Politiker und Twitter Fettnäpfchen mit 140 Zeichen

  • von Oliver Noffke
Gabriel, Beck, Klöckner - Deutschlands Politprominenz twittert, was das Zeug hält. Die Kanzlerin hat keinen eigenen Zwitscher-Account. Vielleicht auch gut so - die Fettnäpfchen-Gefahr ist groß.

Vielleicht würden viele Bundestagsabgeordnete niemals aussprechen, was auf sie über Twitter verbreiteten. Dank dem Online-Archiv politwoops.de bleiben aber auch gelöschte Nachrichten für immer erhalten. Fauxpas für die Ewigkeit. Fast jeder kann ein Lied davon singen.

Twitter ist für viele Politiker unverzichtbar geworden. Sigmar Gabriel (SPD), Gregor Gysi (Linkspartei) oder Volker Beck (Grüne) – sie alle senden täglich Dutzende Nachrichten. Umweltminister Peter Altmaier verschickt sogar Smileys, wenn man ihn auf Rechtschreibfehler aufmerksam macht. Mehr als 100 Staats- und Regierungschefs haben ein eigenes Twitter-Konto. Durch den Kurznachrichtendienst erlebt die Weltöffentlichkeit jedoch auch immer wieder Peinlichkeiten, direkt und unverschnörkelt aus den Zentren der Macht. Das Medium ist ein Garant für Fettnäpfchen. Warum tweeten Politiker dennoch, was das Zeug hält?

"Twitter ermöglicht es, mit maximaler Effizienz die eigenen Positionen unters Volk zu bringen", sagt der Experte für politische Kommunikation Leonard Novy. Politiker müssen demnach nicht warten, bis ihnen ein Journalist eine kritische Frage stellt. Sie tippen selbst. Traditionelle Medien würden sich dankbar auf das Gezwitscherte stürzen und es weitergeben, beobachtet Novy. Auf Politiker kann dies wie ein Verstärker vor ihrem Lautsprecher wirken. Das Neuigkeiten von Twitter eine hohe Authentizität nachgesagt wird, erscheint allen Beteiligten nur noch reizvoller. Schließlich wird hier ungefiltert kommentiert.

Politiker im privaten Glashaus

Der Politiker wird zur Privatperson, ansprechbar für jeden. Wer das Medium jedoch nicht versteht, wird unweigerlich Spott und Häme ernten. Die Funktionsweise des Programms zu durchsteigen, verlangt zum einen Übung. Zum anderen muss der Nutzer verstehen, dass "Twitter-Kommunikation eine Egalität suggeriert", befindet Novy. Trotz der Masse an Informationen, die durch Twitter angespült werden, sollten Politiker nicht denken, ein einzelner Tweet sei unbedeutend. Es ist kein Nebenbei-Medium, sondern eine Nachrichtenquelle. Alles öffentlich und nicht beschränkt auf einen ausgewählten Kreis wie bei Facebook. Selbst wenn man im Nachhinein einen Tweet löscht, hat eventuell schon jemand einen Screenshot gemacht und kann diesen weiterverbreiten.

Für die Karriere des ehemaligen US-Kongressabgeordneten Anthony Weiner wurde Twitter zum Karrierekiller. 2011 sendete er einer Frau, die er nie getroffen hatte, einen Link zu einem schlüpfrig, eindeutigem Bild - per Twitter. In der Folge trat er von seinem Amt zurück. Als er sich dieses Jahr zur Wahl des Bürgermeisters von New York stellte, tauchten neue Bilder auf. Am Ende erhielt der Workaholic und einstige Hoffnungsträger nicht einmal fünf Prozent der Stimmen. Man stelle sich vor, Weiner hätte den Link auf der Anzeigetafel eines vollbesetzten Baseballstadions gezeigt, während einer weltweiten Live-Übertragung. Niemals würde das jemand mit privaten Nacktbildern machen. Der Effekt mit Twitter ist allerdings der gleiche.

Mit der grammatikalisch nicht ganz richtigen Nachricht, "Leute, Ihr könnt in Ruhe Fußball gucke. Wahlgang hat geklappt", verkündete Julia Klöckner (CDU) im Mai 2009 die Wiederwahl von Horst Köhler zum Bundespräsidenten per Twitter. Dem offiziellen Prozedere war sie damit 15 Minuten voraus. Als damaliger Schriftführerin der Wahlkommission hängt Klöckner diese Indiskretion bis heute nach.

Der Anti-PR-Kanal

Wenn Politiker ihre Ritterrüstung aus Pressestab und Redenschreibern ablegen und direkt mit den Bürgern kommunizieren, verdient das großen Respekt, sagt der Hamburger Medienforscher Steffen Burkhardt stern.de. Denn "Demokratie lebt von Transparenz" und es zeige, dass sich Politiker um einen direkten Austausch mit den Bürgern bemühen, ihnen zuhören. Wer Twitter jedoch als PR-Kanal benutze und es, wie etwa Peer Steinbrück, durch seine Pressereferenten bespielen lasse, "missbraucht die Plattform als Werbefläche und verkennt ihr Potential", sagt Burkhardt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Aufgrund der Begrenzung auf 140 Zeichen und die nahezu nackte Benutzeroberfläche steht im Gegensatz zu Facebook bei Twitter die Nachricht im Vordergrund und nicht die Inszenierung, befinden die Wissenschaftler. Das Medium ist dadurch ideal geeignet, um Dialoge anzustoßen und nach verschiedenen Meinungen zu fragen. Politiker müssen dies aber wollen und, wenn nötig, ihre Positionen auch erklären. Wenn spannende Fragen ignoriert werden, "kommt der gleiche Einheitsbrei dabei raus wie bei den meisten, weichgespülten Massenmedien – von langweiligen Zeitungsinterviews bis zum Talkshow-Gesabbel eines politischen Personals, das im Endeffekt zu allem etwas sagt, ohne etwas zu sagen zu haben", so Burkhardt.

Häme kommt zudem meist als Bumerang zurück und lenkt prima von den eigentlichen Diskussionsschwerpunkten ab. Wenn Sigmar Gabriel schreibt, er freue sich darauf, dass Volker Bouffier nach dem 22. September nicht mehr der Landesfürst von Hessen sein werde, muss er auf die Antwort nicht mehr lange warten. "Und wie lange bleiben Sie noch?", fragt Sven Volmering (CDU) umgehend.

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In einer ersten Version des Textes wurde der Eindruck erweckt, der Bundestagsabgeordnete Andreas Scheuer (CSU) hätte einen unglücklich geschriebenen Tweet nachträglich aus Twitter gelöscht. Dies ist nicht der Fall. Die entsprechende Stelle in diesem Artikel wurde geändert. Wir bitten dies zu entschuldigen. ono