Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der designierte Parteichef Franz Müntefering wollen den Reformkurs gegen den Widerstand von Gewerkschaften und Teilen der Partei fortsetzen. Die Reformen seien die einzige Chance, die Funktionsfähigkeit der Sozialsysteme zu erhalten, sagte Schröder am Samstag beim Parteitag der nordrhein-westfälischen SPD in Bochum. Müntefering ergänzte: "Nichts von dem, was beschlossen wurde, kann zurückgenommen oder revidiert werden. Das müssen alle wissen." Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte Rot-Grün zur "Politikwende" auf und drohte mit Massenprotesten.
Beifall für Schröder
Müntefering, der auch Fraktionsvorsitzender ist, sicherte Schröder uneingeschränkte Loyalität zu. "Ich würde nie die Partei gegen die Regierung führen." Die Delegierten reagierten auf beide Reden mit anhaltendem Beifall. Der Parteitag war der erste große Stimmungstest nach der Ankündigung des Kanzlers, den SPD-Vorsitz abzugeben.
Schröder bekräftigte seine Unterstützung für die Reformen auf dem Arbeitsmarkt. "Was (Bundeswirtschaftsminister) Wolfgang Clement auf den Weg gebracht und durchgesetzt hat, ist ohne eine vernünftige Alternative."
Clement behält Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden
Clement zeigte sich erfreut über die Unterstützung des Kanzlers. Schröder habe "keinen Zweifel gelassen, dass der Reformkurs fortgesetzt wird". Der Minister hatte sich nach der Ankündigung Schröders über den Führungswechsel in der SPD verärgert gezeigt. Zu seinen Überlegungen, das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden abzugeben, sagte Clement: "Das ist alles hinter uns." Müntefering forderte Clement zur engen Zusammenarbeit auf.
Schröder und Müntefering verteidigten die geplante Ausbildungsabgabe. Der Kanzler rief die Wirtschaft erneut dazu auf, freiwillig mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. "Geschieht das, brauchen wir das Gesetz nicht. Geschieht es nicht, wird es kommen." Clement zeigte sich überzeugt, dass die Ausbildungabgabe nicht notwendig wird.

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DGB fordert Überarbeitung der Reformen
Schröder sagte, auch die Reformen im Gesundheitssystem müssten durchgehalten werden. Wer zum Arzt gehe, müsse wissen, dass das Geld koste, sagte er mit Blick auf die Praxisgebühr. "Deshalb sind wir auf dem richtigen Weg mit dem Umbau des Gesundheitssystems." Müntefering kündigte an: "Wir werden dieses Jahr die Diskussion über die Bürgerversicherung beginnen." Es gebe aber noch viele offene Fragen.
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer verlangte in der Zeitung "Die Welt", die Reformen müssten "noch einmal überdacht und die schlimmsten Giftzähne gezogen werden". Die Gesundheitsreform von Regierung und Opposition sei gescheitert. Die Praxisgebühr müsse abgeschafft werden. IG Metall-Vize Berthold Huber forderte im InfoRadio Berlin/Brandenburg, einzelne Reformen "zu überprüfen und im Zweifelsfall zurückzunehmen". Auch Politiker von SPD und Grünen verlangten eine Abschaffung der Praxisgebühr und weitere Nachbesserungen bei der Gesundheitsreform.
Steinbrück warnt vor Kritik an Regierung
Der nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Harald Schartau, der mit 84 Prozent für zwei Jahre im Amt bestätigt wurde, hielt an seiner Forderung nach Korrekturen bei der Verdoppelung der Krankenkassenbeiträge für Betriebsrenten fest. NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) warnte vor Kritik an der Bundesregierung. "Es sind nicht die in Berlin, die uns mit ihrer Reformpolitik einen Tort antun." Mit Blick auf die bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahl forderte Steinbrück die Bundespartei aber auf, die Probleme an Rhein und Ruhr zu berücksichtigen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland stehen im Herbst Kommunalwahlen an, 2005 wird der Landtag gewählt.
DPA