Haushaltslage Rot-Grün erwägt höhere Neuverschuldung

Die Bundesregierung stellt sich wegen der anhaltend schlechten Konjunktur auf ein Verfehlen ihrer wichtigsten Haushaltsziele ein. Bundesfinanzminister Hans Eichel schließt eine höhere Neuverschuldung nicht mehr aus.

Bundesregierung und rot-grüne Koalition schließen einen weiteren Anstieg der neuen Schulden nicht länger aus. Angesichts der anhaltenden Konjunkturflaute räumten dies am Montag die Parteispitzen von SPD und Grünen in Berlin ein. Das Bundesfinanzministerium ließ offen, ob damit auch in diesem Jahr die von der EU gesetzte Defizitgrenze von 3,0 Prozent überschritten wird. Ein Sprecher gab zu erkennen, dass wahrscheinlich auch die Zusagen an Brüssel über den Defizitabbau bis 2006 auf Null kaum noch einzuhalten sind.

Stoiber und Westerwelle gegen höhere Schulden

Korrekturen am Haushalt 2003 sollen nach Angaben von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und des Ressorts von Finanzminister Hans Eichel (beide SPD) ohne Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von jetzt 16 Prozent erfolgen. Die Chefs von CSU und FDP, Edmund Stoiber und Guido Westerwelle, wandten sich gegen höhere Schulden. Eichel will an diesem Dienstag eine Haushaltsbilanz 2002 vorlegen. Nach dpa-Informationen hat sich die Ende des Jahres mit dem Nachtragsetat um 13,5 auf 34,6 Milliarden Euro erhöhte Neuverschuldung auf etwa 33 Milliarden Euro verringert. So flossen Steuern wieder überplanmäßig. Für 2003 sind bisher 18,9 Milliarden Euro neue Schulden eingeplant.

Die Haushaltssprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Antje Hermenau, will durch Einnahmen aus der Zinsbesteuerung und Einsparungen bei den Zinsausgaben im Umfang von zusammen rund zwei Milliarden Euro ohne jede weitere Erhöhung der Neuverschuldung 2003 auskommen.

Die CDU/CSU-Haushaltsexperten wiederum forderten bei einer Klausur in Wiesbaden Eichel zur Vorlage eines dritten Haushaltsentwurfs für 2003 auf. Sie wollen Wirtschaft und Finanzen durch neue Steuerentlastungen stärken und «vorübergehend neue Schulden riskieren», wie Haushaltssprecher Dietrich Austermann sagte. Jetzt sei ein Kassensturz Eichels nötig.

Ausgeglichener Haushalt bis 2006 fraglich

Eichel hatte bis zuletzt bekräftigt, im Staatshaushalt erstmals 2006 ohne oder nur mit geringen neuen Schulden auszukommen. Die der EU genannten Prognosen zum Abbau des Haushaltsdefizits bauten auf Wachstumsraten zwischen 2,0 und 2,5 Prozent in den Jahren 2003 und 2004 auf, räumte der Sprecher des Ministeriums Jörg Müller ein.

Bei einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent in diesem Jahr hatte Eichel mit einer Defizitquote von 2,75 Prozent unter der 3-Prozent- Marke bleiben wollen. Nun muss er seinen EU-Kollegen am 21. Januar im Ministerrat die Lage erläutern. Die Kommission in Brüssel, die bereits von einem deutschen Defizit in diesem Jahr von 3,1 Prozent ausgegangen war und der Bundesregierung für die Haushaltskonsolidierung ein Ultimatum bis Mitte Mai gestellt hatte, kommentierte die aktuelle Entwicklung nicht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wachsrumsprognosen nach unten korrigiert

Die jetzige Diskussion war beim Treffen der Fraktionsspitzen von SPD und Grünen in Wörlitz neu entbrannt. Das Bundeskabinett will den Jahreswirtschaftsbericht am 29. Januar verabschieden. Die anhaltende Wirtschaftsschwäche zwingt die Regierung, das Wachstum von offiziell plus 1,5 nach unten zu korrigieren. Die Institute schätzen die Steigerungsrate derzeit zwischen 0,6 und 1,1 Prozent.

Wie aus der Regierung bekannt wurde, wird Clement die Rate im Wirtschaftsbericht jetzt auf 1,0 Prozent drücken, was die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden beeinträchtigen wird. Laut Bundesfinanzministerium sollen nun in Übereinstimmung mit der EU die «automatischen Stabilisatoren» wirken: Es soll also nicht mit weiteren Sparpaketen die Konjunkturschwäche weiter vergrößert werden.

SPD-Generalsekretär Olaf Scholz nannte im Anschluss an die Präsidiumssitzung der Partei die Anhebung der neuen Schulden «eine Handlungsoption.» Die SPD sei dafür, die Wirtschaftsprognosen mit «großem Realismus» und nicht «nach den gewünschten Ergebnissen» zu formulieren. Auch Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sprach von Haushaltskonsolidierung. Es wäre aber falsch, Maßnahmen zu treffen, «die die lahmende Konjunktur noch weiter abwürgen».

Westerwelle warnte vor einem «Irrweg der Neuverschuldung» und einem weichen Euro. Noch in dieser Woche solle der Bundestag über das Thema beraten. Laut Stoiber bedeutet eine höhere Neuverschuldung von heute Steuererhöhungen von morgen.