Koalition Grüne gehen auf Distanz

Führende Grünen-Politiker haben sich vom Koalitionspartner SPD distanziert. Als Reaktion auf das neue Linksbündnis verlangen sie von ihrer Parteispitze, neue Wege zu gehen. Außenminister Fischer hat eine Neuausrichtung angekündigt.

Mehrere führende Politiker der Grünen sind vor den geplanten Bundestagswahlen auf Distanz zum bisherigen Koalitionspartner SPD gegangen. "Die SPD ist in Auflösung begriffen und derzeit nicht mehr fähig zu regieren", sagte Parteiratsmitglied Antje Hermenau der "Bild am Sonntag" einem Vorabbericht zufolge. "Mit so einer Partei gibt es kein rot-grünes Projekt mehr." Der Bundestagsabgeordnete Markus Kurth sagte dem Blatt: "Dass die SPD genug Prozente bringt, ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto." Die Fraktionschefin im Bundestag Katrin Göring-Eckardt sagte der Zeitung: "Für mich ist es sinnlos, jetzt eine Koalitionsdebatte zu führen. Es geht vielmehr darum, einen eigenständigen grünen Wahlkampf zu führen."

"Unglaubwürdige Sozialdemokraten"

Der Grünen-Politiker Rudi-Marek Dutschke hat seine Partei aufgerufen, einen Schlussstrich unter die Zusammenarbeit mit der SPD zu ziehen. "Die Sozialdemokraten haben sich in meinen Augen als unglaubwürdig erwiesen", sagte der jüngste Sohn des Studentenführers Rudi Dutschke gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Auch im Fall einer Mehrheit für Rot-Grün bei der für September vorgesehenen Bundestagswahl sieht er seine Partei eher in der Opposition. "Die Grünen müssen das soziale Gewissen wieder auf die politische Tagesordnung setzen. Das haben sie sich in den letzten drei Jahren von den Sozialdemokraten wegnehmen lassen."

Dutschkes Vater starb 1979 in Aarhus (Dänemark) an den Folgen eines 1968 in Berlin auf ihn verübten Attentats. Der nach seinem Universitätsabschluss in den USA seit zwei Jahren in Berlin lebende 25-Jährige setzt sich für einen Generationswechsel in seiner Partei ein. Er bewirbt sich bei den Berliner Grünen um den als sicher geltenden zweiten Platz auf der Landesliste für den Bundestag.

Fischer kündigt programmatische Erneuerung an

Bundesaußenminister Joschka Fischer hat nun für die Bundestagswahl eine programmatische Runderneuerung seiner Partei angekündigt. Dabei gehe es um eine inhaltliche Neuausrichtung, aber auch darum, das Erreichte zu bewahren, sagte Fischer bei einer Parteiratssitzung des hessischen Landesverbandes der Grünen am Samstag in Idstein. Damit wolle man auch auf die Konkurrenz eines Linksbündnisses aus PDS und WASG reagieren, "Wir haben jetzt in zwei Richtungen zu kämpfen." Die Partei wolle alles Erdenkliche tun, um keine Wählerstimmen zu verlieren. Trotz miserabler Umfragewerte sehe er auch noch Chancen für einen rot-grünen Sieg. "Das ist alles noch nicht gelaufen", sagte Fischer.

Die Grünen hätten vor einem Linksbündnis keine Angst, erklärte Fischer. Seiner Meinung nach sei das Bündnis ein Narrenzug am Hofe der Konservativen, welcher der CDU den Weg zur Mehrheit ebne. PDS und WASG würden lediglich an der Vergangenheit festhalten, sagte Fischer. Zudem hätten die Akteure des Linksbündnisses klar gemacht, wie sie mit Verantwortung umgingen. Fischer spielte damit auf Oskar Lafontaine an, der für das Bündnis kandidieren will. Der ehemalige SPD-Chef war nach der Bundestagswahl 1998 nach nur einem Monat als Bundesfinanzminister zurückgetreten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Künast lehnt Kurswechsel ab

Bundesverbraucherministerin Renate Künast hat dagegen Forderungen aus dem linken Flügel ihrer Partei nach einem Kurswechsel zurückgewiesen. Der "Berliner Zeitung" (Samstagausgabe) sagte sie, die Verjüngung der Partei gehe weiter. Die Grünen bräuchten aber "keinen generellen Spurenwechsel". Man habe auch nichts an eigener Politik zu dementieren. Zum neuen Linksbündnis von WASG und PDS sagte Künast, von Lafontaine und Gysi wisse man, "dass sie sich immer dann vom Acker machen, wenn sie Verantwortung für ihre schönen Sprüche übernehmen müssen".

Der Vize-Fraktionschef im Bundestag Christian Ströbele sagte der "Berliner Zeitung" (Samstagausgabe) zufolge, "das neue Bündnis ist für die Grünen eine Chance auf eine Kurskorrektur". Die Grünen dürften das linke Spektrum nicht freigeben. "Ansonsten bekommen wir bei der Wahl große Probleme", sagte Ströbele.

Der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann forderte ein "Signal an die grünen Wähler, dass die Agenda 2010 auch Falsches enthalten hat". Korrekturen seien überfällig.

AP · DPA · Reuters
AP/DPA/Reuters