Regierungsbildung "Je mehr Ampel, desto weniger Laschet": An einem Jamaika-Kanzler hat Söder sichtlich kein Interesse

Markus Söder im Vordergrund mit einem leidenden Laschet im Hintergrund
CSU-Chef Markus Söder hat nach Einschätzung der politischen Kommentatoren kein Interesse an einem Jamaika-Kanzler namens Armin Laschet (im Hintergrund)
© Kay Nietfeld / DPA
Wirklich überrascht hat politische Beobachter in Berlin nicht, dass es nun auf eine Ampel-Koalition im Bund zuläuft. Die Union präsentiert sich derzeit nicht regierungsfähig. Die Pressestimmen.

Die ersten Sondierungen für eine von SPD, Grünen und FDP gebildete Bundesregierung beginnen. Oder handelt es sich im Grunde schon um Koalitionsverhandlungen? Zu desaströs scheint der Zustand der Union, als dass selbst FDP-Chef Christian Lindner noch ernsthaft an die Option einer Jamaika-Koalition glauben könnte. CSU-Chef Markus Söder reagierte entsprechend und beerdigte das Bündnis kurzerhand – und über den kleinlauten Kanzlerkanidaten Armin Laschet hinweg.

So sehen die Kommentatoren die Situation um eine neuartige Regierung und eine erneuerungsbedürftige Union:

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Es wäre eine Premiere im Bund, die schwierige Kompromisse erfordert. Es ist aber auch eine Chance. Olaf Scholz ist zuzutrauen, eine sozial-liberal-ökologische Regierung zu schmieden, die die gewaltigen Herausforderungen der Zeit anpackt: mehr Klimaschutz ohne überbordende Bevormundung. Eine liberale Wirtschaftspolitik, die den sozialen Zusammenhalt fest im Blick hat. Ein krisenerprobter Kanzler, der auch im Ausland als Stabilitätsanker gesehen wird und der von den eigenen Leuten die erforderliche Beinfreiheit erhält. In den Gesprächen muss es gelingen, das Vertrauen zu schaffen, dass alle drei Parteien Kernanliegen umsetzen können. Finanzen, Wirtschaft, Klimaschutz, Soziales: Nur wenn die Beteiligten hier nicht in Ideologien verhaften, kann ein stabiles Aufbruch-Bündnis entstehen."

"Badische Neueste Nachrichten": "Alle Vorteile liegen nun bei Wahlsieger Olaf  Scholz. Eine Ampel seiner SPD mit Grünen und FDP ist auch in Umfragen die beliebteste Regierungsoption. Es wird nicht einfach werden für Scholz, die sozial- und finanzpolitischen Forderungen seiner Parteilinken, das Klimaschutzprogramm der Grünen und die liberale Absage an Steuererhöhungen unter einen Hut zu bringen. Doch der Wille zur Macht ist nicht nur bei der SPD groß."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Laschet betonte seine fortwährende Gesprächsbereitschaft, Söder hingegen lehnte es ab, draußen vor der Tür zu stehen und zu warten, ob die Union wieder mitspielen dürfe. Die CSU bereitet die CDU auf Oppositionszeiten vor. Daraus spricht ein gewisser Realismus, aber auch das, was Lindner an der Union kritisierte. Söder sagt zwar, er "wollte" Jamaika. Es sind aber nicht Grüne, FDP und CDU, an denen Jamaika scheitert. Die Indiskretionen der vergangenen Tage waren dafür zu verräterisch."

"Märkische Oderzeitung": "Für den Beobachter stellt sich die Frage, ob das noch Sondierungen sind oder bereits Koalitionsverhandlungen. Von Letzterem geht CSU-Chef Markus Söder aus, während die Ampel-Verhandler sich noch dabei wähnen, ein mögliches Bündnis auszuloten. Dass Söder schneller ist als alle anderen, hat interne Gründe, die auf die einfache Formel zu bringen sind: je mehr Ampel, desto weniger Laschet. Bayerns Ministerpräsident hat den CDU-Chef nun so stark lädiert, dass dessen eigene Partei nicht mehr viel tun muss, um den Aachener loszuwerden. Die neue Zeit bricht nun auch für die Union an, die sich in der Opposition mit weniger Posten, weniger Einfluss und viel mehr Frust begnügen muss."

"Rhein-Zeitung": "Der Wahlsieg der SPD, der beklagenswerte Zustand der Union und das Drängen der Grünen ließen den Liberalen keine andere Wahl, als die ersten Weichen in Richtung Ampel zu stellen. Alles andere wäre überraschend gewesen und hätte wohl eine politische Krise ausgelöst. Die Union hat den Liberalen die Entscheidung durch die jüngsten Durchstechereien an die Presse über Inhalte ihrer bilateralen Gespräche noch erleichtert."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Söder und Laschet mit Botschaften, die unterschiedlicher kaum sein konnten

"Süddeutsche Zeitung": "Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Armin Laschet und Markus Söder nicht an einem Strang ziehen - zumindest nicht auf derselben Seite-, dann wurde er jetzt eindrucksvoll erbracht. Jeder wusste, dass FDP und Grüne an diesem Mittwoch darüber entscheiden, ob sie eine Ampelkoalition anstreben. Es wäre für die Vorsitzenden von CDU und CSU also genügend Zeit gewesen, ihre Reaktion darauf abzustimmen. Doch Laschet und Söder meldeten sich mit Botschaften zu Wort, die unterschiedlicher kaum sein könnten. (...) Viele in der CDU wünschen sich jetzt einen schnellen Neuanfang. Aber Armin Laschet will den Weg immer noch nicht frei machen. Um politisch zu überleben, hofft er weiterhin auf eine Jamaika-Koalition. Dabei bräuchte die CDU jetzt kaum etwas dringender als den Neuanfang."

"Volksstimme": "Bisher kleben Grüne und Liberale bei den Vorgesprächen zur Regierungsbildung zusammen wie siamesische Zwillinge. Das Doppel gibt Tempo und Richtung vor, nicht SPD und Union, die sich Hoffnung aufs Kanzleramt machen. Das deutliche Vorpreschen der Grünen in Richtung Ampelkoalition dokumentiert allerdings, dass die grün-gelbe Phalanx endlich ist. Wenn es nämlich richtig um die Inhalte geht. Da sind sich Sozialdemokraten und Grüne zum Beispiel beim Staatsvertrauen sehr nahe, während die Liberalen damit ihre Probleme haben. Das dürfte bei Schuldenbremse und Reichensteuer erhebliche Bremswirkung bei den Verhandlungen entfalten. Aber bei welchen Koalitionsverhandlungen ist vorher alles klar? Die Tür zur Jamaika-Alternative jedenfalls schließt sich. Die FDP fühlt sich bei aller inhaltlichen Nähe nicht dazu berufen, der ausgelaugten Union neues Leben einzuhauchen. Und die grüne Basis würde bei Jamaika den Aufstand proben. Die Ampel leuchtet schon mal auf - im Probebetrieb."

"Die Ampel wird jeder der drei Parteien schmerzhafte Kompromisse abverlangen"

"Weser-Kurier": "Die Ampel wird jeder der drei Parteien noch schmerzhafte  Kompromisse abverlangen. Aber in diesem Modell liegt nach drei Großen Koalitionen in den vergangenen 16 Jahren auch eine charmante Chance. Deutschland braucht rasch eine funktionierende Regierung. Die Aufgaben sind immens: Corona, Schuldenberg, die Krise der EU, geopolitische Herausforderungen."

"Pforzheimer Zeitung": "Es dauert nur ein paar Sekunden, bis Christian Lindner einen wohlgezielten Pfeil in Richtung Union abfeuert: Die Gespräche mit den Grünen, sagt der FDP-Vorsitzende, seien sehr diskret gewesen. Spätestens da ist klar, was Lindner in seinem Statement gleich verkünden wird – erste Sondierungen seiner Partei mit SPD und Grünen. Diskretion war das große Thema in den vergangenen Tagen. Der Ärger über die Durchstechereien vermutlich seitens der Union ist groß. Auch der CDU stehen spannende Zeiten bevor. Schon in den vergangenen Tagen beherrschten die Attacken auf Armin Laschet die Union; von Geschlossenheit keine Spur. Mit jedem Tag, den die Ampelparteien nun verhandeln, wächst der Druck auf den Parteichef, den Weg für einen Neuanfang freizumachen. Seine Zeit in der ersten Reihe der Politik dürfte abgelaufen sein. Egal, was aus der Ampel wird."

"Südkurier": "Was Armin Laschet immer noch nicht wahrhaben will, spricht CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt offen aus: Die Reise geht in Richtung Ampel. Die Sondierungsgespräche in Berlin steuern mit Riesenschritten auf die SPD und einen Bundeskanzler Olaf Scholz zu. Vor allem FDP-Chef Lindner, der vor der Wahl anderes versprochen hatte, muss sich dafür einen gewaltigen Ruck geben. Doch die Union macht den Liberalen den Seitenwechsel leicht: Wer nicht weiß, ob er überhaupt regieren will, kann nicht erwarten, als Partner für Koalitionsgespräche ernstgenommen zu werden. Damit neigt sich in der Union das tragische Kapitel Laschet unweigerlich dem Ende zu. Der Kanzlerkandidat hat im Wahlkampf viele Fehler gemacht. Am unglücklichen Verlauf der Sondierungsgespräche sind jedoch andere schuld – vor allem die Unionsfreunde in Bayern. An einem Jamaika-Kanzler namens Armin Laschet hat Markus Söder sichtlich kein Interesse. Wenn der CDU-Chef scheitert, dann an ihm."

DPA
dho