Bei einer Demonstration gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" ist es zu Rangeleien gekommen, Wenige Tage nach dem Schlichterspruch zu dem milliardenschweren Bahnprojekt waren wieder mehrere Tausend Menschen vor den Stuttgarter Hauptbahnhof gezogen. Die Polizei sprach von rund 3000 Teilnehmern, die Veranstalter von rund 10.000.
Redner auf der Kundgebung kritisierten den Schlichterspruch scharf, in dem sich der CDU-Politiker Heiner Geißler für eine Fortführung von "Stuttgart 21" mit Korrekturen ausgesprochen hatte. "Dieser Schlichtungsspruch ist schlichtweg nicht akzeptabel", sagte Klaus Gebhard, Gründer der Gruppe "Parkschützer". Und: "Herr Geißler hat uns ein dickes Ei gelegt, aber dieses Ei werden wir zu Rührei machen." An den Gründen des Protests habe sich nichts geändert.
Und noch'n Schlichterspruch
Unter großem Jubel der Demonstranten schlug Gebhard einen zweiten Schlichterspruch vor, der eine Bürgerbefragung vorsieht. Bis dahin solle es einen totalen Bau- und Vergabestopp geben.
Obwohl die "Parkschützer" den geplanten Demonstrationszug eigentlich abgesagt hatten, zogen nach Angaben der Polizei einige Hundert Demonstranten über den Cityring. Dabei sei es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und anschließend auch zu den Rangeleien gekommen. Ein Teilnehmer wurde laut Polizeisprecher Olef Petersen festgenommen.
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Rüdiger Grube, hat nach der Schlichtung im Konflikt um Stuttgart 21 bei künftigen Großprojekten eine frühere und intensivere Beteiligung der betroffenen Bürger zugesagt. "Das ist das Wichtigste, was ich aus dieser Diskussion gelernt habe. Man darf keine Scheu und keine Berührungsängste haben und muss frühzeitig in den Dialog mit den Bürgern treten", sagte Grube der "Welt am Sonntag". Nur auf diese Weise ließen sich Großprojekte erfolgreich umsetzen.
"Planungsabläufe müssen transparenter werden"
Auch die Politik müsse Planungsabläufe in Zukunft transparenter machen, forderte Grube. Die Bürger müssten schon im Vorfeld von Großvorhaben intensiver als bislang eingebunden werden. Grube kritisierte aber auch Teile der Protestbewegung. "Von mündigen Bürgern kann man erwarten, dass sie sich frühzeitig informieren und nicht erst dann aktiv werden, wenn die wichtigen Entscheidungen gefallen sind", sagte der Bahnchef.
Die Grünen waren und sind einer der lautesten Kritiker des Milliardenprojekts. Nach Worten ihres Parteichefs Cem Özdemir akzeptieren sie den Schlichterspruch von Heiner Geißler. Dieser sei nur auf den ersten Blick enttäuschend gewesen, erklärte Özdemir auf dem Landesparteitag im badischen Bruchsal. Gleichzeitig schränkte er ein: "Ohne dass alle Auflagen aus der Schlichtung erfüllt werden, wird es von uns kein Ja zu dem Projekt geben." Özdemir sagte dazu, ein zweiter Blick in die Gesichter der Befürworter habe gezeigt, welche Konsequenzen der Schlichterspruch habe. Die Grünen gehen davon aus, dass in Stuttgart zwei Gleise zusätzlich gebaut werden müssen. Damit wären ein neues Planfeststellungsverfahren und eine Aufstockung des Finanzierungsrahmens notwendig.
Derzeit liegen die Grünen im Land in Umfragen bei 28 Prozent. Zusammen mit der SPD, die zuletzt auf 18 Prozent kam, lägen sie leicht vor Schwarz-Gelb. Die jüngste Umfrage ergab für die CDU 39 und für die FDP 5 Prozent.
Heiner Geißler glaubt weiter an Schwarz-Grün
Trotz des Streits um den Umbau hält Heiner Geißler ein Bündnis zwischen CDU und Grünen nach der Landtagswahl für möglich. In einem Interview mit dem "Spiegel" nannte Geißler eine schwarz-grüne Partnerschaft eine "reelle Option". Weiter sagte er: "Die Rangeleien von heute sind doch alle Schall und Rauch in dem Moment, in dem es ernst wird."
Dass die Proteste um "Stuttgart 21" nach der Schlichtung fortgesetzt werden, ist Geißler zufolge legitim. "Keine Schlichtung und kein Parlament können einfach das Demonstrationsrecht abschaffen", sagte der 80-Jährige. Das Attac-Mitglied forderte, das Demonstrationsrecht in Deutschland müsse "befreit werden von der heimtückischen Unterstellung, Demonstranten seien Terroristen".
Schlichtung ist keine Allzweck-Lösung
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dämpft dagegen zu große Erwartungen an eine Schlichtung wie Stuttgart 21. Solche Großprojekte eigneten sich nicht als Kraftproben zwischen dem Rechtsstaat und dem Demokratieprinzip, sagte er bei der Entgegennahme des Dolf-Sternberger-Preises für Redekunst 2010 in Heidelberg. "Ich wundere mich, wie ein solcher Vorgang schnell als Modellcharakter bezeichnet werden kann." Beim Schlichtungsprozess stehe gar nicht fest, "ob er überhaupt etwas verändern" werde.