Koalitionskompromiss "Trauerspiel" abgepfiffen

Es soll der letzte Versuch einer überparteilichen Einigung sein: In Sachen Zuwanderungsgesetz nimmt Kanzler Schröder die Gespräche mit der Union nun persönlich in die Hand.

Die nahende Entscheidung im Kampf um die Deutsche Fußballmeisterschaft inspiriert offenbar auch die Spitze der rot-grünen Koalition. "Das bisherige Trauerspiel in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses geht nicht weiter. Es wird ein neues Spiel angepfiffen", sagte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer über den neuesten Stand beim Streit über das Zuwanderungsgesetz.

Will heißen: Die beiden Regierungsparteien haben sich bei einem Gipfeltreffen darauf verständigt, wie sie die zerfahrene Situation um eine neue Zuwanderungsregelung lösen wollen. Danach soll Bundeskanzler Schröder zunächst mit der Opposition ausloten, ob es noch Chancen für einen parteiübergreifenden Kompromiss gibt. Anschließend entscheiden SPD und Grüne gemeinsam, ob weitere Verhandlungen noch Sinn machten.

Klarheit noch vor der Europawahl

Bis Anfang Juni und damit noch vor der Europawahl solle darüber Klarheit herrschen, hieß es nach einem Koalitionstreffen am Freitag. Die Koalition werde Teile des Zuwanderungsgesetzes allein durchsetzen, sollten die Verhandlungen mit der Union endgültig scheitern. Die Grünen, die die bisherigen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss einseitig beendet hatten, zeigten sich zufrieden.

Die Opposition müsse sich nun darüber klar werden, ob sie eine Einigung über das Zuwanderungsgesetz wolle oder nicht, sagte Müntefering. "Priorität ist ein gemeinsames Gesetz", so der SPD-Chef. Wenn aber die Opposition "aus offensichtlich taktischen Gründen" nicht zu einer Verständigung bereit sei, dann werde die Koalition alleine handeln.

Zu den Vorhaben, die die Regierung ohne Unionshilfe durchboxen will, gehören die Ausländerintegration, die Einwanderung hoch Qualifizierter, ein besserer Schutz bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung. Beim Thema Sicherheit könne die Koalition eine erleichterte Abschiebung von als gefährlich eingestuften Ausländern allein regeln. Entsprechende Gesetze würden noch vor der Sommerpause auf den Weg gebracht werden, sollte es keine Einigung mit der Union geben.

Allerdings habe Müntefering den Eindruck, dass mit den unionsgeführten Ländern ein Konsens möglich sei. Widerstände gebe es aber in der Unions-Bundestagsfraktion. Die Grünen hatten unter anderem wegen der Forderungen der Union im Bereich Sicherheit die Gespräche für gescheitert erklärt. CDU und CSU hatten sich zuletzt zwar für weitere Gespräche ausgesprochen, Zugeständnisse in den Sicherheitsfragen aber abgelehnt.

Grüner Parteitag entscheidet Sonnabend

Die Grünen hatten am Montag ihren Ausstieg aus den Verhandlungen mit der Opposition für den Fall erklärt, dass die Union ihre Forderungen zur Verschärfung der Anti-Terror-Maßnahmen nicht zurück nimmt. Die SPD hatte dagegen weiter auf einen parteiübergreifenden Konsens gesetzt. Am Sonnabend wollen die Grünen den Koalitionskompromiss auf einem kleinen Parteitag in Berlin zur Abstimmung stellen. Das Votum der 80 Delegierten des Länderrats wird für die Partei bindend sein.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Was die angespannte Haushaltslage betrifft, will die Bundesregierung ihren Kurs in der Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht ändern. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlossen die Koalitionsspitzen aus. Die Möglichkeit einer höheren Neuverschuldung 2004 und 2005 ließen sie aber offen.

"Es muss mit beidem weiter gehen: mit Konsolidierung und Wachstum", sagte Müntefering nach der Sitzung des Koalitionsausschusses. "Es gibt keinen Grund für spektakuläre Veränderungen der politischen Linie." Zudem stellte er klar, dass eine Mehrwertsteuererhöhung nicht geben werde. Auch Bütikofer sagte, darüber und über die generelle Ablehnung von Steuererhöhungen habe in der Runde Einigkeit bestanden.

Rechnungshof rügt Verschuldung scharf

Offen ließ Müntefering hingegen, ob die Regierung angesichts neuer Lücken bei den Steuereinnahmen eine höhere Neuverschuldung hinnehmen würde. Dies werde erst entschieden, wenn die Zahlen der Steuerschätzung am 13. Mai vorlägen und man auf dieser Basis an die Aufstellung des Bundeshaushalts 2005 gehe. Finanzminister Hans Eichel (SPD) habe im Übrigen weiterhin das Vertrauen der Koalition.

Unterdessen forderten die deutschen Rechnungshöfe in ungewöhnlich deutlicher Form von der Regierung Maßnahmen gegen den Anstieg der Staatsverschuldung. Vermehrte Sparbemühungen seien nötig, um die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand und der sozialen Sicherungssysteme zu sichern, hieß es in einer Erklärung der Rechnungshöfe von Bund und Ländern. Die derzeitige Schuldensituation gebe zu größten Sorgen Anlass.