Kernkraftwerke Lehren aus Tschernobyl

Mit der dritten und vierten Reaktorgeneration wollen Kraftwerksbauer die Nuklearenergie rehabilitieren.

Drei neue Typen von Kernkraftwerken sollen die Erzeugung von nuklearer Energie sicherer machen und den radioaktiven Müll reduzieren: der Europäische Druckwasserreaktor EPR, der aus Deutschland stammende Kugelhaufenreaktor sowie die geplante vierte Generation von Kernkraftwerken.

Der EPR, eine Entwicklung von Siemens und dem französischen Unternehmen Framatome, zählt zur dritten Generation von Atommeilern. Die Erbauer hoffen, mit ihm das Vertrauen der Bevölkerung in diese Energieform wieder zu erhöhen - weil der EPR einen sehr viel höheren Sicherheitsstandard erfüllen soll als die 18 derzeit in Deutschland aktiven Reaktoren. Der wichtigste Punkt: Früher gingen die Ingenieure davon aus, doppelt und dreifach ausgelegte Kühlsysteme würden eine Kernschmelze unmöglich machen. Ein Irrtum, wie Tschernobyl gezeigt hat. Der Europäische Druckwasserreaktor des deutsch-französischen Joint Ventures sei nun für diese nach wie vor sehr unwahrscheinliche Katastrophe so gerüstet, dass die Umwelt verschont bleibe, versichert Framatome.

Auch gegen einen Jumbo-Jet soll der EPR geschützt

Dazu wurde der Reaktorbehälter in eine Wanne aus Keramik und sechs Meter dickem Beton gebettet. Im Unglücksfall soll dieser "Core Catcher" - auch Aschenbecher genannt - die Kernschmelze auffangen. Anschließend würde das Becken mit Wasser geflutet und gekühlt, eine doppelte Betonhülle soll dafür sorgen, dass kein radioaktiver Dampf nach außen dringt. Auch gegen den Absturz eines Jumbo-Jets ist der EPR nach Angaben von Framatome geschützt - durch die knapp drei Meter dicke Betonschale.

Der Druckwasserreaktor ist enorm leistungsstark: Er soll 1600 Megawatt liefern - herkömmliche Kernkraftwerke schaffen 1300 Megawatt - und 60 Jahre lang Strom produzieren. Finnland will im kommenden Jahr mit dem Bau eines EPR beginnen (siehe Grafik), auch in Frankreich gibt es bereits konkrete Pläne.

Weniger Leistung, aber noch mehr Sicherheit soll der Hochtemperaturreaktor (HTR) des südafrikanischen Energiekonzerns Eskom bieten, auch Kugelhaufenreaktor genannt. Er wird mit tennisballgroßen Kugeln aus Grafit und Uran betrieben, in denen jeweils 15 000 Körnchen aus Uranoxid eingelagert sind. Während der Kettenreaktion erhitzen sich die Kugeln. Anschließend werden sie mit gasförmigem Helium gekühlt, das die Hitze abführt und eine Strom erzeugende Turbine antreibt. Die Idee stammt aus Deutschland, wo Physiker am Forschungszentrum Jülich 1966 einen Kugelhaufenversuchsreaktor mit 15 Megawatt Leistung in Betrieb nahmen. Der Vorteil des Modells: Selbst wenn die Kühlung ausfiele, würden sich die Kugeln höchstens auf 1600 Grad Celsius erhitzen. Ist der Reaktor klein genug, kann die Restwärme den Kern nicht zum Schmelzen bringen. Zugleich unterbindet das heiße Grafit die Kettenreaktion. Der Reaktor stoppt, ohne dass man Abschaltstäbe in den Kern fahren muss. Tatsächlich wurde der Jülicher Versuchsreaktor routinemäßig durch Abstellen der Kühlung ausgeschaltet.

Es gab Probleme beim Betrieb

In Deutschland endete der Traum vom katastrophensicheren Atommeiler mit dem zwei Milliarden Euro teuren Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop. Das Kraftwerk war auf 300 Megawatt ausgelegt - zu viel, um noch als inhärent sicher zu gelten. Außerdem gab es Probleme beim Betrieb. Just eine Woche nach dem GAU von Tschernobyl 1986 verstopften Brennstoffkugeln ein Rohr, jedes Jahr gingen mehrere tausend Kugeln zu Bruch. 1989, nach nur drei Jahren Laufzeit, wurde der Reaktor stillgelegt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Als Siemens im selben Jahr die Pläne für einen Kugelhaufenreaktor aus mehreren kleinen Modulen vorlegte, war es zu spät. An neue Atommeiler war in Deutschland nicht zu denken. Eine Tochtergesellschaft des südafrikanischen Energiekonzerns Eskom hat inzwischen den Siemens-Typ weiterentwickelt und will einen HTR nahe Kapstadt bauen. Die Vision der Südafrikaner ist es, kleine 165-Megawatt-Module quasi am Fließband zu fertigen. Der Kunde müsste sie nur noch zu einem großen Kraftwerk zusammenstöpseln. Zehn bis 20 Baukastenreaktoren möchte das Unternehmen jährlich exportieren - vor allem in asiatische Länder.

Die vierte Generation der Kernkraftwerke gibt es bisher nur auf dem Papier. Sechs Modelle stehen in der engeren Wahl, darunter der "Very High Temperature Reactor" sowie ein Flüssigsalzreaktor. Sie sollen so wirtschaftlich sein wie der EPR, so sicher wie der Hochtemperaturreaktor - und weniger Abfall erzeugen. Denn auch die Atombefürworter wissen, dass die Bereitstellung geeigneter Endlager für den radioaktiven Restmüll eines ihrer größten Probleme ist.

Die neuen Reaktoren sollen ihren Brennstoff selbst erbrüten

Die Reaktoren der Generation IV sollen ihren Brennstoff teilweise selbst erbrüten. Als Kühlmittel werden Natrium, Blei und Helium verwendet, weil sie die Neutronen nicht so stark abbremsen wie Wasser. Schnelle Neutronen sind besser geeignet, aus Natururan oder dem alternativen Brennstoff Thorium brauchbaren Brennstoff zu erbrüten - und Plutonium zu spalten. Ein Vorteil des Verfahrens: eine bessere Ausnutzung des begrenzten Rohstoffs Uran. Laut der internationalen "roadmap" für die AKW-Generation IV, einer vom US-Energieministerium initiierten Studie, reichen die Uranvorkommen nur noch bis 2030, die zusätzlich vermuteten Reserven bis 2070. Ein weiterer Vorteil: Bei einigen Verfahren entsteht Plutonium, das noch im Brennelement durch Neutronenbeschuss zu einem großen Teil in harmlosere Spaltprodukte umgewandelt werden soll. Das Plutonium wird nicht mehr vom übrigen Brennstoff getrennt wie bei der Wiederaufbereitung - was Diebstahl und Bombenbau erschwert. Auch das Plutonium ausgedienter Atomwaffen ließe sich mit diesen Reaktoren verbrennen.

Die Generation-IV-Kernkraftwerke sollen ab 2015 von den Partnerländern der roadmap, darunter Großbritannien, die Schweiz und Frankreich, erprobt werden.

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Max Rauner