Am Wochenende sind die Würfel gefallen, endgültig. Für die Linke im Saarland kandidieren Yvonne Ploetz und Thomas Lutze auf den beiden Spitzenplätzen der Landesliste. Zumindest Ploetz hat damit gute Chancen, abermals in den Bundestag einzuziehen. Oskar Lafontaine, der große, alte Mann der Linken, hatte intensiv dafür geworben, die ehemalige Weltklasse-Tennisspielerin Claudia Kohde-Kilsch auf Top 1 der Liste zu setzen - vergeblich. Er selbst hatte schon Ende April bekannt gegeben, dass er nicht nochmals antreten werde. Das bedeutet für Berlin, dem Zentrum der Macht: Die Linke ohne Lafontaine. Lafontaine ohne die Linke. Eine Ära geht zu Ende.
Weshalb ist er ausgestiegen? Warum hat er nicht die Spitzenkandidatur für das Saarland übernommen, die ihm seine Genossen auf dem goldenen Tablett serviert hätten? Viele vermuten, er fühle sich zu alt für die Bundespolitik. Er habe das Gefühl, dort gäbe es nichts mehr für ihn zu tun.
Weiterhin Debatten anstoßen
Lafontaine antwortet im Gespräch mit stern.de mit dem schlichten Satz: "Ich habe mir gesagt, man sollte gehen, wenn einige noch bedauern, dass man geht." Aber kann er denn überhaupt ohne aktive Politik leben? "Ohne aktive Politik schon", sagt er, "aber ohne Politik wohl nicht. Denn in meinem Kopf hat diese immer einen besonderen Stellenwert eingenommen. Wie bei anderen Menschen etwa Literatur und Philosophie."
Aber: "Ich habe mir gesagt, ich bürde mir den Bundestag nicht mehr auf. Das hätte ich gemacht, wenn ich die Chance gesehen hätte, im jetzigen Parteienspektrum etwas grundsätzlich Positives im sozialen und demokratischen Sinne zu bewirken." Im Übrigen behalte er ja seine Funktion als Vorsitzender der Linken-Fraktion im saarländischen Landtag. Und er fügt einen Satz an, der die aktuelle Führung der Linkspartei im Bund beunruhigen dürfte. "Ich werde weiterhin auf Bundesebene Debatten anstoßen. So lange ich fit bin im Kopf, werde ich auch politische Talkshows machen."
"Die Menschheit beglücken"
Einer der langjährigen, treuen Wegbegleiter Lafontaines, der seinen Namen nicht in der Presse lesen will, grummelt auf die Frage nach den Motiven seines Freundes ziemlich mürrisch: "Der will auch weiterhin die Menschheit mit seinen Erkenntnissen beglücken." Ein typisches Beispiel sei, dass Lafontaine ausgerechnet jetzt den Ausstieg aus dem Euro predige und die Rückkehr zur D-Mark. Damit habe die Linke eine schwierige Debatte am Hals. Das sei ein für Lafontaine typischer Sündenfall.
Doch den irritieren Schlagzeilen wie "Linke empört sich über Lafontaine" nicht eine Sekunde. Auch nicht, dass ihm unterstellt wird, er verbessere mit seinem Vorstoß nur die Wahlchancen der Anti-Euro-Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), die ohnehin schon bei drei Prozent in den Umfragen rangiert.
Verhältnis zu Sahra Wagenknecht
Genau an diesem Punkt ist zu besichtigen, wie das politische Leben des Oskar Lafontaine weitergehen wird. Er wird Impulse setzen - und sich dagegen wehren, dass seine Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht als sein Sprachrohr betrachtet wird. Sie hatte Lafontaine in der Euro-Frage sogleich unterstützt: "Die AfD hat in vielen Punkten recht", hatte sie dem Nachrichtensender N-TV gesagt. Lafontaine sagt dazu: "Wir arbeiten ständig an Fragen der Finanz- und Währungspolitik, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind. Wir befruchten uns im geistigen Sinn gegenseitig." Im Übrigen habe die boulevardisierte deutsche Presse einen Wahrnehmungsfehler. Sie sei nicht in der Lage, "diesen oder jenen als eigenständige Persönlichkeit" zu beschreiben.
Gelassen blickt Lafontaine auf die entscheidenden Momente seines politischen Lebens zurück. Auf die Frage, welches der schmerzhafteste gewesen sei, nennt er ohne zu zögern den 24. Mai 2005. Damals trat er aus der SPD aus, als Grund nannte er das "schlechte Mannschaftsspiel" und die Hartz-IV-Gesetze. Zuvor hatte ihn der damalige SPD- Generalsekretär Klaus Uwe Benneter öffentlich zum Parteiaustritt aufgefordert. "Oskar, geh jetzt! Oskar, hör auf mit dem eitlen Rumgerede! Oskar, hör auf, der SPD zu schaden! Oskar sei ehrlich: Geh jetzt!", schrieb Benneter. Das tat weh. Lafontaine empfand diese Zeilen wie einen Tritt in den Bauch.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Spielerisches in der Politik
Für Lafontaine besaß Politik immer auch einen spielerischen Charakter. Mal war er mit seinem Instinkt dabei, mal mit dem Kopf. "Aber das Spielerische muss immer auch etwas strategisch angelegt sei", sagt er. "Man braucht in der Politik Dinge wie Team-Spiel, man muss die richtige Sekunde erkennen, wenn Pressing angesagt ist, oder die entscheidende Sekunde für den richtigen Pass."
Dass die Linke oft ohne gemeinsame strategische Perspektive spielt, die Pässe nicht kommen, der Torschuss nicht gelingt, weil die Partei immer noch zwischen Ost und West gespalten ist und ihre stärksten Führungsfiguren, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi in einem gespannten Verhältnis zueinander stehen - das alles weiß der Saarländer. Er hat in der Linken, wie einst bei der SPD, nicht die unumschränkte politische Freundschaft gefunden. Auch das mag ein Grund für seinen Ausstieg aus der Bundespolitik sein.
Wahlerfolg mit Gerhard Schröder
Aber es gibt im politischen Leben dieses Mannes auch sehr erfolgreiche Momente, und das nicht nur aus seiner Sicht. Etwa als es 1985 darum ging, das Saarland vor der Stahlkrise zu retten und die industrielle Umstrukturierung einzuleiten. Stolz blickt er auch auf seine Jahre an der Spitze der Sozialdemokratie zurück. "Dass die SPD sich von der Nachrüstung unter Helmut Schmidt abgewendet hat und damit von der Spirale des Wettrüstens, als ich als Vorsitzender die Partei auf ein linkes sozialdemokratisches Programm verpflichten konnte, das war mir schon sehr wichtig." Noch immer sieht er sich als "Macher" des Kanzlers Gerhard Schröder im Jahr 1998: "Ein Erfolg, von dem man heute nur noch träumen kann." Und er fügt selbstbewusst hinzu: Schröder sei zwar die Gallionsfigur gewesen, "aber ich habe die Programmatik gemacht". Mit seinen Analysen und Rezepten habe er richtig gelegen, zum Beispiel mit der Forderung, die globalisierte Ökonomie mit einer neuen Weltwirtschaftsordnung zu bändigen.
Dass er jetzt als eine Art Mitstreiter, gar als Vorkämpfer der rechten "Alternative für Deutschland" gesehen wird, darüber schüttelt Lafontaine nur den Kopf. "Zum Vorsitzenden der AfD", sagt er, "habe ich völlig konträre Positionen." Bernd Lucke befürworte beispielsweise Lohndumping, das sei für ihn völlig inakzeptabel. Selbst die ihm oft nicht wohlgesonnene Zeitung "Die Welt" habe ihre Leser in einem Kommentar aufgeklärt, dass er mit der AfD nichts zu am Hut hat.
Verpatzte Kandidatur 1990
Es ist zu vermuten, dass die Linkspartei den aktuellen Lafontaine ebenso wenig begreift, wie die SPD den damaligen. Im Wahljahr 1990 musste er als Kanzlerkandidat aufs Hochseil, während es sich die Genossen unten in der Manege auf den schwarz-rot-goldenen Kissen der Einheit bequem machten. Damals sagte Klaus von Dohnanyi, es gäbe Wichtigeres als die Wahl zu gewinnen. Und Helmut Schmidt sagte Lafontaine eine "verdiente Niederlage" voraus. Damals haben sie es dem "Saar-Napoleon" heimgezahlt. Nicht einmal das Attentat verschaffte ihm die politische Atempause, die er so dringend benötigt hätte. Kennzeichnend für die Solidarität der SPD mit Lafontaine war ein Spruch der Genossin Anke Fuchs: "Wir müssen eben alle lernen, Oskar zu mögen." Die SPD hat es nie gelernt. Auch seine politökonomische Kompetenz wussten die Sozialdemokraten nicht zu nutzen.
Welcher Kleinkram bleibt unvergesslich in fast 50 Jahren Politik? Eines hat der Saarländer, auch wenn heute gerne fröhlich über die Vergesslichkeit "älterer Herren" scherzt, in guter Erinnerung. Es war der Tag im Sommer 1990, an dem Hans-Jochen Vogel, gramerfüllt über den lustlosen Wahlkampf mit dem ungeliebten Kanzler-Kandidaten, zu Besuch in Lafontaines Haus in Saarbrücken war. Vogel musste auf die Toilette - und über dem Lokus hing, schön gerahmt und Oskar gewidmet, eine Karikatur aus dem stern. Sie zeigt den SPD-Chef Vogel artig kniend vor dem SPD-Kanzlerkandidaten. Und in Vogels Sprechblase steht: "Ich habe zwar gesagt, meine Rolle als Parteivorsitzender sei dienend und helfend, Oskar – aber in Zukunft machst Du Deine Schnürsenkel wieder selber zu!"
Hans-Jochen Vogel, sauer
Die Karikatur hütet Lafontaine heute noch. "Das war ja eine Verarschung meinerseits. Aber Hans Jochen, der mein Haus später sichtbar sauer verließ, hat das nicht erkannt".
Lafontaine, der Verkannte. Es gibt Dinge, die ändern sich im Leben nie.