Da war erstens ein Mann, der sich "Jason" nennt und offenbar einen Hintergrund im internationalen Geheimdienstmilieu hat. Dann ging es um angebliche finanzielle Hilfen aus Katar für die als Terrororganisation eingestufte Hisbollah-Miliz im Libanon. Dazu kam es offenbar zu Verhandlungen über Schweigegelder oder zumindest Provisionen. Und mittendrin steckte der damalige Vorstandschef der PR- und Lobbyagentur WMP Eurocom, Michael Inacker, der gerne seinen christlichen Glauben herausstellt. Diese Geschichte machte im Juli vergangenen Jahres Schlagzeilen, auch im stern.
Jetzt gibt es neue Vorwürfe, insbesondere gegen den 56-jährigen Inacker. Dem stern liegen Unterlagen vor, die ihn erneut belasten. Jetzt schon steht der Vorwurf im Raum, dass er "Jason" im Mai 2020 helfen wollte, aus dem Emirat Katar Zahlungen herauszuschlagen – angeblich 750.000 Euro, die man aufgeteilt hätte. Im Gegenzug sollte "Jason" von ihm in Katar recherchierte Informationen für sich behalten, wonach hochrangige Personen in dem Emirat die in Deutschland als Terrororganisation eingestufte Hisbollah finanziell unterstützten.
Das war bekannt. Mehr denn je erscheint es wahrscheinlich, dass Inacker dabei das Opfer einer sogenannten Sting Operation wurde – also einer typischen geheimdienstlichen Falle, in der ein Lockvogel seine Zielperson auf frischer Tat überführt. "Jason" will das weder bestätigen, noch dementieren. Er war aber offenbar in einem frühen Stadium mit israelischen Stellen in Kontakt. Über die Katar-Vorwürfe wurde dann im Juli 2020 in den Medien berichtet, auch im stern.
Inacker hatte sich bereits im Sommer mit dem Hinweis verteidigt, dass er ja den Bundesnachrichtendienst (BND) über die mögliche Katar-Hisbollah-Connection informiert habe – was freilich nichts daran ändert, dass eine Schweigevereinbarung mit "Jason" dem Emirat peinliche öffentliche Enthüllungen erspart hätte.
Jetzt gibt es konkrete Hinweise, dass sich die Staatsanwaltschaft von New York in den USA für die Katar-Informationen des Mister "Jason" interessiert, der in den USA von der Anwältin Rebecca Castaneda vertreten wird. Dem stern liegen Unterlagen vor, wonach "Jason" sich am 12. Februar 2018 in einer Suite des Münchner Luxushotels "The Charles" mit einem hochrangigen Berater des Königs Salman von Saudi-Arabien getroffen habe, sowie mit dem damaligen WMP-Chef Inacker.
WMP unterhielt damals noch einen Vertrag mit dem Informationsministerium des Königreichs Saudi-Arabien. Die Aufgabe der PR-Agentur: In Deutschland Stimmung für das Regime von Riad machen. Ein schwieriger Kunde – aber jetzt taucht auch der Vorwurf auf, dass Inacker diesen Kunden hintergangen haben könnte.
Waffen aus Belarus und Serbien?
Laut einem Protokoll des Treffens in München machte "Jason" dort Anschuldigungen über Waffenlieferungen, die von Personen aus Katar organisiert wurden – mit Lieferanten in Belarus, Serbien und Mazedonien und Empfängern unter anderem im Bürgerkriegsland Jemen. Angeblich sei auch ein Mitglied der in Katar regierenden Al-Thani-Familie involviert. "Jason" bot demnach auch an, die katarischen Protagonisten als Lockvogel "hereinzulegen" – so wie es dann wohl im Jahr 2020 in Berlin in der Tat Inacker widerfuhr.
Glaubt man dem Protokoll, dann war der saudi-arabische Berater sehr beeindruckt von der Fülle des Materials.
Später soll die Sache eine bemerkenswerte Wendung genommen haben. Der Saudi-Berater und Inacker hätten entschieden, so die Anschuldigung in den Unterlagen, die brisanten Informationen nicht im eigenen Königreich weiterzuleiten, sondern die Katarer damit zu konfrontieren. Das sei "profitabler", sei gesagt worden. "Jason" glaubt heute, dass Inacker und der Saudi-Berater wohl von ihrer eigenen "Gier geblendet" worden seien und sie deshalb die Lockvogel-Gefahr überhört hatten.
Inacker habe angeboten, den Botschafter des Emirats in Brüssel zu kontaktieren. Den kannte er, weil der Diplomat früher in Berlin als Botschafter amtierte. Bis Frühjahr 2017 hatte WMP auch für Katar gearbeitet.
Offenbar wurde der Vertrag mit Katar dann beendet, weil Anfang Juni 2017 der Konflikt zwischen dem Emirat und Saudi-Arabien eskalierte und die von Inacker geführte PR-Agentur nicht mehr für die beiden verfeindeten Seiten gleichzeitig arbeiten konnte.
Bis zu 10 Millionen Euro erhofft
Sicher ist, dass WMP bis Ende 2018 weiter für Saudi-Arabien tätig war. Kurz darauf, Anfang 2019, trafen "Jason" und Inacker dann den Botschafter der Katarer in Brüssel. Inacker sprach später öffentlich davon, dass "Jason" sich erhofft habe, bis zu zehn Millionen Euro mit dem Material zu erlösen, das Katar belastet hätte. Unstrittig ist auch, dass Inacker eine Provisionsvereinbarung mit einer "Jason" zugeordneten Firma auf der Karibikinsel Dominica schloss, die WMP bei Geschäften mit Katar "20 Prozent des Umsatzes" versprach.
"Ich war ziemlich enttäuscht als ich feststellen musste, dass der Chef von WMP dieses Geld von den Katarern annehmen wollte", sagte "Jason" später dem Deutschlandfunk. Er freue sich aber darüber, dass seine Arbeit nun wohl dazu geführt habe, dass "andere Lobbyfirmen hoffentlich zweimal darüber nachdenken, bevor sie Geld der Katarer annehmen, um illegale Zahlungen für Terrororganisationen zu vertuschen".
Inacker ließ jetzt eine Anfrage zu den neuen Vorwürfen unbeantwortet.
Im WMP-Aufsichtsrat wusste man angeblich nichts von Jason
Zusätzliche Bestätigung für die älteren Vorwürfe gegen Inacker kommt jetzt von seinem ehemaligem Arbeitgeber WMP. Dem stern liegt eine Strafanzeige vor, die der Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate im Auftrag der Firma am 27. Januar bei der Staatsanwaltschaft Berlin einreichte und über die auch schon der "Business Insider" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet hatten. Der Vorwurf gegen Inacker: Untreue zu Lasten der Agentur.
Bereits nach den Enthüllungen über Inacker und "Jason" im Sommer 2020 hatten sich WMP und Inacker getrennt. Der Ex-"Bild"-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje, dem nach eigenen Angaben mehr als 50 Prozent der Aktien von WMP gehören, sieht sich heute von Inacker getäuscht. Er wie alle Mitglieder des Aufsichtsrats habe von den Deals mit "Jason" leider "nichts" gewusst, heißt es in der Strafanzeige. Tiedje sah Inacker offenbar ursprünglich als eine Art Erbe und sinnt jetzt anscheinend auf Rache.
Bereits am 18. September 2020 hatte der WMP-Aufsichtsrat Ulrich Marseille offenbar sogar Inacker aufgefordert per Eidesstattlicher Versicherung zu bestätigen, dass er "kein Geld in der Causa Jason G., weder für die WMP noch für sich selbst, angenommen" habe – was er verweigert habe.
Strate nennt nun Inacker einen "Hasardeur, der jede Bodenhaftung verloren hat". Spätestens durch seine Gespräche mit "Jason" entstehe ein "Kriminalfall".
Zwei Verträge mit einer Firma in der Karibik
Strate zitiert eine Mail von Inackers seinerzeitigen Assistentin, aus der "unzweideutig" hervorgehe, dass zwischen "Jason" und Michael Inacker "ernsthaft Verhandlungen über wechselseitig zu gewährende Provisionen geführt worden sind". Dann seien gleich zwei Verträge zwischen WMP und der Firma auf Dominica in der Karibik geschlossen worden, die "Jason" zuzuordnen war.
Beide Verträge tragen laut der Strafanzeige die Unterschriften von "Jason" und von Inacker. Der einzige Vertrag, in dem ein Geschäftsabschluss in Katar einen Provisionsanspruch für WMP auslöse, sei ein Kontrakt vom 3. August 2019. Dieser Vertrag mache aber nur Sinn, wenn beabsichtigt war, tatsächlich das im Besitz von "Jason" befindliche, "kompromittierendes Material enthaltende Dossier an interessierte Stellen in Katar für eine erkleckliche Summe zu verkaufen, quasi als Schweigegeld".
Inacker versicherte im vergangenen Jahr, bei dem Vertrag betreffend Katar sei es nur um potenzielle Unternehmenskunden gegangen, nicht um Staaten oder Regierungen. Er bestritt, dass er jemals Geld über Geschäfte mit "Jason" kassiert habe. Und er dementierte jede Beteiligung an einem Schweigeabkommen zwischen "Jason" und den Katarern. Aber wie jetzt auch in der WMP-Strafanzeige behauptet wird, hatte der damalige WMP-Chef für "Jason" offenbar den Kontakt zu einer Berliner Anwaltskanzlei vermittelt, die den Entwurf einer Art Schweigevereinbarung aufsetzen sollte.
Die neue Strafanzeige von Anwalt Strate zitiert auch die Tonaufzeichnung eines Gesprächs zwischen Inacker und "Jason" am 5. Mai 2020. Die "Äußerungen des Dr. Inacker" seien dort "überwiegend zu verstehen". Der mutmaßliche Geheimdienstler bot Inacker dort an, ihm beziehungsweise WMP "von der in Aussicht gestellten Zahlung in Höhe von 750.000 Euro einen Anteil von 300.000 Euro überlassen" zu wollen. Inacker erklärt seine Zustimmung und bekräftige, dass er dieses Angebot "totally fair" finde.
Glaubt man einem Transkript dieses Gesprächs vom 5. Mai 2020, das auch dem stern vorliegt, dann war Inacker sehr wohl bewusst, dass es hier darum ging, den Ruf des Emirats Katar zu retten. Er sah demnach selbst ein großes Rufrisiko für Katar, falls die Geschichte mit der Hisbollah-Connection herauskäme. Eine Schlagzeile, dass ein Bürger des Emirats die Todfeinde Israels finanziert? "Dann hat Katar ein Problem", soll Inacker gesagt haben – eine Aussage, die er nicht bestritt.
Inackers Anwalt wies jetzt aber die Vorwürfe in der WMP-Strafanzeige zurück. Sie entbehrten "sämtlich einer sachlichen Grundlage".
Inacker verlangte die Pflege unserer "christlichen Wurzeln"
Der flexible PR-Manager, der erst für Katar und dann für Saudi-Arabien arbeitete, bevor er wieder mit deren Erzfeind Katar anbandelte, hat einen Ruf als gläubiger Protestant und bekennender Konservativer zu verlieren. Er ist Vorstand des Kuratoriums einer Organisation namens "Internationale Martin Luther Stiftung". Dort amtiert er Seite an Seite mit der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt und der Managerin Nicola Leibinger-Kammüller. "Unser Land hat seinen Kompass verloren", schrieb er vor einigen Jahren in einem Kommentar für die konservative evangelische Nachrichtenagentur Idea. Und: Inacker verlangte die Pflege unserer "christlichen Wurzeln".
Wie hat die Berliner Staatsanwaltschaft die Strafanzeige gegen ihn aufgenommen? Bisher ließ die Ermittlungsbehörde eine Anfrage des stern unbeantwortet. Auch die Botschaft des Emirats Katar in Berlin reagierte nicht auf eine Anfrage. Bereits im Sommer 2020 hatte man dort keine konkreten Fragen beantwortet, aber versichert, man sei "an der vordersten Front" beim Kampf gegen die Terrorfinanzierung aktiv.