Tatort-Kommissarin, Ärztin in Krisengebieten, Kritikerin deutscher Medien – Maria Furtwängler, 54, hat viele Rollen. Politisch ambitioniert ist sie vor allem als Gründerin der Stiftung MaLisa, die seit Jahren das Rollenbild von Männern und Frauen in Talkshows und Filmen untersucht. Jüngste Erkenntnis: In Zeiten der Pandemie werden Männer fünf Mal häufiger als Experten befragt als Frauen. "Vorurteile hat jeder", sagt Furtwängler dazu. Auch sie selbst sei in dem Glauben aufgewachsen, dass Frauen weniger wissen, können und dürfen. Zeit, solche Glaubenssätze auch mit politischen Mitteln zu verändern, findet sie. Und fordert gemeinsam mit anderen prominenten Frauen eine gesetzlich verpflichtende Frauen-Quote.
Corona, Klimakrise – und jetzt fordern Sie auch noch die Frauenquote. Haben wir nicht gerade genug Probleme?
Das sieht offenbar der Vorstand der Deutschen Bahn so, denn er hat gerade verkündet, eine verpflichtende Quote würde den Betrieb gefährden. Da muss man sich doch kurz an den Kopf fassen! Gleichstellung gefährdet den Betrieb? Wir sind es als Gesellschaft gewöhnt, Gleichstellung für ein Luxusthema zu halten. Das Problem ist doch: Wir wissen, dass Frauen nicht dämlicher sind als Männer, sie machen sogar häufiger und die besseren Hochschulabschlüsse. Trotzdem verzichten wir auf die Hälfte des Brain-Kapitals. Wir Frauen stellen etwas mehr als die Hälfte der Gesellschaft und können es nicht länger tolerieren, dass Männer zu 80 Prozent über die Geschicke aller entscheiden. Wir haben Jahrhunderte mit einer Männerquote gelebt und ich frage mich, warum Männer sich nicht schämen ob dieser Tatsache. Sondern dass wir Frauen uns schämen sollen, wenn wir aufgrund einer Quote in Positionen kommen. Und deshalb bin ich für eine Quote in allen gesellschaftsrelevanten Bereichen.
Warum ist jetzt der richtige Moment?
Für mich waren drei Ereignisse der Auslöser: Die schwedische Allbright Stiftung hat für Deutschland ermittelt, dass wir Rückschritte machen bei der Gleichstellung: Der Anteil der Frauen in Führung ist zurück gegangen. Zweitens: Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass mehr Gleichstellung erreicht werden muss in der Privatwirtschaft und öffentlichen Institutionen. Dieses Vorhaben darf nicht in irgendwelchen Schubladen verschwinden. Drittens verschärft die Pandemie die Situation vieler Frauen: Sie versorgen meist die Kinder, sie leisten Care-Arbeit, organisieren Homeschooling – diese Themen kamen aber im Krisenmanagement an allerletzter Stelle. In den Expertenrunden saßen überwiegend Männer.
Was nützt es der deutschen Durchschnittsfrau, wenn ein paar mehr Frauen in die Vorstände aufrücken, sechsstellige Gehälter verdienen, dicke Dienstwagen fahren...?
In diesen Positionen wird ja über die ganze Arbeitnehmerschaft entschieden. Zu welchen Bedingungen gearbeitet wird, wer aufsteigt und noch vieles mehr. Es ist entscheidend, dass der Blick von oben auf die Welt nicht nur ein männlicher ist.
Und was nützt es den Männern?
Die patriarchale Kultur schadet auch Männern. Es ist schädigend, bestimmte Emotionen unterdrücken zu sollen. "Boys don’t cry" etwa ist ein Leitsatz, der uns alle geprägt hat, der auch mich geprägt hat. Ich mache niemandem einen Vorwurf, der Vorurteile gegen Frauen hat. Ich habe sie auch, ich bin so groß geworden. Ich habe mir den "Siebten Sinn" angeschaut, Deutschlands erste Serie zur Verkehrssicherheit, und fand es einleuchtend, dass Frauen eben nicht Auto fahren können, dass sie den Rückspiegel nicht vom Schminkspiegel unterscheiden können. James Bond war mein Held, mein erstes Kino-Erlebnis. Da wurden Frauen einfach gepackt und gegen die Wand gedrückt, sie haben noch 'nein, nein' gesagt, aber dann schmolzen sie dahin. Es ist unendlich schwierig, diese Bilder nach und nach abzutragen und zu überwinden. Den einzigen Vorwurf, den ich Leuten mache, ist, wenn sie sagen, sie hätten keine Vorurteile. Wir haben sie alle, wir sind voll davon. Wir werden nur etwas verändern, wenn wir sie uns bewusst machen
Was sind Ihre konkreten Forderungen?
Die Gesetzesvorlage zur Quote muss im Parlament diskutiert werden. Und ich möchte Männer wie den Bahn-Chef Ronald Pofalla, die sich dem Vorhaben versperren, mit einer Frage konfrontieren: Wo ist eigentlich Ihr Problem?
Wären Sie ein Mann – wo stünden Sie jetzt in Ihrem Werdegang?
Wenn ich ein Mann wäre, dann hätte ich mich sehr viel früher getraut, eine Firma zu gründen oder eine Stiftung ins Leben zu rufen. Ich habe mir viele Dinge nicht zugetraut, weil ich gelernt hatte, dass man als Frau die Dinge nicht einfach so fordern darf, keine Risiken eingehen darf. Ein männlicher Schauspieler Furtwängler hätte möglicherweise nicht toleriert, dass nur sein Leben sich radikal veränderte, als die Kinder kamen. Und das Leben des Partners überhaupt nicht. Er hätte vielleicht gesagt: Ich kümmere mich jetzt mal um meine Schauspielkarriere und du bleibst zuhause und kümmerst dich. Ich beschwere mich nicht, aber ich habe das damals nicht gefordert. Ich wusste es nicht besser.