Haben sich rot-rote Bündnisse mit dem Chaos von Hessen erledigt? Hat Andrea Ypsilanti also nicht nur die hessische SPD und ihren vormaligen Parteivorsitzenden Kurt Beck, sondern auch Linken-Chef Oskar Lafontaine auf dem Gewissen?
Gemach, gemach. Soviel zerstörerische Energie besitzt Ypsilanti nun auch wieder nicht. Die hessische SPD-Vorsitzende hat ihrer eigenen Partei schweren Schaden zugefügt, sie hat einem rot-rot-grünen Bündnis in Wiesbaden auf absehbare Zeit die Macht verbaut, sie hat die Perspektiven für eine Zusammenarbeit von SPD und Linkspartei im Westen nicht gerade verbessert, alles keine Frage - aber Rot-Rot hat sie nicht ans Ende geführt.
Das große Lafontaine-Interview ...
von Hans Ulrich Jörges und Jens König lesen Sie im aktuellen stern
SPD kann nicht ohne
Die Wirklichkeit ist stärker als Ypsilantis (begrenztes) politisches Talent: Früher oder später wird es im Westen Deutschlands rot-rote oder rot-rot-grüne Koalitionen geben. Eine Fortführung dieses bereits praktizierten Bündnisses im Osten (Berlin, Mecklenburg-Vorpommern) steht ohnehin außer Frage. Die SPD wird ihre Zukunft im neuen Fünfparteiensystem kaum als dauerhafter Juniorpartner einer großen Koalition sehen. Also ist die Partei, um ihres eigenen Überlebens willen, auf neue, kreative, auch schmerzhafte Bündnisse angewiesen. Das kann mal eine Ampel sein (SPD, Grüne, FDP), mal Rot-Rot-Grün (SPD, Linke, Grüne), mal Rot-Rot (SPD, Linke). Nur so kann sich die SPD dauerhaft Machtoptionen jenseits einer großen Koalition erhalten und ihre politischen Ziele realisieren.
Auf genau diese Kraft des Faktischen im neuen Fünfparteiensystem setzt Oskar Lafontaine. Das macht er im aktuellen stern-Interview deutlich. Auf die Frage, ob nach Hessen eine rot-rote Zusammenarbeit im Westen auf absehbare Zeit gescheitert ist, antwortet er mit einem klaren "Nein". Seine Begründung: "Das kann schon deshalb nicht sein, weil alles, was an Restbeständen linker Politik in der SPD noch vorhanden ist, mit CDU/CSU und FDP nicht zu erreichen ist. Die SPD wird erst dann wieder glaubwürdig, wenn sie politische Optionen hat, die sich mit ihrer Programmatik decken." Im Klartext: Die SPD kann nicht Mindestlohn, Vermögenssteuer, ein sozial durchlässiges Bildungssystem fordern und hoffen, diese Ziele besser mit CDU und FDP als mit Grünen und Linkspartei umsetzen zu können.
Option Saarland
Insgeheim wird Lafontaine über das Scheitern des rot-rot-grünen Experiments in Hessen gar nicht unfroh sein. Er hatte von Anfang seine Zweifel, ob die sechs Linken-Abgeordneten im hessischen Landtag, allesamt blutige Amateure, der historischen Aufgabe gewachsen sein würden. Jetzt setzt er das historische Stück - die erste Regierungsbeteiligung der Linken in Westdeutschland - lieber für 2009 auf die Tagesordnung. Am 30. August wird im Saarland gewählt - und nirgends im Westen ist die Linkspartei stärker, bodenständiger, sozialdemokratischer als in Lafontaines Heimat. Nirgends stehen die Chancen für die Linke, gemeinsam mit der SPD an die Macht zu kommen, so gut wie im Saarland.
Lafontaine knüpft im stern-Interview daher nicht zufällig an die positiven Erinnerungen an, die viele Saarländer mit seiner Zeit als Ministerpräsident des Landes (1985 bis 1998) verbinden. "Ich würde so regieren wie früher", sagt er. "Der Politikentwurf bleibt: Laptop und Dibbelabbes (saarländisches Kartoffelgericht)." Da die entscheidenden Schlachten, ob die SPD noch sozialdemokratisch ist, auf Bundesebene geschlagen worden sind, sei eine Zusammenarbeit mit der saarländischen SPD "problemlos möglich".
Auf Wiedersehen 2010
Das einzige Problem könnte Lafontaine selbst sein. Der frühere SPD-Vorsitzende ist für viele Sozialdemokraten immer noch ein rotes Tuch. Er lässt die Emotionen in der SPD höher kochen als zehn Ypsilantis zusammen. Lafontaine tritt für die Linke im Saarland als Ministerpräsidenten-Kandidat an. Sollte die Linke stärker werden als die SPD - in jüngsten Umfragen liegen beide Parteien mit 23 Prozent (Linke) beziehungsweise 25 Prozent (SPD) fast gleichauf -, könnte die SPD das geplante Bündnis platzen lassen und sich lieber in eine große Koalition flüchten.

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Historische Durchbrüche brauchen eben ihre Zeit. Der nächste rot-rote Versuch würde dann im Frühjahr 2010 gestartet. In Nordrhein-Westfalen. Der Ausgang: ebenfalls offen.