stern.de-Interview mit Cem Özdemir "Der Ausstieg ist wasserdicht"

Samstag entscheiden die Grünen über ihre Zustimmung zum Atomausstieg. Parteichef Cem Özdemir gibt sich siegessicher - und hält Merkels Plan für wasserdichter als den alten rot-grünen.

Die Grünen-Spitze unterstützt Angla Merkels Kehrtwende beim Atomausstieg, lauteten dieser Tage einige Schlagzeilen. Bekommen Sie, Herr Özdemir, bei ihrem Parteitag in Berlin am Wochenende dafür eine klare Mehrheit?
Frau Merkel musste ihren atompolitischen Offenbarungseid leisten mit der Rücknahme der Laufzeitverlängerungen. Sie nimmt Abschied von der Atomenergie, und es liegt an uns, dass es auch dabei bleibt. Jetzt treiben wir sie in der Frage der notwendigen Energiewende. Das ist ein klarer Erfolg für meine Partei, und deswegen rechne ich nach einer breiten Debatte am Ende auch mit Zustimmung.

Eine Mehrheit, die nicht mit Vorbehalten gespickt ist, zum Beispiel, dass das Enddatum nicht 2022, sondern 2017 sein müsse, dass keine neuen Kohlkraftwerke für die Energiewende gebaut werden dürfen? Dass die Endlagersuche endlich über Gorleben hinausgeht?
Unser Leitantrag nimmt eine differenzierte Bewertung vor. Beim Atomausstieg plädieren wir für Zustimmung. Auch wenn es schneller gehen könnte, ein parteiübergreifender Kompromiss ist ein großer Wert an sich und bedeutet das Aus für die Atomenergie in Deutschland und Planungssicherheit für die Wirtschaft, denn den wird keine Partei mehr rückgängig machen können. Beim ebenso wichtigen Ausbau der Erneuerbaren Energien hat diese Regierung keinen Mut, das geht viel ambitionierter. Bis 2020 könnten wir zu mehr als 40 Prozent Strom aus Erneuerbaren beziehen, aber die Bundesregierung tritt auf die Bremse. Auch die Ausbauziele beim Windenergiebereich beschränken sich im Kern auf den Off-Shore-Bereich. Das ist wieder einmal ein Förderprogramm für die vier großen Energiekonzerne. Das ist nicht zustimmungsfähig, und wir werden die Energiewende beschleunigen, sollten wir 2013 regieren. Im Herbst steht dann die Entscheidung über ein Endlagersuchgesetz an. Wir wollen, dass endlich ergebnisoffen und ohne den ungeeigneten Standort Gorleben nach einem Standort für ein Endlager gesucht wird und wir außerdem keine Renaissance des Klimakillers Kohle erleben müssen.

Die Umweltverbände fordern 2017 als Ausstiegsdatum, wie früher die Grünen auch schon. Können Sie damit leben, dass erst 2022 der finale Ausstieg stattfindet?
Natürlich wünschen wir uns einen schnelleren Ausstieg, aber wir können unsere Augen nicht verschließen vor dem politisch Machbaren. Umweltverbände wie der NABU oder der WWF sehen das genauso und unterstützen uns. Der Ausstieg 2022 ist sogar wasserdichter als einst die rot-grünen Ausstiegspläne. Damals wären wir durch die Restlaufzeiten bei 2023 bis 2026 gelandet. Insofern würde es mir schwer fallen zu begründen, weshalb ich jetzt dem Ausstieg nicht zustimmen sollte.

Im grünen Leitantrag für den Parteitag stehen noch viele andere Vorbehalte und Bedingungen. Wie stehen Sie zu der Frage der Fortsetzung der Urananreicherung in der Anlage Gronau, wie es geplant ist?
Es steht ja ausdrücklich in unserem Antrag, dass wir eine Schließung von Gronau verlangen. Aber Gronau steht im Bundestag nächste Woche nicht zur Entscheidung. Wir fordern auch, dass es künftig keine Hermes-Bürgschaften für den Bau von neuen Atomkraftwerken mehr gibt...

...mit dem wir zurzeit den Bau des Atommeilers Angra 3 in Brasilien mit einer Bürgschaft in Höhe von 1,3 Milliarden Euro absichern?
Das wird es mit den Grünen sicher nicht geben. Eine solche Politik der Bundesregierung zeigt ja auch, dass trotz Ausstiegs von einem Konsens nicht die Rede sein kann und wir auch nach dem formalen Ausstiegsbeschluss weiter Druck machen müssen. Wenn wir mit dem Atomausstieg in Deutschland und damit der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt erfolgreich sind, dann ist das auch eine Modell für alle die Länder, die jetzt vor der Frage stehen, ob sie neu in die Atomenergie einsteigen oder die bestehenden Atomkraftwerke länger am Netz lassen wollen. Die schauen auf Deutschland, die einen mit Hoffnung, die Atomlobby mit Sorge, und fragen sich, ob wir den Ausstieg schaffen, ob es gelingt, nicht in eine Kohlefalle zu tappen und ob wir trotzdem Wohlstand und neue Arbeitsplätze schaffen, ohne in die Abhängigkeit von Atomstrom aus den Nachbarländern zu geraten. Wir können das schaffen, und dann hat das eine Signalwirkung weit über Deutschland hinaus.

Haben Sie keine Angst, dass die grüne Parteiwelt künftig wesentlich weniger grün daherkommt? Weil man nicht mehr als klare Oppositionskraft gegen Schwarz-Gelb daherkommt? Es soll ja auch Fundis geben in Ihrer Partei.
Wir sind die Partei, die die größte Glaubwürdigkeit auch beim Ausbau der Erneuerbaren Energien hat. Es gibt für uns weiterhin viel zu tun, keine Sorge. Und warum sollte ich Angst davor haben, wenn Frau Merkel Haken schlägt und zugeben muss, dass sie im letzten Herbst etwas völlig Falsches beschlossen hat. Eigentlich müsste doch die CDU einen außerordentlichen Parteitag machen.

Angela Merkel stellt sich eben nicht so gerne der Diskussion an der Basis. Sie trifft lieber Alleinentscheidungen.
In einer Situation, in der es brodelt, zeugt das nicht von viel Souveränität. Sie sollte die Bürgerinnen und Bürger wieder ernst nehmen und nicht im Herbst den Demonstranten einen Vogel zeigen und im Frühjahr sagen: "Ach, das war nicht so gemeint, wir sind doch eigentlich auch gegen Atomenergie."

Wie bewerten Sie die Ankündigung Ihres Parteifreundes Kretschmann, er erwarte vom Parteitag ein "kraftvolles Ja"? Sonst beschädige man die Mehrheitsfähigkeit der Grünen.
Wir sind eine kraftvolle Partei, und dass wir diesen Parteitag machen, zeigt das. Wir diskutieren solche Fragen offen. Ich bin sicher, dass es am Ende nach einer breiten Debatte ein Ja zum Ausstieg und ein ebenso klares Nein zu den anderen Gesetzesnovellen geben wird.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wie stehen Sie zu Kretschmanns Satz: "Man muss auch führen wollen, wenn man ein Land gestalten will"?
Wir wissen, dass viele Bürgerinnen und Bürger, die die Grünen zum ersten Mal gewählt haben, sehr genau darauf schauen, was wir jetzt machen. Wir müssen mit dieser Verantwortung sinnvoll und klug umgehen. Denn auf die Grünen kommt es an, damit die Energiewende gelingt. Und sie muss gelingen. Viele warten sehnlich darauf, dass wieder eine Regierung kommt, die handwerklich sauber arbeitet und eine klare Vorstellung davon hat, wohin der Weg Deutschlands und Europas geht.

Könnte es sein, dass der grüne Parteitag vom Bemühen geprägt ist, die Chancen für Schwarz-Grün in der Zukunft nicht zu beschädigen? Käme derart geprägtes Strategiedenken nicht viel zu früh? Sehen Sie eine schwarz-grüne Option im Jahr 2013?
Es ist absoluter Quatsch, den Atomausstieg mit Koalitionsfragen zu verknüpfen. Wenn die CDU Ersatz für eine in der Auflösung befindliche FDP sucht, dann wird sie nicht bei uns fündig. Die CDU wollte für ihre Freunde der Atomlobby die Laufzeiten der Atomkraftwerke ohne jede Not verlängern. Die CDU unter Führung von Angela Merkel hat gleichzeitig die Grünen zum Hauptgegner ausgerufen. Das alles werden wir sicher nicht vergessen. Unsere Präferenz für eine Koalition liegt nach wie vor bei der SPD, mit der wir klar mehr Schnittmengen als mit der Union haben. Nehmen Sie nur die Frage von Mindestlöhnen oder Merkels gutsherrenartige Vorschläge an Griechenland. Da trennen uns Welten.

Aber trotzdem wollen sie mit der CDU reden. Ist das nicht ein wenig unlogisch?
Wir reden mit Frau Merkel so, wie es sich für eine konstruktive Opposition in einer Demokratie gehört. Fundamentalopposition überlassen wir der Linken. Die Grünen stehen aber auch nicht bereit als Steigbügelhalter für Frau Merkel, damit sie weiter falsche Politik machen kann. Kurz und knapp: Wir wollen diese Regierung ablösen.

Wie finden Sie es denn, dass die Kanzlerin derzeit schwer beschäftigt ist, die FDP mit Steuererleichterungen zu beschenken?
Das überrascht mich nicht. Das ist einer der teuersten politischen Wiederbelebungsversuche in der jüngeren Geschichte unseres Landes. Aber Rumtaktiererei ist eben das Erkennungszeichen von Schwarz-Gelb. Frau Merkel fährt seit Monaten Zick-Zack zum Schaden der Europäischen Union, weil sie lieber die Stammtische bedient. Damit fördert sie die Europaverdrossenheit. Deshalb sagen wir: Wir brauchen dringend wieder eine Regierung, die sich in der Europapolitik in der Tradition eines Helmut Kohl oder Willy Brandt sieht.

Die SPD denkt an einen Spitzensteuersatz über 50 Prozent. Sie auch?
Wir halten eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent für sinnvoll. Außerdem fordern wir eine auf zehn Jahre befristete Vermögensabgabe, um die Schulden der Finanzkrise abzutragen, damit sie nicht noch kommenden Generationen angelastet werden. Ich warne allerdings davor, dass man alle Probleme zu lösen versucht, indem man den Spitzensteuersatz beliebig in die Höhe schraubt.

Wie bewerten Sie denn Merkels Steuerangebot an die FDP?
Ich kann nicht erkennen, dass die Entscheidung auf einer neuen Sachlage gegründet ist. Die Verschuldung des Bundes steigt auch in diesem Jahr weiter. Es ist schlicht unverantwortlich, dass Frau Merkel vor allem darüber nachdenkt, wie sie die FDP wieder über fünf Prozent stabilisieren könnte. Das scheint mir nicht die Hauptaufgabe einer gewählten Regierung zu sein. Sie sollte besser ihrem Amtseid folgen und dafür sorgen, dass sie das Land voranbringt. Mir würden sehr viele bessere Aufgaben einfallen, als die FDP zu hätscheln. Etwa, indem sie sich endlich um ein gerechteres und besseres Bildungssystem kümmert.

Ist das eines der Themen der Zukunft für die Grünen, wenn die Anti-Atom-Linie angehakt ist?
Welche Linie soll abgehakt sein? Wir sind und bleiben die Anti-Atom-Partei Deutschlands, wir haben die Energiewende eingeleitet und wir werden gebraucht, damit sie konsequenter als jetzt umgesetzt wird. Wir sind außerdem mittlerweile fast die einzige Europapartei. Und wir denken daran, im Gegensatz zur Linkspartei, in welchem Zustand wir den Haushalt den kommenden Generationen überlassen.

Früher hätte man es sich niemals denken können, dass ein grüner Parteichef Helmut Kohl nachweint.
Ich weine auch nicht, aber wenn wir uns anschauen, wie Frau Merkel mit der großen Idee Europa umspringt, dann wünscht man sich bei diesem einen Thema Helmut Kohl zurück. Wir hoffen, dass Europa bis 2013 nicht irreparabel beschädigt wird.

Wenn im Herbst im Land Berlin eine Koalition SPD/Grüne rechnerisch möglich ist, treten Sie dann dafür konsequent ein, auch wenn ihre Parteifreundin Künast dabei nicht Regierende Bürgermeisterin werden würde?
Auch in Berlin schielen wir nicht zuerst nach Koalitionsoptionen, sondern kämpfen für eigenständige, starke Grüne. Und am Ende entscheiden bei uns die Inhalte. Schauen Sie nach Bremen. Da diskutierten die Medien vor der Wahl über eine rechnerisch vielleicht mögliche grün-schwarze Mehrheit. Wir haben das aber bereits vor der Wahl ausgeschlossen. Wir haben uns für Rot-Grün entschieden, weil es inhaltlich mit der SPD schlichtweg besser passt.

Können wir im Jahr 2013 mit einem grünen Abgeordneten Cem Özdemir rechnen?
Dafür werde ich mich einsetzen. Ich möchte neben meiner Funktion als grüner Bundesvorsitzender gerne Baden-Württemberg im Bundestag vertreten.

Und reicht ihre Phantasie auch aus, den Gedanken an einen grünen Bundeskanzler 2013 zu haben, vielleicht mit dem Namen Cem Özdemir?
Wir sollten auf dem Teppich bleiben. Ich jedenfalls sehe mich nicht in dieser Rolle.

Cem Özdemir

Steffen Kugler/Getty Images ist seit dem November 2008 neben Claudia Roth Parteivorsitzender der Grünen. Der 45-Jährige wurde in Baden-Württemberg als Sohn türkischer Einwanderer geboren. Seit 1983 besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft. 2002 setzte eine Affäre um Flugmeilen und seinen Beziehungen zu dem PR-Berater Moritz Hunzinger dem Grünen zu. Folge: Er verzichtete in dem Jahr auf sein Bundestagsmandat, saß aber zwischen 2004 und 2009 im Europaparlament.

Interview: Hans-Peter Schütz