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Klimaktivistin Die Gesellschaft besteht nicht nur aus Luisa Neubauer

Klimaktivistin Luisa Neubauer
Klimaktivistin Luisa Neubauer
© Odd Andersen / AFP
Klimaaktivistin Luisa Neubauer will mehr Mitspracherecht in der Wirtschaft. Aber die Gesellschaft, die mitreden soll, besteht nicht nur aus "Fridays for Future" – und das könnte die ein oder andere Enttäuschung für die Klimakämpfer bereithalten. 

Es ist ein wirklich guter Plot, ein Plot, aus dem moderne Märchen gemacht sind: Junge Frau kämpft für die Rettung des Weltklimas. Mächtiger Chef eines Weltkonzerns unterschätzt die junge Frau. Als es fast schon zu spät ist, macht der Konzernboss sich ganz klein und bietet ihr einen Job im Aufsichtsrat an. Aber sie ist nicht käuflich, sie pfeift auf den Job und setzt ihren Kampf fort. Und all das kann den Konzernboss am Ende sogar noch den Kopf kosten. Das Fernduell zwischen Siemens-Chef Joe Kaeser und Klima-Aktivistin Luisa Neubauer wird am 5. Februar in die nächste Runde gehen, wenn Kaeser auf der Hauptversammlung vor seine zornigen Aktionäre treten muss. Gut möglich, dass es seine letzte ist.

Wirtschaft findet nicht mehr allein in der Wirtschaft statt

Weil Siemens sich an einem Kohle-Projekt in Australien beteiligt – wenn auch nur mit einem eher kleinen Auftrag – macht Neubauer, Vorkämpferin von "Fridays for Future", seit Wochen mächtig Druck. Dahinter steckt Strategie: "Wir haben uns im letzten Jahr sehr auf die Bundesregierung, die Landesregierungen und auch auf Kommunen konzentriert. Dieses Jahr wollen wir uns deutlich mehr auf wirtschaftliche Akteure fokussieren", sagt Neubauer, die ihre Meinung auch als Kolumnistin im stern vertritt.

Wirtschaft findet nicht mehr allein in der Wirtschaft statt – Neubauer beansprucht Mitspracherecht, wobei das noch ein etwas harmloser Ausdruck ist, per Twitter-Botschaft erteilt sie dem Weltkonzern eher Weisungen: "Es gibt eine Zukunft und wir lassen nicht zu, dass ihr sie weiterhin zerstört. (...) Das ist keine freundliche Erinnerung, das ist eine Warnung."

Trotzdem: Neubauer kämpft einen gerechten Kampf. Wenn ich sie richtig verstehe, meint sie: Was unter welchen Umweltbedingungen wo produziert wird, kann, wenn es um die Rettung des Planeten geht, keine Privatsache profitorientierter Konzerne sein. Alle sollten da mitreden können.

Die Gesellschaft besteht nicht nur aus Luisa Neubauer

Da kann ich nur sagen: Richtig so. Gewinne zu privatisieren, die Umweltfolgen seines Tuns aber der Gemeinschaft zu überlassen, das empfand ich immer als eine etwas seltsame Arbeitsteilung. Ich war immer der Meinung, Unternehmer, die so denken, sollten sich für ihre geschäftlichen Interessen bitte schön einen anderen Ort suchen (Russland vielleicht?) – mein Land jedenfalls ist dafür der falsche Platz.

Wenn aber die Gesellschaft mitreden und mitbestimmen soll bei dem, was in der Wirtschaft stattfinden darf und was unter Klimagesichtspunkten zu unterbleiben hat, dann erlaube ich mir den zarten Hinweis: Die Gesellschaft besteht nicht nur aus Luisa Neubauer. Und auch nicht nur aus den Schülerinnen und Schülern, die eine Zeit lang fast jeden Freitag deutsche Innenstädte mit ihren Pappschildern belagerten.

Nur 27 Prozent sehen in Umwelt- und Klimaschutz die wichtigsten zu lösenden Probleme

Die Gesellschaft: Das ist auch die Rentnerin in Hoyerswerda. Der Metzgermeister in Heilbronn. Die Aldi-Verkäuferin in Emden. Der Landwirt in Dithmarschen. Wer es ernst meint mit der sympathischen Idee einer Art Volks-Kapitalismus in Zeiten der Klima-Krise, der wird all diesen Menschen die Mitsprache schlecht verweigern können. Und hier liegt das Problem: Es könnte nämlich sein, dass diese Mitsprache noch die eine oder andere Enttäuschung für Luisa Neubauer und ihre Mitkämpfer bereithält.

Trotz "Klimanotstand" und "Ökozid", trotz Greta und Luisa: Nur 27 Prozent der Deutschen sehen ausweislich des letzten ARD-"Deutschlandtrends" in Umwelt- und Klimaschutz die wichtigsten zu lösenden Probleme in Deutschland. An erster Stelle der Problem-Agenda rangiert nach wie vor das Thema Zuwanderung und Integration – und das, obwohl die Flüchtlingszahlen abnehmen und Merkels Grenz-Entscheidung, mittlerweile fast viereinhalb Jahre her ist.

Mit dem Volk ist es halt so eine Sache. Diese Erfahrung müssen vor allem Journalisten immer wieder machen. Wer jeden Tag 150 Kilometer mit dem Auto zur Arbeit fahren muss, weil es dort, wo er wohnt, keine gibt (und die pflegebedürftige Schwiegermutter nicht mal so eben umziehen kann, die Mieten in der Stadt außerdem deutlich höher und Kita-Plätze nicht verfügbar sind), denkt über die Anhebung von Benzinpreisen vermutlich anders, als der Journalist in Berlin-Mitte, der morgens in fünf Minuten mit dem Fahrrad im Büro ist, um dort mit leichter Hand einen Kommentar für die Abschaffung der ökologisch völlig "widersinnigen" Pendlerpauschale zu verfertigen. Und über den "massiven Ausbau der Windenergie", der jetzt angeblich nötig sei, lässt sich gut räsonieren, solange kein 200 Meter hohes Windrad den schönen Blick vom eigenen Altbau-Balkon in Hamburg-Eppendorf oder Berlin-Prenzlauer Berg verstellt.

"Ich will keine neue Diktatur. Auch keine Öko-Diktatur"

Was also tun, wenn die Rentnerin in Hoyerswerda und all die anderen sich beim Thema Klima uneinsichtig zeigen? Schließlich sagt Greta Thunberg: "Unser Haus steht in Flammen." Also: Das Volk auflösen und sich ein neues wählen? Geht nicht, das wusste schon Bertolt Brecht. Eine Herrschaft der bewussten Elite, der Wenigen, die begriffen haben, dass es beim Klima wirklich 5 vor 12 ist? Klingt ziemlich elitär, erinnert ungut an die "Wohlfahrtsausschüsse" der Französischen Revolution mit ihren Guillotinen im Dauerbetrieb. Die Demokratie gleich ganz abschaffen, um die Welt, oder zumindest Deutschland, zu retten? So argumentierten Anfang der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ganz andere Kräfte, ich finde, das sollte als historische Erfahrung genügen. Ich will keine neue Diktatur. Auch keine Öko-Diktatur.

Dass "Fridays for Future" sich die Konzerne zur Brust nimmt und sich in das einmischt, was diese lange Zeit für ihre inneren Angelegenheiten gehalten haben, ist nur zu begrüßen. Aber ich wage die Prognose: Künftig wird sich nicht nur "Fridays for Future" einmischen, künftig werden alle in der Klima-Debatte mitreden wollen. Demokratisch legitimiert im engeren Sinne ist die Klimaschutzbewegung bis heute nicht, "Fridays for Future" stand bisher auf keinem Wahlzettel. Ihr kommt insofern nicht mehr Mitspracherecht zu als jedem anderen Bürger, auch jenen 73 Prozent, für die das Weltklima nicht ganz oben auf der Liste der zu lösenden Probleme steht.

Am Ende braucht man in der Demokratie nicht nur mediales Wohlwollen – was "Fridays for Future" reichlich bekommt. Am Ende braucht man Mehrheiten. Das nervt, genauso wie die Tatsache, dass Demokratie so unendlich langsam ist. Demokratie ist eben auch unerbittlich gerecht: Jeder hat genau eine Stimme. Luisa Neubauer hat eine. Und die Rentnerin in Hoyerswerda auch.

rw

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