Draußen rufen die Demonstranten "Abschalten" und drinnen gibt es Zoff beim Parteitag der Grünen: Hans-Christian Ströbele hatte den Anfang schon vor Beginn des Treffens gemacht. In einem Interview mit "Spiegel Online" kündigte er an, er werde sich gegen die Pläne der Parteispitze stellen, die dem Atomausstiegsszenario der Regierung zustimmen will. "Ich sehe nicht ein, dass ich erst vor der CDU-Zentrale für eine schnellere Abschaltung demonstriere - und ein paar Wochen später ohne Not dem schwarz-gelben Konzept zustimme. Da mache ich nicht mit", wetterte der 62-Jährige.
Und kaum hatte das außerplanmäßige Treffen der Grünen am Samstagvormittag in Berlin begonnen, folgten andere Mitglieder seiner Linie. Die Sprecherin der Grünen Jugend, Gesine Agena, erhielt jede Menge Beifall, als sie erklärte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe keinen Konsens zum Atomausstieg gesucht. "Wenn Merkel nicht einmal die Zeit oder den Mut oder was auch immer hat, mit uns zu verhandeln, dann verdient sie unsere Zustimmung auch nicht."
Es geht ordentlich zur Sache
Dass es bei diesem Parteitag ordentlich zur Sache gehen wird, war schon lange klar. Denn das Thema Atomausstieg sorgt bei den Grünen für viele Emotionen. Erst recht, weil sich Parteispitze und Basis bei der Frage, ob man dem Ausstiegsplänen der Regierung zustimmen soll, überhaupt nicht grün sind.
Seit 30 Jahren streite die Partei für den Ausstieg, rief Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke den Delegierten zum Auftakt des Konvents am Samstag in Berlin zu. Rund 800 Delegierte wollen festlegen, ob die Grünen-Abgeordneten dem schwarz-gelbem Atomausstieg bis 2022 am kommenden Donnerstag im Bundestag zustimmen. Rund 100 Änderungsanträge und drei Gegenanträge zeigen den großen Widerstand an der Basis. Die Grünen wollen laut Parteibeschluss eigentlich bereits 2017 das letzte Atomkraftwerk abschalten.
Lemke erinnerte an die Wahlerfolge der jüngsten Vergangenheit. Der grüne Mininsterpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, wurde mit Applaus begrüßt. Beobachter werten den Parteitag auch als richtungsweisend für die künftige Regierungstauglichkeit der Grünen im Bund. Und die mache sich auch an der Fähigkeit zum Konsens fest, erklärte die Parteispitze.
"Unverantwortlich langsamer Ausstieg"
Für einige Umweltverbände ist das kein Argument. Sie attackieren die Partei deshalb heftig."Fukushima hat die Sicherheitsbewertung der Kanzlerin verändert, aber offenbar nicht die der Grünen", schrieb Greenpeace-Geschäftsführerin Brigitte Behrens in einem Beitrag für die Wochenendausgabe der "tageszeitung (taz)". Es gebe keinen Grund, "diesem unverantwortlich langsamen Ausstieg zuzustimmen".

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Behrens verwies auf einen Beschluss des Grünen-Länderrates, der vor drei Monaten entschieden habe, das Atomzeitalter in der kommenden Wahlperiode endgültig zu beenden. Dem widerspreche die jetzige Empfehlung der Parteispitze, dem Zeitplan der Bundesregierung mit einem Ausstieg bis 2022 zuzustimmen.
Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel
Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland rief die Grünen-Basis auf, den Ausstiegsplan der Bundesregierung abzulehnen. Dies sei wichtig für die Glaubwürdigkeit der Partei, schrieb BUND-Vizechefin Ulrike Mehl in der "taz". Eine Zustimmung der Grünen zu dem von Schwarz-Gelb angepeilten Laufzeitende in gut zehn Jahren würde zur "Ernüchterung" führen und zeigen, dass die Partei nicht um die Realisierung ihrer Visionen kämpfe.
Die Parteiführung plädiert trotz Bedenken für eine Zustimmung zu den schwarz-gelben Plänen für einen Ausstieg bis 2022. Drei Gegenanträge und Dutzende Änderungsanträge dokumentieren den starken Widerstand in der Partei. Der Ausgang ist völlig offen.
Ströbele forderte, die Grünen sollten von ihren bisherigen Forderungen nicht abrücken und auf Verhandlungen mit der Koalition bestehen. "Wir können nicht dem Gesetzesantrag der Koalition zustimmen, ohne vorher wenigstens unsere Forderungen vorgebracht zu haben. Es geht schließlich um 1528 Tage weniger Atomkraft", so Ströbele. Er warnte auch vor einem Verlust der Glaubwürdigkeit seiner Partei. "Wenn wir jetzt zustimmen, wird uns immer vorgehalten werden, dass wir das Ausstiegsdatum 2022 akzeptiert haben."
Grüne dürfen Bürger nicht verprellen
Der baden-württembergische Grünen-Umweltminister Franz Untersteller rechnet mit einer breiten Zustimmung der Parteibasis. Er könne sich nicht vorstellen, dass nicht eine große Mehrheit der Grünen sehe, was für ein großer Erfolg darin stecke, dem Atomausstieg jetzt endlich so nahe gekommen zu sein, sagte er am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Der Bevölkerung sei es nicht verständlich zu machen, wenn sich die Grünen jetzt an diesem Punkt verweigerten.
Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, warf der Grünen-Spitze vor, sie versuche, koalitionsfähig mit der Union zu werden. "Die Traumvorstellung der Grünen ist doch, die FDP zu ersetzen und wählen zu können, ob sie mit der Union oder doch mit der SPD regieren", sagte Gysi in einem am Samstag vorab veröffentlichten Interview der Zeitschrift "Super Illu". Seine Partei bleibe bei ihrer Ablehnung des schwarz-gelben Atom-Ausstiegskonzeptes.
Roth rechnet mit Regierungsübernahme 2013
Grünen-Parteichefin Claudia Roth betonte am Donnerstag, mit dem geplanten Abschaltdatum der Meiler sei "die Reststromzockerei, wie sie beim rot-grünen Konsens möglich war, nicht mehr möglich". Einzelne Meiler könnten also nicht mit übertragenen Reststrommengen bis Mitte kommenden Jahrzehnts laufen. Der Atomausstieg bis 2022 gehe "über den rot-grünen Ausstieg positiv hinaus", sagte Roth der Nachrichtenagentur DPA. "Das steht zur Abstimmung und dem möchte ich zustimmen." Weitere Verbesserungen nach einer Regierungsübernahme 2013 seien aber etwa in punkto Sicherheit nötig: "Das ist kein Blankoscheck."
Der Co-Vorsitzende Cem Özdemir betonte, der Ausstieg bringe auch ein wichtiges Signal für die Wirtschaft, die sich dann an festen Vorgaben orientieren könne.
Grüne Jugend: Ausstieg kommt zu spät
Die Sprecherin der Grünen Jugend, Gesine Agena, hingegen kritisierte am Donnerstag im SWR: "Der Ausstieg der Bundesregierung ist zu spät, also erst im Jahre 2022, nicht wie wir gesagt haben 2017." Zudem seien die Sicherheitsmaßnahmen für die AKW katastrophal. "Die tragen wir nicht mit." Eine Zerreißprobe sei es für die Partei nicht, über den Wunsch nach einem schnellen Ausstieg herrsche Einigkeit.
Der nordrhein-westfälische Landeschef Sven Lehmann sagte der DPA: "Wir bräuchten den Ausstieg eigentlich bis 2021, wie das Land NRW dies im Bundesrat gefordert hat." Stromkonzerne, Union und FDP könnten ihn sonst nach der Bundestagswahl 2021 torpedieren. Merkel solle zudem ins Atomgesetz aufnehmen, dass die Urananreicherung in Gronau beendet werde. "Davon machen viele NRW-Delegierte (...) ihre Zustimmung abhängig."