Mittwochmittag, vorgezogene Bescherung im weihnachtlichen Kanzleramt: Olaf Scholz stellt mit seinem Vize Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner nach quälenden Verhandlungen und einer schlaflosen Nacht die Einigung im Haushaltsstreit vor. Und Lindner? Biegt erstmal ab. Das Kabinett, berichtet der Liberale, habe sich mit dem erstzunehmenden Thema der Einsamkeit beschäftigt. "Ich kann allerdings feststellen, dass wir drei in den letzten Wochen nicht betroffen gewesen sind", sagt er und blickt kurz herunter, als müsse er sich ein Lächeln verkneifen.
Die Stimmung ist gut, jedenfalls bei einem.
Vier Wochen haben die Koalitionsspitzen gebraucht, um nach dem demütigenden Karlsruher Urteil zum Klimafonds zu klären, wie im Haushalt für das Jahr 2024 ein Loch von 17 Milliarden Euro gestopft werden soll und ob diese Regierung überhaupt noch eine Zukunft hat. Scholz, Lindner und Habeck agierten in den vergangenen Tagen, als wären sie mit der Kollekte unterwegs. Sie suchten im Haushalt hier eine Milliarde Einsparpotential, dort eine Milliarde, um irgendwie auf die hohe Summe zu kommen, die nach der richterlichen Klatsche im Etat fehlte. Im Grundsatz steht nun eine Einigung. Aber ob sie diese Koalition wirklich wieder zusammenschweißt, ist unklar. Wer kann zufrieden sein? Wer muss fürchten, für den schmerzhaften Prozess abgestraft zu werden?
Christian Lindner kann zufrieden sein
Klar, auch Lindner muss seiner Partei und Fraktion ein paar Dinge vermitteln, die er lieber vermieden hätte. Keine Steuererhöhungen? Naja, fast. Es gibt eine Steuererhöhung für Landwirte, die Agrardiesel brauchen. Es gibt mittelbar eine Steuererhöhung für alle, die innerhalb Deutschlands fliegen wollen. Und es gibt ab 2024 eine CO-Abgabe von 45 Euro pro Tonne, fünf Euro mehr als von der Ampel bislang geplant.
Die ersten beiden Reförmchen kann Lindner verkraften und sie als Abbau klimaschädlicher Subventionen verkaufen. Keine neuer Vorschlag, diesem Ziel haben sich die Liberalen schon im Koalitionsvertrag verpflichtet. Die höhere CO2-Abgabe und die dadurch steigenden Spritpreise mögen sicherlich den Brumm-Brumm-Flügel in der FDP verärgern, dennoch kann Lindner das als Erfolg verkaufen: Mehr Klimaschutz durch Preissignale, nicht durch Verbote.
Wäre noch die Sache mit der Notlage. Ein Begriff, den Scholz und Habeck gar nicht erst aussprechen – wohl aus Rücksicht auf den Finanzminister und seine Partei, die genau diese Ausnahme für 2024 nicht wollten. Schon das ist ein kleiner Punktsieg für Lindner, der den Begriff bei einer Pressekonferenz kürzlich eisern vermieden hatte.
Mit der Notlage ist es wie mit einer Schwangerschaft
Der Kanzler hat zwischenzeitlich vielleicht noch einmal im Grundgesetz nachgeschaut, was dort in Artikel 115 zur Schuldenbremse ganz genau steht. Demnach können in Notsituationen "Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten" werden. Daraus hat Scholz, so scheint es, ein neues Wort für jenen Vorgang geformt, den einfache Gemüter schlicht unter "Notlage feststellen" verstehen: Der Kanzler spricht nun lieber von einem "Überschreitungsbeschluss".
Genau diesen Beschluss sieht Scholz jetzt auch für das kommende Jahr vor, um den Opfern der Ahrtal-Flut weitere Hilfen in Höhe von 2,7 Milliarden Euro bereitstellen zu können. Und mit so einem Überschreitungsbeschluss aka Notlage ist es wie mit einer Schwangerschaft. Entweder man stellt den Zustand fest – oder eben nicht. De facto würde sich der Staat also auch 2024 mehr Geld leihen als die Schuldenbremse eigentlich vorsieht. Ganz konkret aber geht es eben nur um 2,7 Milliarden Euro. Bei einem Haushalt von insgesamt etwa 450 Milliarden sind das Peanuts.
Bei der Pressekonferenz drückte sich der Finanzminister dazu nicht ganz eindeutig aus. Man konnte Lindner so verstehen, als prüfe er noch, ob dieser Schritt einer eng begrenzten Notlage unbedingt nötig sei. Oder aber, als wolle er sich diesen Kleckerbetrag nicht weiter von anderen Schuldenstrebern vorwerfen lassen: Schwamm drüber! Wenn FDP-Politiker nun jubeln, dass 2024 keine Notlage ausgerufen werde, ist das ein bisschen gemogelt. Der dahinter liegende Spin jedoch – Lindner liefert solide Finanzen – der wird sich wohl durchsetzen.
Robert Habeck wird geschröpft
Wenn der eigentliche Großkommunikator der Ampel, Wirtschaftsminister Robert Habeck, sich in Spiegelstrichsätzen verliert und sich im Laufe seiner Ausführungen ausnahmsweise keine Geschichte entspinnt, die dem ganzen Unterfangen tieferen Sinn verleiht, dann liegt das womöglich an zwei Gründen: Er weiß selbst noch nicht recht, was er von dieser Einigung halten soll. Denn abgesehen davon, dass die bloße Tatsache der Einigung die Ampel irgendwie am Leben hält, lief es – Grund Nummer Zwei – ansonsten nicht nur gut für Habeck, in Teilen auch auf seine Kosten.
Natürlich stand nicht zu erwarten, dass "sein" Klima- und Transformationsfonds ungeschoren davonkommen würde – zumal der ganze Schlamassel mit dem Haushalt nicht zuletzt dadurch entstanden war, dass die Karlsruher Richter diesen Fonds um 60 Milliarden Euro geschrumpft haben. Aber zwölf Milliarden Euro sind kein Kleingeld. So viel soll allein im nächsten Jahr weniger aus dem Fonds fließen. 46 Milliarden werden in den kommenden vier Jahren gestrichen. Als erstes trifft es ausgerechnet die Solarbranche, auch die Förderung für Elektroautos läuft aus. Aber die Chipfabriken sollen weiterhin Milliarden bekommen?
Bitter.
Trotzdem dürfte Habeck einigermaßen erhobenen Hauptes vor die Seinen treten, auch wenn noch nicht alle Details bekannt sind: Weniger weil er die versprochene Wärmepumpen-Förderung vor dem Rasenmäher beschützt hat, vielmehr weil er den Grünen zumindest eine kleine Trophäe mitbringen konnte – den Einstieg in den Abbau klimaschädlicher Subventionen: eine Steuer auf Flugbenzin für Inlandsflüge und ein Ende des Dieselprivilegs für Landwirte. Außerdem scheint Habeck zumindest vorerst die von den Grünen so vehement geforderte wie von den Liberalen so vehement abgelehnte Kindergrundsicherung gerettet zu haben.
Wundenlecken bei der SPD
Was hatten die Genossen ihren Kanzler gefeiert. Für seine deutlichen Worte, seine klare Haltung. Und sein Versprechen: "Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben", sagte Scholz beim SPD-Parteitag mit Blick auf die Haushaltskrise. Das war am Samstag. Und nun?
Nun müssen die Genossen verdauen, dass es auch beim Sozialstaat zu Einsparungen von 1,5 Milliarden Euro kommen soll. Durch "mehr Treffsicherheit", wie Finanzminister Lindner sagte. So sollen beispielsweise Geflüchtete aus der Ukraine besser und rascher in den Arbeitsmarkt integriert werden, erklärte der FDP-Chef. Näheres weiß man noch nicht.
Aber eine Einigung steht, irgendwie – das scheint nach dem langen Gezerre erstmal das Wichtigste. "Es ist gut, dass eine Einigung möglich war und die Regierung die Lage ernst nimmt und Lösungen findet", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff zum stern. Er sei froh, dass kein umfassender Sozialabbau stattfinde, den Abbau klimaschädlicher Subventionen sieht Roloff positiv. "Allerdings braucht es das schon vereinbarte Klimageld mit Blick auf die soziale Balance mehr denn je", forderte Roloff, der auch dem Parteivorstand angehört. Und bei der Förderkulisse von E-Mobilität seien einige Fragen offen. "Wenn wir uns ehrlich machen, bleibt es dabei: Mit dieser Schuldenbremse ist keine Zukunft zu machen", findet Roloff.
Ja, diese Schuldenbremse. Die Einigung der Ampel-Spitzen dürfte in der SPD auch deswegen noch für Diskussionen sorgen. Auf ihrem Parteitag hatten die Genossen beschlossen, auch für 2024 die Notlage zu erklären und die Schuldenregeln wiederholt zu lockern. So sollten Abstriche jeglicher Coleur verhindert werden. Daraus wird nun erstmal nichts. Stattdessen wird vor allem gespart und umgeschichtet, um die fehlenden Milliarden im Etat 2024 zusammenzukratzen.
Was soll man dazu sagen? Das wissen viele Genossen wohl auch noch nicht so recht. In der Kanzlerpartei kursiert eine Art Formulierungshilfe, wie die Haushaltseinigung zu bewerten ist. Darin wird auch auf den Parteitag vom Wochenende Bezug genommen, wo eine "klare Linie vorgegeben" worden sei, was der Haushalt zu leisten habe: Die Modernisierung des Landes, keine Gefährdung des sozialen Zusammenhalts und die fortwährende Ukraine-Unterstützung. "Diese Maßgaben der SPD sind in der Einigung verwirklicht", heißt es in dem internen Papier, das dem stern vorliegt.
Ebenso wird betont, dass es keinen Abbau des Sozialstaats geben werde. Und doch wird in dem Papier eingeräumt: "Einschnitte in den einzelnen Haushaltstiteln sind für die SPD schmerzhaft". All das sei nicht nur durch den Karlsruher Richterspruch notwendig geworden, "sondern vor allem auch durch starre Regeln der Schuldenbremse", die nicht mehr in die Zeit passen und das Land "unnötig ausbremsen" würden.
Eine umfassende Reform der Regel allerdings ist mit dem heutigen Tag alles andere als wahrscheinlicher geworden.