Die Eskalation hatte sich nicht angedeutet. Die Stimmung bei der Diskussionsrunde mit Olaf Scholz auf dem Katholikentag war weder aufgeheizt, noch hatte sich der Kanzler im Vorhinein besonders harte Kritik aus den Reihen der Ampel-Koalition anhören müssen. Sie war jedenfalls nicht härter als sonst.
Und dennoch verlor Scholz plötzlich seine Fassung, als ein Mann aus dem Publikum ihm seinen Unmut entgegenrief. Scholz hatte gerade erklärt, wie wichtig es sei, die Sorgen der Bergleute ernst zu nehmen, die durch die Energiewende ihren Job verlören. Was der Mann daraufhin sagte, ist im Video kaum zu verstehen, Scholz ließ ihn auch gar nicht ausreden. Stattdessen rief er: "Diese schwarz gekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurück liegt." Dann schob er ein "Gott sei Dank" nach. Der Saal applaudierte.
Gefährlich viel Interpretationsspielraum
Mit wem hat Scholz die Klimaaktivisten da gerade verglichen? Setzte er sie tatsächlich mit Nationalsozialisten gleich, wie Luisa Neubauer bei Twitter behauptet. Wohl eher nicht. Denn zwei Sätze später berichtete Scholz von eigenen Erfahrungen mit Demonstranten, die Diskussionen stürmten. Er spielte wohl eher auf die Antifa und K-Gruppen an. Trotzdem lässt die Aussage gefährlich viel Interpretationsspielraum. Sie ist maximal unglücklich, wie die gesamte Kommunikation des Kanzlers in diesen Tagen.
Wieder einmal zeigte Olaf Scholz öffentlich Nerven. Es ist nicht das erste Mal in seiner kurzen Amtszeit. Mehrfach schon wirkte er in Interviews und Gesprächen fast beleidigt, wenn man ihn mit Kritik konfrontierte.
Etwa kurz nach Ausbruch des Ukraine-Krieges, als einige Ökonomen erklärten, dass ein deutscher Energieboykott, entgegen anderslautenden Behauptungen der Bundesregierung wirtschaftlich verkraftbar sei: "Die sehen das falsch", blaffte der Kanzler in einem Fernsehinterview. Er halte es für "unverantwortlich", dass Ökonomen die Auswirkungen eines Gas-Lieferstopps in "irgendwelchen mathematischen Modellen zusammenrechnen."
Scholz brauchte nur wenige Sätze, um erfahrenen Wirtschaftswissenschaftlern ihre Kompetenz abzusprechen.
Olaf Scholz und die "Jungs und Mädels" von der Ampel
Mitte April stellte Scholz ein zweites Mal seine Dünnhäutigkeit öffentlich zur Schau. Nachdem er tagelang von Abgeordneten der Ampel-Koalition dafür kritisiert worden war, dass er keine schweren Waffen an die Ukraine liefert, verlor er in einem Radiointerview die Fassung: "Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich."
Abgesehen davon, dass diese Aussage für ein zweifelhaftes Führungsverständnis steht (Ein guter Chef nimmt seine Mitarbeiter mit und diskreditiert sie nicht als Jungs und Mädels), verdeutlicht sie auch, dass Scholz in Stresssituationen offenbar schnell die Kontrolle über seine Kommunikation verliert.

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So war es auch am Freitag. Doch die Äußerungen haben eine neue Qualität. Sie richten sich nicht an andere Politiker oder Wissenschaftler, sondern direkt an potenzielle Wähler.
Es blieb nicht bei dem oben beschriebenen Vergleich. Offenbar angestachelt vom Applaus des Publikums, schob der Kanzler weitere Sätze hinterher. Er bezeichnete den Protest der Klimaaktivisten "als schauspielerisch geübten Auftritt" dessen Ziel die reine Inszenierung sei: "Das ist der Versuch Veranstaltungen für seine Zwecke zu manipulieren", erklärte Scholz. Ein Interesse an echter Diskussion gebe es nicht.
"Klimakanzler" als leere Worthülse
Vor ein paar Monaten hatte sich Scholz im Wahlkampf noch als kommender "Klimakanzler" bezeichnet. Nun wirkt der Slogan wie eine leere Worthülse.
Denn wer Klimaaktivisten eine "eingeübte Haltung" attestiert, der spricht ihnen ab, sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft des Planeten zu machen. Wer den Klimabewegten vorwirft, Veranstaltungen für die ihre Zwecke zu manipulieren, der scheint nicht verstanden zu haben, dass die Folgen des Klimawandels alle Menschen betreffen.
Natürlich ist es nervig und unangenehm für Scholz, auf diversen Veranstaltungen von Klimaaktivisten gestört zu werden. Aber das muss ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland aushalten können. Er wurde nicht öffentlich beleidigt oder verunglimpft, sondern inhaltlich kritisiert. Souveräner wäre es gewesen, hätte er sich die Anschuldigungen des Mannes angehört und wäre kurz darauf eingegangen.
Ein Koloss für den Kanzler: Olaf Scholz' neuer Dienstwagen ist ein Panzer in edlem Gewand

Dann hätten seine Handlungen auch nicht dem widersprochen, was er nur Minuten zuvor selbst gepredigt hatte. Da hatte ihn die Moderatorin gefragt, wie groß er die Gefahr einschätze, dass sich die deutsche Gesellschaft spaltet. Scholz betonte, wie wichtig es sei, dass "sich jeder in unserer Gesellschaft erkannt und gemeint fühlt." Für ihn sei es das Bedrückendste, wenn jemand zum Wahlkampfstand kommt und sagt: Ihr macht das alles nicht für mich. Dann antworte er immer: "Doch, das ist der ganze Grund für meine politisches Engagement."
Ihm scheinen Sorgen der mit Ruß beschmierten Kumpel aber offenbar wichtiger zu sein als die der schwarz gekleideten Klimaaktivisten.