Nach Razzia Kriminelle Vereinigung oder nicht? Deutsche Politiker streiten über die "Letzte Generation"

Friedrich Merz sagt über die Letzte Generation: "Das sind Straftäter und keine Gesprächspartner"
Friedrich Merz sagt über die Letzte Generation: "Das sind Straftäter und keine Gesprächspartner"
© Carsten Koall / DPA
Die einen halten die Letzte Generation für eine kriminelle Vereinigung, die anderen halten das Vorgehen der Polizei für übertrieben. Politiker und Juristen schätzen die Gruppe und ihre Aktivitäten ganz unterschiedlich ein.

Nach den Razzien gegen Mitglieder der Klimaschutzgruppe Letzte Generation werden parteiübergreifend Zweifel laut, ob diese als kriminelle Vereinigung einzustufen sei. Mehrere Politikerinnen und Politiker machten am Donnerstag deutlich, dass sie zwar die Methoden der Gruppe ablehnen, jedoch auch das Vorgehen der Behörden kritisch sehen. Die Letzte Generation schaltete nach der Beschlagnahmung ihrer Website einen neuen Internetauftritt frei und rief zu weiteren Protesten auf.

Im Auftrag der bayerischen Anklagebehörde hatten Ermittlerinnen und Ermittler am Mittwoch in sieben Bundesländern insgesamt 15 Objekte durchsucht. Zudem wurden Konten der Letzten Generation gesperrt. Im Anschluss kam es in mehreren Städten zu spontanen Demonstrationen, auch in Berlin. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte sich hinter das Einschreiten der Behörden.

Politiker schätzen Letzte Generation ein

"Die Letzte Generation ist keine kriminelle Vereinigung", sagte dagegen der frühere Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) dem "Tagesspiegel". Er kritisierte das Vorgehen der Behörden als "Irrweg". Der Linken-Politiker Gregor Gysi warnte, die Razzien würden nur eine weitere Eskalation befördern. 

Der Grünen-Rechtsexperte Helge Limburg äußerte im Redaktionsnetzwerk Deutschland juristische Zweifel an der "Pauschalannahme einer kriminellen Vereinigung". Dagegen sagte der SPD-Rechtsexperte Sebastian Hartmann den RND-Zeitungen, die Razzien seien für die Ermittlungen gegen die Letzte Generation wichtig. Allerdings betonte er, bei dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung gehe es bisher um "einen Anfangsverdacht".

Für ein hartes Vorgehen gegen die Letzte Generation plädierte CDU-Chef Friedrich Merz. "Das sind Straftäter und keine Gesprächspartner", sagte er den Sendern RTL und ntv. Die Frage, ob es sich um eine kriminelle Vereinigung handele, müssten nun weitere Ermittlungen klären.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel sagte der ARD, mit ihren umstrittenen Aktionen leiste die Letzte Generation "dem Anliegen Klimaschutz einen Bärendienst".

Juristen streiten über "kriminelle Vereinigung"

Unter Juristen ist umstritten, ob die Letzte Generation nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs als kriminelle Vereinigung eingestuft werden kann. Eine gerichtliche Feststellung dazu gibt es noch nicht. Verschiedene Staatsanwaltschaften ermitteln aber in diese Richtung. Andere wiederum sehen bisher keinen Anfangsverdacht. Der Strafrechtsprofessor Thomas Fischer kommt in einer Analyse bei "Legal Tribune Online" sogar zu dem Schluss, die Begehung "möglichst spektakulärer Straftaten" präge das Erscheinungsbild der Organisation geradezu. Entscheidungsstruktur und Logistik der Gruppe seien auf strafbare Aktionen ausgerichtet.

Außerdem ist zu bedenken, dass auch schwerwiegendere Straftaten als Anklebe-Aktionen auf Straßen oder an Kunstwerken beziehungsweise Farbbeutel-Attacken im Raum stehen, etwa versuchte Sabotageaktionen an einer Öl-Pipeline von Italien nach Bayern sowie auf dem Gelände der Raffinerie in Schwedt. Vor diesem Hintergrund könnte sich der Vorwurf, die Gruppe sei eine kriminelle Vereinigung, möglicherweise leichter vertreten lassen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Laut Gesetz muss "der Zweck oder die Tätigkeit" einer kriminellen Vereinigung auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein. Nicht angewendet werden kann die Vorschrift, "wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist".

Problematische Einstufung der Polizei Bayern

Als juristisch problematisch gilt, dass die gesperrte Internet-Adresse der Letzten Generation am Mittwoch auf eine Seite der bayerischen Polizei weitergeleitet worden war, auf der deren Einstufung als "kriminelle Vereinigung" als Tatsache dargestellt wurde. Die Behörden nahmen dies später zurück.

Der Linken-Politiker Lorenz Gösta Beutin sagte dazu dem Bayerischen Rundfunk: "Damit hat sich die Staatsanwaltschaft über unsere Gerichtsbarkeit und über unsere Gerichte gestellt." Ähnlich äußerte sich der Grünen-Politiker Limburg: "Allein das vorbereitete, offenkundig rechtswidrige Statement des Landeskriminalamts auf der Homepage der Letzten Generation, mit dem die Unschuldsvermutung mit Füßen getreten wurde, rückt die ganze Aktion in ein zweifelhaftes Licht", sagte er dem RND.

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz forderte zudem auf Twitter eine juristische Klärung von Vorwürfen, wonach es eine "illegitime politische Einflussnahme" der CSU auf die ermittelnden Behörden in Zusammenhang mit dem bayerischen Landtagswahlkampf gegeben haben könnte.

"Wir verurteilen diese Einschüchterung von Menschen, die sich für die Einhaltung globaler Klimaabkommen einsetzen", erklärte die Klimaschutzbewegung Fridays for Future. Von einer Kriminalisierung von "legitimem Klimaaktivismus" sprach das Netzwerk Campact. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, schrieb auf Twitter, das Vorgehen der Behörden erinnere ihn an "autokratische Regime".

Neue Domain der Letzten Generation

Die Klimaschutzgruppe schaltete derweil die neue Website letztegeneration.org frei. Dort bat sie auch wieder um Spenden, nun auf dem Umweg über eine andere Organisation. Zudem rief die Letzte Generation auf Twitter zu weiteren Kundgebungen in mehreren Städten unter dem Motto "Klimaschutz ist kein Verbrechen" auf. Sprecherin Carla Hinrichs sprach nach den Razzien von einer "Welle der Unterstützung". Die Letzte Generation sei "seit gestern stärker als je zuvor". Auch Greenpeace, der BUND und weitere Umweltverbände hatten das Vorgehen der Behörden verurteilt.

"Letzte Generation": Bundesweite Razzien gegen Klimaaktivisten: Ermittler durchsuchen 15 Wohnungen
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Dass die Klimaaktivisten Straftaten begehen, ist in vielen Fällen gerichtlich festgestellt worden. Die Blockade des Autoverkehrs wurde inzwischen von mehreren Gerichten als Nötigung eingestuft, auch Haftstrafen ohne Bewährung wurden verhängt. Andere Gerichte sahen das nicht so. Die Aktivisten weisen darauf hin, dass ihr eigentliches Ziel ist, öffentlich Aufmerksamkeit für die Klimakrise zu erregen. Demnach könnten die Sitzblockaden als spontane politische Kundgebungen angesehen werden, die unter die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit fällt. Dennoch nehmen Aktivisten der Letzten Generation bewusst in Kauf, dass ihre Aktionen als strafbar eingestuft werden können – etwa als Nötigung, Sachbeschädigung oder gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.

AFP · DPA
tkr