Presseschau Ampel will Ausnahme von Schuldenbremse: "Die Regierung muss jetzt sparen, sparen, sparen"

Olaf Scholz (SPD, r-l), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, Mitte) und Christian Lindner (FDP)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r-l), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen
© Christoph Soeder / DPA
Das Haushaltsdrama der Ampel-Koalition zieht weitere Kreise. Nun soll für dieses Jahr die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse genutzt werden. Gleichzeitig ruft der Finanzminister seine Kollegen zum Sparen auf. So kommentiert die Presse die Lage.

Erstmals seit dem Karlsruher Haushaltsurteil kommt an diesem Freitag der Bundesrat zusammen. Die Länder fragen sich, welche Finanzzusagen des Bundes noch gelten, nachdem in der vergangenen Woche das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt hat. Unterdessen rief Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Ampel-Koalition angesichts der Haushaltskrise zum Sparen auf. "Wir reden von einem erheblichen zusätzlichen Konsolidierungsbedarf", sagte er dem "Handelsblatt". Es gehe um zweistellige Milliardenbeiträge pro Jahr.

Ampel will im laufenden Jahr Ausnahme von Schuldenbremse

Die Ampel-Koalition will wegen des Karlsruher Haushaltsurteils für dieses Jahr noch die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen. Lindner hatte am Donnerstag angekündigt, er werde dem Kabinett in der kommenden Woche in Absprache mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) einen Nachtragshaushalt vorlegen. Eine Ministeriumssprecherin Lindners fügte hinzu, die Bundesregierung werde dem Bundestag vorschlagen, eine außergewöhnliche Notlage zu erklären. So sollen Kredite nachträglich rechtlich abgesichert werden, die in diesem Jahr bereits genutzt wurden.

Weiter offen ist, wann der Bundeshaushalt 2024 verabschiedet werden kann. Die Ampel-Fraktionen von SPD, Grünen und FDP haben die dafür vorgesehene Haushaltsberatungen im Bundestag in der kommenden Woche abgesagt. Einen Abschluss vor Jahresende haben sie aber noch nicht ganz aufgegeben. 

Lindner sagte dem "Handelsblatt", ratsam sei, den Haushalt 2024 und 2025 zusammen zu betrachten. "Denn strukturelle Änderungen sind aus meiner Sicht unausweichlich." Auf die Frage, ob er auch 2024 eine Notlage ausrufen werde, sagte Lindner, er befasse sich derzeit nur mit 2023. Forderungen nach einer Lockerung der Schuldenbremse erteilte er aber eine klare Absage. Auch Steuererhöhungen soll es nach seinen Worten nicht geben.

So kommentieren Zeitungen in Deutschland das Haushaltsdebakel:

"Berliner Morgenpost": "Die Klatsche vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wegen des schuldenfinanzierten Sondervermögens der Bundesregierung ist nicht nur ein Problem für die Ampel. In Berlin ist die Lage vergleichbar. Zehn Milliarden Euro will die CDU/SPD-Koalition in Klimaschutz, öffentlichen Nahverkehr, den Umbau der Fernwärme und die Sanierung öffentlicher Gebäude stecken. Auf Pump, versteht sich. Natürlich ist das ein Trick, um den Obergrenzen des Haushaltes zu entgehen. Das Dilemma, das alle Regierenden in Deutschland trifft, ist nur auf einem Weg zu lösen. Die starre Schuldenbremse kann so nicht bleiben."

"Pforzheimer Zeitung": "Bislang hat FDP-Chef Christian Lindner eine Aussetzung der Schuldenbremse für dieses Jahr strikt ausgeschlossen. Doch dem Druck der bitteren Realität und wohl auch des Kanzlers konnte der Kassenwart nicht standhalten. Doch es ist ein riskanter Weg. Eine Notlage zu konstruieren, um die strengen und vom Gericht bekräftigten Vorgaben des Grundgesetzes auszuhebeln – das könnte abermals mit einem Desaster in Karlsruhe enden. Die Union jedenfalls hat umgehend eine erneute Beschwerde angekündigt. Auch wird es nicht gelingen, einen Nachtragshaushalt gegen die Opposition durchzudrücken. Die Ampel wird sie ins Boot holen müssen."

"Badische Zeitung" (Freiburg): "Jetzt ist es raus: Finanzminister Christian Lindner will nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für 2023 noch die Schuldenbremse aussetzen. Das nun die einzige realistische Möglichkeit, um sicherzustellen, dass der Haushalt nicht verfassungswidrig ist. (...) Inhaltlich ist dieser Schritt für das Jahr 2023 gerechtfertigt. Der Krieg in der Ukraine hatte Deutschland im Winter 2022/2023 in eine schwierige Lage gebracht, hohe Energiepreise inklusive. Der Fehler war, dass die Regierung die Schuldenbremse nicht von Anfang an ausgesetzt hat. Der Finanzminister hat – mit seinem Wunsch, eine Aussetzung der Schuldenbremse unbedingt zu vermeiden – seinen Beitrag geleistet, die Regierung in unhaltbare Finanzkonstruktionen zu treiben. Mit der Entscheidung für 2023 zeichnet sich noch keine Lösung für 2024 ab. Hier wäre ein Aussetzen der Schuldenbremse nicht so leicht zu rechtfertigen. Das bedeutet: Die Regierung muss jetzt sparen, sparen, sparen."

"Ludwigsburger Kreiszeitung": "Scholz täte gut daran, das Regierungshandeln zu erklären. Auch oder gerade weil es noch keine finalen Entscheidungen gibt. Die Menschen wollen bei einer so komplexen Materie wie dem Bundeshaushalt mitgenommen werden bei den Überlegungen der Regierenden. Überlässt Scholz wie in den vergangenen Tagen seinem in Talkshows teils strauchelnden Vizekanzler Habeck oder dem nun mit einem drohenden Gesichtsverlust kämpfenden Finanzminister Lindner das Feld, wirkt das noch einmal verunsichernder. Die Menschen kennen dieses Muster von Scholz mittlerweile. Doch in keiner der bisherigen Episoden ist er danach mit mehr Zuspruch als zuvor vom Platz gegangen."

"Augsburger Allgemeine": "Es ist ja kein Zufall, dass die Zustimmungswerte für Merz sich langsam aus dem Keller bewegen, seit er nicht mehr nur in üblicher Herablassung gegen die Ampel wettert, sondern sich bereit erklärt, selbst Verantwortung zu übernehmen. Doch was passiert, wenn die FDP in Panik die Koalition aufkündigt und Scholz CDU und CSU beim Wort nimmt? Auf den ersten Blick hat Merz nicht viel zu verlieren. Er könnte endlich ein bisschen Regierungserfahrung in seinem lückenhaften politischen Lebenslauf nachtragen und dann im Herbst 2025 als Kanzlerkandidat mit besten Aussichten in die Bundestagswahl gehen. Die Sache ist nur, dass sämtliche Probleme der aktuellen Regierung spätestens dann auch seine Probleme wären. Selbst auf dem Platz zu stehen ist halt doch etwas ganz anderes, als vom Spielfeldrand mit Bratwurst und Bier in der Hand alles besser zu wissen."

"Rhein-Zeitung" (Koblenz): "Langsam könnte man angesichts der vielen Krisen, mit denen die Ampel zu kämpfen hat, eine Dramaserie herausbringen, deren Episoden sich in einem Punkt immer wieder ähneln: Kanzler Scholz geht erst einmal auf Tauchstation, bis er sehr laut gerufen wird. Erst dann tritt er wieder in Erscheinung. Sicher, der Kanzler war und ist ja nicht weg. Er regiert jeden Tag von früh bis spät, verhandelt, wägt ab, arbeitet ohne Unterlass in diesen Tagen. Doch Scholz täte gut daran, das Regierungshandeln zu erklären. Auch oder gerade weil es noch keine finalen Entscheidungen gibt. Die Menschen wollen bei einer so komplexen Materie wie dem Bundeshaushalt mitgenommen werden bei den Überlegungen der Regierenden."

"Südwest Presse" (Ulm): "Aufgabe des Bundeskanzlers wäre es nun, die eigene Koalition, seine Partei und vor allem aber das Land und seine Bürger auf harte Zeiten einzustellen. Natürlich muss es Kürzungen im Sozialbereich geben, natürlich müssen die ökologischen Umbaupläne überarbeitet werden und natürlich werden alle Deutschen mehr Steuern zahlen, mehr arbeiten müssen. Vor allem aber wäre seine höchste Pflicht, sich für die eklatante Fehlplanung seiner Regierung zu entschuldigen. Doch ist Demut für den Hochmütigen bekanntlich die schwerste Übung."

DPA
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