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Entmenschlichende Sprache "Lawine", "Strom", "Ansturm" - so negativ sprechen wir über Flüchtlinge

In der Debatte um Flüchtlinge werden von Politik und Medien oft Metaphern verwendet, ohne auf deren Inhalt und Bedeutung zu achten. Oft sind es Sprachbilder aus Wortfeldern, die auf Bedrohungen und Katastrophen anspielen.
Von Jenny Kallenbrunnen

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat vor den Folgen der Flüchtlingspolitik gewarnt und die Flüchtlingsbewegung mit einer Lawine verglichen. "Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt", so Schäubles originale Wortwahl. Die Empörung darüber ist groß - und doch ist es ganz und gar nichts Neues, dass Politiker und auch Vertreter der Medien Begriffe und Metaphern gebrauchen, die Flüchtlinge entmenschlichen.

Die sprachlichen Bilder aus dem Bundestag und der Presse bedienen sich häufig aus den semantischen Wortfeldern Naturkatastrophen und Militär - ohne jede positive oder auch nur neutrale Tendenz. Längst vor Schäubles Lawine gab es etwa den Ansturm der Flüchtlinge, die Welle, die Flut, und den Strom; dazu jeweils Verben wie strömen, überrollen, überschwemmen.

Allein in der Pressedatenbank von Gruner und Jahr der vergangenen acht Monate ist der Begriff Flüchtlingsstrom beziehungsweise Flüchtlingsströme insgesamt fast 2000-mal enthalten. Doch genauso tauchen dieselben Metaphern in "Spiegel", "Zeit", "Focus", "Bild", "Welt" und vielen anderen deutschsprachigen Medien vor. 

Dabei haben einige dieser Begriffe längst eine semantische Erweiterung erfahren: Sie werden auch in anderen Themenkomplexen gebraucht, man denke etwa an die Streikwelle, den Informationsfluss oder die Informationsflut. Es gibt hingegen auch Begriffe mit klar pejorativer, also abwertender Bedeutung, wie Invasion.

Metaphern nehmen Flüchtlingen ihre Menschlichkeit

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass den Flüchtlingen auf diese Weise das genommen wird, das sie zu Menschen macht. Als Flüchtlingsflut oder Lawine sind sie nicht mehr menschlich, sie sind zu einer Naturkatastrophe oder einer bloßen Wettermeldung verkommen. Nachrichtenagenturen und Medien schreiben auch häufig vom Transport oder Weitertransport von Flüchtlingen an den innereuropäischen Grenzen. Auch hier werden Flüchtlinge entmenschlicht und mehr wie Waren behandelt.

Auch Begriffe aus dem Wortfeld "Militär" tauchen immer wieder auf - von Seiten der Politiker wie auch der Journalisten. Etwa bei der Abwehr illegaler Einwanderer, oder auch der Lage an den Grenzen , die sich verschärft.

Für die Menschen selbst gibt es längst nicht nur den Begriff Flüchtlinge. Neben Migrant, Asylant, oder Asylbewerber tauchen auch immer wieder Komposita auf: Armutsflüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge. Diese Wörter, ebenso wie die bereits älteren Begriffe Armutszuwanderung oder Sozialtourismus sprechen Flüchtlingen legitime Gründe für ihre Flucht ab. Zumindest in deren linguistischen Bedeutung.

Haben Wirtschaftsflüchtlinge keinen legitimen Grund zur Flucht?

Noch vor 30 Jahren wurde der Begriff Armutsflüchtling bewusst gewählt, um anzuzeigen, dass der Mensch einen wichtigen Grund für seine Migration hat. Heute ist es in der Wahrnehmung geradezu umgekehrt: Wirtschaftsflüchtlinge sind diejenigen, die keine Legimitation für die Flucht vorweisen können, so der allgemeine Tenor. Als Kontrast - quasi als eindringliche sprachliche Betonung für den guten Grund für die Flucht - liest man auch das Wort Kriegsflüchtlinge.

Auch Deutschland wird in der Folge unterschiedlich genannt – selbst das eigentlich objektive Wort "Einwanderungsland" ist inzwischen negativ belegt. Das musste auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz feststellen, der für seinen Satz "Deutschland ist ein Einwanderungsland" mehrfach stark kritisiert wurde, wie er am Donnerstag im ARD-/ZDF-Morgenmagazin erzählte.

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