Sie war maßgeblich an Morden und Entführungen beteiligt. Sie hat Familien zerstört und ein ganzes Land in Angst und Schrecken versetzt. Sie galt als treibende Kraft hinter dem Terror der RAF, der den bundesdeutschen Staat in seine tiefste Krise stürzte. Nach 24 Jahren Haft soll Brigitte Mohnhaupt Ende März in die Freiheit entlassen werden. Diese Entscheidung des Stuttgarter Oberlandesgerichts war zu erwarten. Und die Entscheidung ist richtig. Denn Mohnhaupt hat ihre Mindesthaftstrafe abgesessen. Wie jedem Verbrecher - sei es dem Bankräuber, dem Drogenhändler oder dem Steuerbetrüger - steht ihr damit die Entlassung auf Bewährung zu, wenn sie nicht mehr "rückfallgefährdet" ist. Davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt und hat sich deshalb für sie ausgesprochen.
Bewährung ist keine halbe Freiheit
Mit der Entlassung endet jedoch keineswegs das Kapitel Mohnhaupt. Im Gegenteil: Die Entscheidung des Gerichts bürdet sowohl der Gesellschaft wie auch der Ex-Terroristin selber große Verantwortung auf. Denn nun geht es nicht mehr darum, ob eine Freilassung angebracht wäre oder nicht. Vielmehr geht es jetzt darum, was mit der heute 57-jährigen Mohnhaupt passiert, wie sie in Zukunft behandelt werden soll und vor allem, wie sie sich in die Gesellschaft integriert, der sie damals so radikal den Rücken gekehrt hat.
Eines ist klar: Zwar ist Mohnhaupt "nur" auf Bewährung auf freiem Fuß, doch das ist keine halbe Freiheit. Obwohl die RAF-Hardlinerin gegen diesen Staat und damit auch seinen Regeln und Grundsätze kämpfte, gelten für sie alle Grundrechte. Das mag vor allem für die Angehörigen ihrer Opfer grotesk klingen, schließlich scherte sich Mohnhaupt in ihrem Kampf keinen Deut um Rechte anderer Menschen. Doch so schwer es fallen mag, man muss ihr - im Rahmen der Bewährungsauflagen - die Chance auf freie Entfaltung in ihrem zweiten Leben einräumen. Das Gericht hat, so die heutige Begründung, "keine Anhaltspunkte für eine fortdauernde Gefährlichkeit der Verurteilten". Also gibt es keinen Grund, sie zu überwachen, so sehr sich manch einer das wünschen mag. Auch hat Mohnhaupt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ob sie sich nun komplett zurückzieht und jegliche Interviews verweigert oder demnächst bei Beckmann, Kerner und Co. auftritt, ist allein ihre Entscheidung.
Doch die Freilassung auf Bewährung ist ein Vertrauensvorschuss des Staates für die einstige Erzfeindin. Weil der Staat damit einen Beitrag zur Versöhnung geleistet hat, muss auch Mohnhaupt zur Verarbeitung der "bleiernen Zeit" beitragen. Sollte sie sich für einen offenen Umgang mit der Öffentlichkeit entscheiden, kann sie den Angehörigen ihrer Opfer Klarheit verschaffen und dabei helfen, die Umstände des Terrors, der Morde und Entführungen aufzuklären. So kennt die Witwe Hanns-Martin Schleyers bis heute die Umstände der Entführung ihres Mannes nicht. Wie sehr die Angehörigen der Opfer sowie die Überlebenden noch heute leiden und nach Antworten auf ihre Fragen suchen, zeigt auch das aktuelle Buch von Anne Siemens "Für die RAF war er das System, für mich der Vater". Hier kann Brigitte Mohnhaupt, die an vielen der schrecklichen Taten beteiligt war, Licht ins Dunkel bringen.
Zukunft ist zweite Chance
Zwar ist zu vermuten, dass Brigitte Mohnhaupt in Freiheit nach den alten Kontakten, nach ihrer alten Identität suchen wird. Doch sie muss sich mit der Tatsache anfreunden, dass - anders als damals - der gewaltsame, offene Kampf gegen das bundesdeutsche System heute keinerlei Sympathien mehr genießt. Dies haben auch ihre einstiegen Gesinnungsgenossen wie Knut Folkerts, Susanne Albrecht oder Silke Maier-Witt erkannt. Diese drei, die ihr Leben im Untergrund mit einem bürgerlichen Dasein getauscht haben, könnten im Übrigen als Vorbild für Brigitte Mohnhaupt dienen.
Doch anders als Maier-Witt wird Brigitte Mohnhaupt keine Reue zeigen. Sie wird nicht um Vergebung betteln, wird keine Sorry-Tour zu den Angehörigen starten. Dafür war der RAF-Terror zu sehr Teil ihres Lebens, sie würde eine Entschuldigung als Kniefall vor dem (einst?) so verhassten System ansehen. Die Angehörigen mögen sich dies zwar wünschen und sicher wäre es eine großartige Geste der Versöhnung. Doch nach 24 Jahren Totalverweigerung durch Mohnhaupt wäre es wenig glaubwürdig. Viel wichtiger als die Vergangenheit ist deshalb die Zukunft. Diese Zukunft ist eine zweite Chance. Für den deutschen Staat im Umgang mit Brigitte Mohnhaupt und für Brigitte Mohnhaupt im Umgang mit der deutschen Gesellschaft.