Vier Wochen nach dem historischen Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Ampel-Regierung verständigt, wie sie das Milliardenloch im Bundeshaushalt 2024 schließen will. Geplant sind Einsparungen sowie Kürzungen, die auch die Verbraucher bei den Strom-, Gas und Benzinpreisen treffen. Die Schuldenbremse wird im nächsten Jahr zunächst nicht ausgesetzt, aber es bleiben Hintertüren offen. "Das war harte, aber konstruktive Arbeit. Am Ende steht ein guter, ein im wahren Sinne demokratischer Kompromiss", bilanzierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die tagelangen Verhandlungen mit seinem Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag.
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) antwortete, die Ampel habe lediglich einen "Formelkompromiss" gefunden und warf dem Kanzler "finanzpolitische Trickserei" vor. Er forderte Scholz auf, die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen – aber wegen eines anderen Themas: Fast gleichzeitig mit der Einigung in der Haushaltskrise wurde bekannt, dass ein Maßnahmenpaket zur Migrationspolitik in diesem Jahr nicht mehr verabschiedet werden kann, weil die Ampel sich noch nicht einig ist.
Der Etat 2024 wird nun voraussichtlich in der zweiten Januarhälfte im Bundestag beschlossen und dann spätestens am 2. Februar den Bundesrat passieren. Damit wird für fünf Wochen eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien aber bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
So kommentiert die Presse die Einigung der Ampel zum Haushalt:
"Lausitzer Rundschau": "Die Ampel hat nun bei ihrer Eigenrettung eine Methode angewandt, die der Ära Merkel entstammt. Ein Thema nämlich so lange in immer kleinere Einzelteile zu zerlegen, bis diese lösbar sind – und dann alles wieder zusammenzuschrauben. Der Haken daran: Das Problem ist meistens größer als die Summe seiner Teile. Gut möglich also, dass schon mathematisch am Ende leider doch nicht die erhofften 17 Milliarden Euro stehen werden. Politisch betrachtet geht die Gleichung erst recht nicht auf. Das Verfassungsgerichtsurteil war ein Wumms, die Richter hatten vor allem eines verlangt: Klarheit und Wahrheit bei der Haushaltsführung. Wer darauf mit unverdrossenem Gefrickel reagiert, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann nichts mehr passt. Die Lösungen nicht zu den Problemen des Landes – und die politischen Partner nicht zueinander."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Die Milliarden-Lücke, die das Karlsruher Haushaltsurteil gerissen hat, wird mit schmerzhaften Kürzungen und dem Abbau klimaschädlicher Subventionen geschlossen. Das hat zunächst einmal Respekt verdient. Vor allem einer dürfte sehr zufrieden sein mit dem Ergebnis: FDP-Chef Christian Lindner. SPD und Grüne wollten durch Ausrufung einer abermaligen Haushaltsnotlage für die Ukraine-Hilfen ein mögliches Schlupfloch in der Schuldenbremse nutzen, um mehr Geld für grüne Subventionen zu haben. Jetzt werden die Förderung für Elektro-Autos und den Aufbau einer heimischen Solarindustrie gekappt und Subventionen abgebaut, etwa für Kerosin und Plastik: Steuererhöhungen durch die Hintertür."
Die Regeln sind klar. Doch warum einfach, wenn man es sich auch schwer machen kann?

"Von einer Heilung im Sinne mittel- und langfristiger Gesundung kann nicht die Rede sein"
"Westfalen-Blatt": "Immerhin, aufgegeben hat sich die Ampelkoalition noch nicht. Die Einigung auf den Bundeshaushalt 2024 in letzter Minute zeigt, dass SPD, Grüne und FDP den Ernst der Lage erkannt haben. Der politische Überlebensinstinkt funktioniert noch – aber sonst? Als fulminanter Neustart taugt dieser Formelkompromiss in Gestalt eines bunten Gemischtwarenladens sicher nicht. Die selbst ernannte Zukunftskoalition steuert weiter auf ihren Untergang zu – mehr als auf Sicht zu fahren ist für die Regierung Scholz längst nicht mehr drin. Unwahrscheinlich, dass daraus neue Zuversicht im Land entsteht. Die Menschen müssen es also mal wieder selbst regeln, aber das wussten die meisten wahrscheinlich eh schon."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Rhein-Neckar-Zeitung": "Wenn alles mit allem zusammenhängt, dann sieht es düster aus für die Erreichung der deutschen Klimaziele. Denn der Haushaltskompromiss, den die drei Ampel-Parteien schlossen, sieht erst einmal eine großzügige Streichung der Fördermittel vor, die den Umbau der deutschen Wirtschaft den Bürgern schmackhaft machen sollte. Robert Habecks Klimafonds steht nahezu blank da. Und zugleich steigt der CO2-Preis, was ökologisch betrachtet sinnvoll ist, das Leben zuallererst jedoch teurer macht. Ergo: Die selbst ernannte Fortschrittskoalition hat sich zwar selbst gerettet, bezahlen müssen das aber alle anderen."
"Nürnberger Zeitung": "Was die Spitzen der Ampel-Koalitionäre in tage- und nächtelangen Verhandlungen zu Wege gebracht haben, um einen verfassungskonformen Haushalt für 2024 vorzulegen, gleicht einer Notoperation. Der Patient Bundeshaushalt wurde notdürftig geflickt, in dem rund 17 Milliarden Euro schon verplanter Ausgaben gestrichen worden sind. Von einer Heilung im Sinne mittel- und langfristiger Gesundung kann aber nicht die Rede sein."
"Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung": "Unter dem Eindruck des Karlsruher Urteils hätte die Koalition mehr bieten müssen – mehr Mut zur Sparsamkeit und damit auch mehr Generationengerechtigkeit. Höhere Steuern und Schulden, wie SPD und Grüne sie noch immer fordern, sind genau das Gegenteil davon. So gesehen ist das Festhalten an der Schuldengrenze die zweifelsohne größte Leistung des Ampel-Triumvirats."

"Die Belastungen der Haushalte steigen spürbar. Und das ist ärgerlich"
"Kölner Stadt-Anzeiger": "Es hätte als Konsequenz aus dem Karlsruher Urteil also einen Zweisprung geben müssen: Eine klare Priorisierung im Haushalt und ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse wegen des Kriegs in der Ukraine, wodurch trotz der Unterstützung der Ukraine weitere Investitionen in die Zukunft möglich wären. Nun werden wieder mit kleineren Tricks die letzten Milliarden zusammengesammelt. Die Schuldenbremse soll nun doch ein klein wenig für die weiteren Hilfen der Flutopfer im Ahrtal und in Nordrhein-Westfalen gelockert werden. Und der Halbsatz des Kanzlers zu 'Umschichtungen bei der Bahn' ist so zu interpretieren, dass der Bund die Bahn mit zusätzlichem Eigenkapital ausstattet. Die Schulden, die er dafür aufnimmt, sind wegen des Gegenwerts für die Schuldenbremse nicht relevant. Das ist das Prinzip: Linke Tasche, rechte Tasche."
"Die Glocke": "Eine Bundesregierung, die für den Haushalt 2024 rund 17 Milliarden Euro einsparen muss und entsprechende Beschlüsse fasst, darf als Reaktion keine Jubelarien erwarten. Kürzungen sind schmerzhaft und lösen naturgemäß Widerspruch aus. Wenn der Reigen der Kritiker von der Grünen Jugend über die CSU bis hin zu Sozialverbänden und der Wirtschaft reicht, wird zumindest klar, dass nicht einseitig belastet wird, sondern es alle trifft. Allerdings geht es nicht nur um Kürzungen. Auf die ohnehin stark von der Inflation gebeutelten Bürger kommen wegen der geplanten Anhebung des CO2-Preises höhere Heiz- und Spritkosten zu. Das zeigt: Auch die Belastungen der Haushalte steigen spürbar. Und das ist ärgerlich."
"Nordkurier": "Gab es angesichts dieses Pannen-Haushalts, den jeder Stadtkämmerer dem Kanzler um die Ohren gehauen hätte, keine Warnungen der vielen hoch bezahlten Juristen in den Ministerien? Oder wurden mögliche Interventionen aus dem Beamtenapparat von den Regierungspolitikern in den Wind geschlagen? Mit dem gestern vorgelegten Haushaltsvorschlag 2024 wird es der Bundesregierung nicht gelingen, das schwer angeschlagene Vertrauen des Volkes zurückzugewinnen. Denn die Zeche für den Regierungs-Murks zahlt der Bürger: Höhere CO2-Abgabe, höhere Netzentgelte und Streichung von Subventionen, das merken die Menschen konkret im Geldbeutel, ohne dass sie vom Nutzen der teuren Klimaschutzprojekte jetzt mehr überzeugt wären als vorher. Scholz' Hoffnung, der Kompromiss fördere 'sozialen Zusammenhalt', ist allenfalls ein frommer Wunschtraum."
"Zu viele Fragen blieben offen"
"Reutlinger General-Anzeiger": "Anstatt allzu großzügig klimafreundliche Technologien zu fördern, will die Regierung nun lieber klimaschädliche Subventionen abbauen. Das rechnet sich gleich doppelt und kann dennoch die gewünschte Lenkungswirkung entfalten. Eine steuerliche Bevorzugung von Agrardiesel und Kerosin ist insbesondere bei Inlandsflügen einfach nicht mehr zeitgemäß. Und das Firmen, die Plastik in Verkehr bringen, dafür zur Kasse geben werden nur folgerichtig. Die Anhebung der CO2-Abgabe auf die von der Vorgängerregierung vorgesehenen 45 Euro stellt natürlich für fast jeden eine Belastung dar. Das ist aber auch so gewollt, soll sie doch zur Vermeidung von Emissionen animieren. Allerdings sollte die Regierung nicht vergessen, dass sie den Bürgern die Einnahmen aus der CO2-Abgabe über ein Klimageld eigentlich zurückgeben wollte. Darauf dürften die Bürger angesichts knapper Kassen wohl noch etwas länger warten müssen."
"Schwäbische Zeitung": "Habemus Haushalt. Aber was heißt das? Dieses Detail blieb auch nach der Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner weitgehend ungeklärt. Fragen von Journalisten waren nicht vorgesehen, auch die Sprecher der Ministerien konnten nichts Genaueres zu den Ankündigungen ihrer Chefs sagen. Falls die Regierung das Ziel hatte, mit dieser mittäglichen Erklärung nach durchwachter Nacht das Vertrauen in ihre Arbeit zu stärken, dann hat sie dieses Ziel eher verfehlt. Dafür blieben schlicht zu viele Fragen offen. Immerhin: die weitere Unterstützung der Ukraine mit insgesamt 14 Milliarden Euro – und auch mehr, wenn nötig, so Scholz. Diese Klarheit in der Ansage hätten die Bürger auch in anderen Politikbereichen verdient. Stattdessen wurden ihnen Zahlen und Einsparziele genannt, die zumindest zum Teil auf dem Prinzip Hoffnung zu beruhen scheinen."
"Frankenpost": "Wenn Christian Lindner sagt, 'wir gehen teilweise auch kreative Wege' (beispielsweise sollen Privatisierungserlöse genutzt werden, um die Bahn flott zu machen), schrillen die Alarmglocken. Geht dieses Mal alles mit rechten Dingen zu? Ist dieses Mal alles verfassungskonform? Oder zimmerten die Herren die Einigung über den Bundeshaushalt für 2024 schon wieder mit Tricksereien zusammen – Hauptsache, die ersten Tage hält das Ding, bevor alles nochmals ins Wanken gerät und schließlich in sich zusammenfällt? Oh je, oh je! So eine Formulierung hätte er sich nach der Pleite vor vier Wochen lieber verkniffen."
"Besinnlich wird es in der Ampel auch zehn Tage vor Weihnachten nicht"
"Frankfurter Neuen Presse": "Als 'handlungs- und einigungsfähig' will sich die Regierung präsentieren nach ihrer Einigung im Haushaltsstreit. Doch wer nun Klartext erwartet hat, an welchen Stellen genau gehandelt, also gespart wird, der wurde enttäuscht. Verschwurbelt – wie immer – blieb der Bundeskanzler im Unklaren. Keiner will öffentlich darlegen, wer in welchen Fragen nachgegeben hat, um die Handlungsfähigkeit und damit auch den Fortbestand der Koalition zu sichern. Dabei ist es doch genau das, was die Menschen von ihrer Regierung erwarten: die Fähigkeit zum Kompromiss anstelle von öffentlichen Anfeindungen gegen die eigenen Bündnispartner."
"Münchner Merkur": "Im allerletzten Moment ist die Ampel noch von den Scheintoten auferstanden. Aber ob die Lebensgeister noch reichen, um diese Lazarus-Koalition zwei weitere Jahre auf Erden werkeln zu lassen, darf bezweifelt werden. Dazu ist in diesen Chaoswochen zu viel Vertrauen zerstört worden: zwischen den sich feindselig belauernden Koalitionären, die nur noch die Angst vor dem Wähler eint, aber auch zwischen Regierung und Regierten. Nie schlug einem Kanzler in Deutschland so viel Ablehnung entgegen wie Olaf Scholz. Wie soll der Regierungschef da Mutmacher sein für ein von Abstiegsängsten gequältes Land? Und auch die Einigung geht schon wieder unter im neuen Geschrei um Asyl und Staatsbürgerschaftsrecht. Sein Versprechen, Deutschland werde illegale Migranten 'im großen Stil' abschieben, muss Scholz schon wieder einkassieren, weil die Grünen es sich anders überlegt haben. Besinnlich wird es in der Ampel auch zehn Tage vor Weihnachten nicht."