Auf dem Weg ins Büro Musik gehört. Shuffle-Modus. Und was kam? Nicht ganz auf der Höhe der Parlamentarischen Gesellschaft, aber kurz davor - Dylan.
"The lover who just walked out your door
Has taken all his blankets from the floor
The carpet, too, is moving under you
And it's all over now, baby blue."
Kein Scheiß. Schöner Zufall. Passte wie Söder auf Eimer.
Wobei: All over ist der Versuch ja nicht, eine Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen zusammen zu zwingen. Er stand gestern Nacht nur kurz vor dem Abbruch. Ende der Reise nach Jamaika. Schwampel impossible. 134 strittige Punkte in eckigen Klammern auf 61 Seiten. Klima, Verkehr, Flüchtlinge. Alles offen. CSU gegen Grüne eher wie im Wahlkampf als in Verhandlungen über eine gemeinsame Regierung. Wäre Merkel nicht Merkel und einiges und einige - von Berlusconi bis Gabriel - gewohnt in ihren zwölf Kanzlerinnen-Jahren, sie hätte schon das Gefühl kriegen können, dass ihr in dieser langen Verhandlungsnacht der Amtsteppich unter den Füßen weggezogen wird.
Jamaika-Sondierungen sind schwer und zäh
Das ist der Stand acht Wochen nach der Bundestagswahl, nach einem Monat des Testens, ob diese vier so unterschiedlichen Partner es tatsächlich vier Jahre miteinander in einer Regierung aushalten. Muss man sich ja immer mal wieder klar machen: Es geht hier nur darum zu sondieren, ob die vier auch formelle Koalitionsverhandlungen aufnehmen wollen. Das Vorspiel. Spätestens heute Morgen hätte es vorbei sein sollen.
In Niedersachsen haben SPD und CDU übrigens gestern ihren Koalitionsvertrag präsentiert. Die wollten vor der Wahl auch nicht koalieren, mussten aber mangels Alternative. Die Wahl in Niedersachsen fand übrigens drei Wochen nach der Bundestagswahl statt. Das nur zur Dimension, wie schwer und zäh es im Bund ist.
Immerhin, inzwischen sitzen sie wieder in der Parlamentarischen Gesellschaft und verhandeln nach und weiter. Wenig gewagte Prognose: Sie werden sich einigen, irgendwie, irgendwann. Weil alle wissen, dass sie müssen. Und weil die allermeisten von ihnen auch ausreichend staatspolitische Verantwortung besitzen, sich dieser Erkenntnis und in ihr Schicksal zu fügen. Kann sich schließlich nicht jeder in die gemütliche Oppositionsdecke kuscheln. Und wie der gewitzte Kollege Jan Rosenkranz bemerkt: Das grüne Wahlprogramm trug den Titel "Zukunft wird aus Mut gemacht" - und das dürften alle Sondierer kennen, sie haben sich ihre Programme ja gegenseitig oft genug vorgelesen.
Jamaika schönkiffen bringt nichts
Sicher, wer unbedingt möchte, kann sich Jamaika fröhlich kiffen, als Aufbruch in moderne Zeiten, in denen sich das Bürgertum mit seinen zeitweise aus der Art geschlagenen Kindern versöhnt, in denen Ökonomie und Ökologie ein starkes Zukunftsbündnis schmieden. Yo. Die Wahrheit hinter den Rauchschwaden ist: CSU und Grünen passen nicht zueinander. FDP und Grüne nur sehr schwer. Und selbst CDU und CSU oft nur unter dem Druck bevorstehender Wahlen. Die Sondierungsgespräche hätten eine Chance geboten, diesen Eindruck zu widerlegen. Sie haben ihn eher verstärkt. Wie CDU, CSU, FDP und Grüne zusammen unfallfrei diese Republik regieren wollen, das allerdings kann man sich nur bei einem Pfeifchen vorstellen und unter extremer Verleugnung der politischen Realität. Zwangsehen enden selten glücklich. Das ist die schlechte Nachricht.

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Es gibt aber auch eine gute. Sie betrifft alle Politikverächter und Einheitsbreikritiker. Die müssten, wenn sie nicht komplett ignorant sind, in den vergangenen vier Wochen ein Aha-Erlebnis gehabt haben. Wenn diese Sondierungsgespräche eines demonstriert haben, dann nämlich das: DIE sind doch nicht alle gleich; es gibt - neben glücklicherweise vielen Gemeinsamkeiten - eben doch genügend Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien. Sie sind zum Teil sogar so gravierend, dass ein Kompromiss kaum möglich scheint. Wer sehen möchte, hat durchaus eine Wahl jenseits der AfD.
Nicht auszuschließen, dass es ein kalkulierter Nebeneffekt der zähen Jamaika-Übung war, genau diese Unterschiede einmal so richtig zu demonstrieren.
Deshalb, mit Dylan: Strike another match, go start a new...