absichern soll. Ob diese Garantie im Falle einer Systemkrise funktioniert, sei dahingestellt.
Wie groß die Angst vor einem Rückfall in die Krise ist, zeigt die Reaktion der spanischen Nationalbank, die sich gleich am Wochenende gezwungen sah zu versichern, dass es keine Anzeichen von Kapitalflucht gebe. "Das spanische Bankensystem funktioniert unter absolut normalen Bedingungen", hieß es. Das Wirtschaftsministerium in Madrid beeilte sich mit der Erklärung, die Entscheidung zur Rettung Zyperns lasse sich nicht auf andere Staaten übertragen. Natürlich nicht.