Murat Kurnaz wurde nach seiner Freilassung im vergangenen August von deutschen Verfassungsschützern rund um die Uhr und über Monate überwacht. Überrascht Sie das?
Ja. Deutsche Diplomaten hatten mir versichert, dies werde nicht der Fall sein. Ich erinnere mich gut: Als Murat frei kam, sagten mir die Amerikaner, er werde in deutsche Untersuchungshaft überstellt, in Deutschland werde weiter gegen ihn ermittelt. Ich war ganz panisch und redete mit Offiziellen des deutschen Außenministeriums, und die sagten: No way, Unsinn! Das könnten sie garantieren. Er werde auch nicht observiert. Murat ist unpolitisch und absolut kein Fanatiker.
Warum sollte die US-Regierung Sie so belügen?
Das tun sie aus politischen und vor allem innenpolitischen Gründen. Wegen der Außendarstellung behaupteten sie auch in etlichen weiteren Fällen, Gefangene würden nicht freigelassen - sondern kämen in ihren Heimatstaaten in Haft, zwecks weiterer Ermittlungen. Die Regierungen und Sicherheitsbehörden der Heimatstaaten ließen die Entlassenen dann aber in Ruhe.
Wer hat das letzte Wort bei einer Freilassung wie der von Kurnaz aus Guantanamo?
Das U.S.-Verteidigungsministerium. Guantanamo ist ja angelegt als eine militärische Operation. Für die Abwicklung bittet das Pentagon dann andere Ministerien um Hilfe, etwa das State Department - das Außenministerium ist dann dabei, wenn mit den Heimatstaaten über die Bedingungen gefeilscht wird.
Welche Rolle spielt eine Freilassungsempfehlung durch die CIA?
Die CIA beteiligt sich aktiv an der Militäroperation Guantanamo und kann solche Entscheidungen maßgeblich beeinflussen. CIA-Leute haben in Guantanamo viele Verhöre durchgeführt. Wenn die entscheiden, dass jemand dort unschuldig sitzt, hat das natürlich Gewicht. Aber die Entscheidung trifft letztendlich das Pentagon - anders als bei den Black-Sites, wo die wirklich wichtigen Hardcore-Verdächtigen saßen und die CIA die volle Kontrolle ausübte.
Rechtsanwalt Baher Azmy
... übernahm im Juli 2004 das Mandat Murat Kurnaz. Er besuchte den Bremer Türken fünf Mal auf Guantanamo und machte 2005 öffentlich, wie Kurnaz in Kandahar und Guantanamo gefoltert wurde. Am Donnersag wird Azmy als vor dem sogenannten "BND-Ausschuss" befragt.
Azmy wurde 1970 geboren und hat die amerikanische wie die ägyptische Staatsbürgerschaft. Der Rechtsprofessor unterrichtet amerikanisches Verfassungsrecht an der katholischen Privat-Universität Seton Hall in New Jersey. Seine Spezialgebiete sind US-Bürgerrechte, Geschichte und Verbraucherrechte. Weitere Infos über Azmy unter www.law.shu.edu
Im Fall Kurnaz haben CIA-Vertreter, deutsche Vernehmer und der Vize-Guantanamo-Chef angeblich abends zusammen gesessen, das Pentagon wurde verschlüsselt informiert über den Plan, Kurnaz als V-Mann zu nutzen, und hatte dann offenbar nichts dagegen.
Dass eine solche Entscheidung quasi bei einem Dinner und mit irgendwelchen Code-Botschaften gefällt wird, halte ich für unwahrscheinlich. Das Pentagon ist ein gigantischer, massiver, bürokratischer Apparat. Das sieht man ja schon daran, dass vor einer Entlassung oft - wie bei Murats Fall - über Monate die Bedingungen ausgehandelt werden, mit dem State Department und mit ausländischen Regierungen. Und die Bedingungen unterscheiden sich oft sehr stark, abhängig von der Person, um die es gerade geht - und von dem Staat, aus dem die Person kommt.

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Warum hat Kurnaz so lange in Guantanamo verbringen müssen?
Viele Faktoren haben dabei Rolle gespielt, dass dieser unschuldige junge Mensch dort so lange dort leiden musste. Wichtig dabei: Es geht ja bei Guantanamo nie nur um Schuld oder Unschuld. Es geht um Politik, Diplomatie, auch um militärische Entscheidungen, und nicht um die Qualität der Beweise. Welchen Bündnispartner sollten wir uns gerade durch eine Geste wie eine Freilassung gewogen machen? Bedenken Sie, dass Gefangene viel früher frei kamen als Murat Kurnaz, die eine ganz andere Vita hatten als er: Echte Taliban gehörten zu den ersten, die sie raus ließen. Oder auch Briten und Franzosen, die teils in Ausbildungslagern in Afghanistan nachweislich aktiv gewesen sind - Türken ebenso.
Wie sehen Sie die Rolle der früheren Bundesregierung dabei?
Kurnaz ist unschuldig, und das wussten die USA und Deutschland schon seit langem. Es ergibt sich auch aus Akten, die ich einsehen durfte und die noch immer klassifiziert sind. Murat war vor seiner Verhaftung nicht in Afghanistan, er hatte keine Verbindung zu Taliban und al Kaida. Die anderen Vorwürfe halte ich für vage bis absurd, sie sind strafrechtlich unbedeutend. Hätte die Bundesregierung sich früher gekümmert, wäre er früher freigekommen.
Was geht aus diesen geheimen Unterlagen, die Sie einsehen konnten, etwas über die Rolle der Bundesregierung im Fall Kurnaz hervor? Ist dort zum Beispiel ein Freilassungsangebot der USA aus dem Jahr 2002 dokumentiert, und der Umgang der Bundesregierung damit?
Wir versuchen gerade, auf juristischem Wege zu erwirken, dass diese Unterlagen deklassifiziert werden, aber das kann dauern. Inhalte wurden teilweise in amerikanischen Medien veröffentlicht. Die Unterlagen zeigen demnach vor allem, dass Deutschland Kurnaz für unschuldig hielt.
Sie haben ihn fünf Mal in Guantanamo besucht. Unter welchen Bedingungen verlaufen solche Anwaltsbesuche?
Ich konnte mit ihm über seine Situation reden, auch über Folter, ihm alle Fragen stellen und dabei Notizen machen. Aber diese Notizen, alles, was er sagte, blieben vorerst geheim. Sie wurden nach Prüfung im US-Justizministerium freigegeben. Nicht freigegeben werden Botschaften an die Familie oder die Öffentlichkeit. Ich durfte ihm anfangs nichts sagen, was draußen in der Welt passiert. Fotos von der Familie konnte ich ihm erst zeigen, nachdem ich sie 1o Tage vorher - später 3 Tage vorher - an das Justizministerium geschickt hatte. Unsere Treffen wurden angeblich nicht aufgezeichnet - jedenfalls ist es das, was sie mir sagten. Einmal, Anfang 2006, ließ man mich nicht zu ihm und sagte mir auf Guantanmo, er wolle mich nicht sehen. Bei meinem nächsten Besuch kam heraus, dass er über meine Anwesenheit damals gar nichts wusste. Das alles war nicht einfach.
Er hat mit Ihnen über Folter geredet, aber nicht erzählt, was er später im stern öffentlich machte: Dass deutsche Soldaten ihn in Kandahar misshandelt hätten. Warum hat er Ihnen das in Guantanamo nicht gesagt?
Er hat es mir erst nach seiner Freilassung gesagt. In Guantanamo erzählte er auch nicht von sich aus, wie er behandelt worden war - aus Scham oder aus Vorsicht. Ich musste ihm erst erklären, dass die juristisch durchaus wichtig sei.
Wie war Ihre Zusammenarbeit mit deutschen und türkischen Regierungsstellen?
Mit einem Vertreter der deutschen Botschaft in Washington habe ich mich getroffen, ein netter Mensch, sehr interessiert. Er hatte aber ein Problem: Murat sei Türke. Ich hatte den Eindruck, ihm ging es nicht gut, als er das sagte. Er wollte helfen, aber ihm waren die Hände gebunden. Am selben Tag konnte ich bei der türkischen Botschaft auch einen Mann sprechen: Der hatte offenbar überhaupt kein Problem mit dem Lager in Guantanamo, war völlig einsilbig und desinteressiert.
In Deutschland tobt eine Medienschlacht darüber, wie gefährlich Kurnaz denn nun wirklich war und ist. Vor allem geht es darum, für wie gefährlich ihn deutsche Sicherheitsbehörden 2002 einschätzen mussten. Was meinen Sie?
Trotz aller gegenteiligen Beweise suggerieren Vertreter der deutschen Regierung noch immer, dass Murat eine Gefahr ist. Das ist er nicht. Mir wurde vom Auswärtigen Amt versichert, dass er nach seiner Rückkehr nicht beobachtet werden wird; aber Geheimdienste scheren sich eben wenig um Diplomatie oder Menschenrechte. Sie handeln dabei nicht auf der Grundlage von Beweisen. Ihr Verdacht kann einfach nicht mehr sein als Spekulation. Und es wäre ja nicht das erste Mal, dass man Geheimdienste politisch instrumentalisiert.