Kennt jemand die "Reflexionsgruppe"? Nein? Darin sitzen Außenminister Guido Westerwelle und zehn weitere EU-Amtskollegen. Sie sollen über die politischen Konturen des künftigen Europas nachdenken. Über Kompetenzverteilung, das Zusammenspiel von Kommission, Rat und Parlament, über eine gemeinsame Sicherheitspolitik und dergleichen mehr. Im Herbst will die Gruppe ihren Bericht vorlegen. Entscheidungen treffen andere. Die Staatschefs und ihre Finanzministern. Heißt für Deutschland: Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Sie sind die Player.
Westerwelle findet inmitten der schwersten Krise Europas öffentlich praktisch nicht statt. Ein Mann im Schatten. Gut möglich, dass ihn dieser Zustand so beschwert, dass er auch deswegen am Sonntag den Finger hob und in der ARD völlig überraschend Meldung machte - und zwar zum griechischen Reformprogramm. "Ich kann mir gut vorstellen, über Zeitachsen noch einmal zu reden", sagte Westerwelle mit Blick auf die neue griechische Regierung.
Was für ein Satz, was für ein Zeitpunkt. Ausgerechnet ein Liberaler, dessen Partei einen Mitgliederentscheid darüber abgehalten hat, ob Deutschland überhaupt noch einen Euro locker machen soll, tritt als nachsichtiger Griechenfreund auf. Und das ein paar Stunden vor Merkels Abflug zum G20-Gipfel, wo sie einmal mehr die eiserne Kanzlerin zu geben gedachte.
Was Merkel nicht braucht
Die Spindoktoren der FDP haben seitdem alle Mühe, die Westerwellen wieder glatt zu ziehen. Die Äußerung sei, zugegebenermaßen, nicht mit Merkel abgesprochen, hieß es auf stern.de-Anfrage. Aber als "Affront gegen die Union" sei sie auch nicht zu verstehen. Es handele sich vielmehr um eine "realistische Einschätzung". Griechenland habe aufgrund der beiden Wahlen im Mai und im Juni einige Monate Zeit verloren, weil die Regierung faktisch nicht handlungsfähig gewesen sei. Es sei naiv zu glauben, dass Griechenland die bisherigen Zeitpläne einhalten könne.
Das ist dem Vernehmen nach auch der Kanzlerin bewusst. Ihre Strategie ist jedoch eine andere. Beim G20-Gipfel in Mexiko hat sich der Eindruck verfestigt, dass sie den Druck auf den neuen griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras vorerst aufrecht erhalten will. Die Option, Samaras zuzugestehen, Reformen zu verlangsamen oder Kreditrückzahlungen zu verschieben, braucht sie als Verhandlungsmasse. Was sie nicht braucht, ist ein Außenminister, der schon vorab Nachgiebigkeit signalisiert und ihre Position schwächt.
Selbst Rösler grenzt sich ab
Entsprechend harsch kommentierte das Unionslager Westerwelles Äußerung: Merkels Regierungssprecher Georg Streiter ließ im Namen seiner Chefin ausrichten, es handele sich um eine "Gespensterdebatte", derzeit gäbe es keinen Anlass für irgendwelche "Rabatte" an Griechenland. Steffen Kampeter (CDU), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, deutete im Deutschlandfunk an, die Griechen müssten eher Tempo machen, um die Versäumnisse der vergangenen Wochen aufzuholen. Selbst FDP-Chef Philipp Rösler grenzte sich einmal mehr scharf von Westerwelle ab. "Es kann keine Rabatte geben, es kann keine Abstriche geben, sondern die vereinbarten Ziele müssen erreicht werden", sagte er bei einem Arbeitsbesuch in Washington. Nur FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sprang dem Außenminister bei.
Übrig bleibt, wie so oft bei dieser schwarz-gelben Regierung, ein kommunikativer Scherbenhaufen. Und ein Außenminister, der sich - wie schon in der Frage nach einer Intervention in Libyen - ein zweites Mal von seinem Parteichef maßregeln lassen muss. War das die Schlagzeile wert? Man dürfe Westerwelle nicht nur Kalkül unterstellen, meint ein wohlmeinender Insider der Liberalen: "Er hat sich einfach nur verplappert." Aber auch das dürfte einem Außenminister nicht passieren.
Für eine Stellungnahme war das Auswärtige Amt nicht zu erreichen.