"Kleine Bundestagswahl" Klatsche für den Kanzler: Warum die SPD-Wähler in NRW zu Hause geblieben sind

Bundeskanzler Olaf Scholz mit geschlossenen Augen
Tiefschlag für Bundeskanzler Scholz in NRW. Bei der wichtigen Wahl konnte die SPD viele Stammwähler nicht mobilisieren.
© Bernd von Jutrczenka / DPA
Knapp acht Monate nach der gewonnenen Bundestagswahl ist die Krisenstimmung zurück in der SPD. In NRW verweigerten Hunderttausende Stammwähler die Stimmabgabe. Nicht zuletzt wegen des Politikstils des Kanzlers.

Kurz nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr analysierte der stern, dass die bereits totgesagte SPD auf einmal über eine erstaunliche Machtfülle verfügt. Im Willy-Brandt-Haus wähnte man sich nach langer Durststrecke dementsprechend wieder in der Erfolgsspur und rief gar ein "Jahrzehnt der Sozialdemokratie" aus. Doch nach dem Wahl-Sonntag in Nordrhein-Westfalen ist die Euphorie der "Kanzlerpartei" schon wieder verflogen; am Führungsstil von Kanzler Olaf Scholz gibt es erhebliche Kritik – vor allem mit Blick auf die Haltung zum Ukraine-Krieg. Bei der "kleinen Bundestagswahl" im bevölkerungsreichsten Bundesland fuhren die Genossen nun ein historisch schlechtes Ergebnis ein. Ein bemerkenswerter Grund: Viele Stammwähler haben im Moment offensichtlich keine Lust, "ihre" Partei in diesem Zustand zu unterstützen und blieben einfach Zuhause.

"Die SPD konnte ersichtlich nicht mobilisieren, und zwar in zweierlei Hinsicht", analysiert der Politikwissenschaftler und Redakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik", Albrecht von Lucke, im Gespräch mit dem stern. Landespolitisch habe der schwache Spitzenkandidat Thomas Kutschaty "nicht den richtigen Ton und auch nicht die Mentalität der Menschen getroffen". Bundespolitisch müsse man sagen, dass sogar Gegenwind erzeugt wurde – durch die Eskapaden von Verteidigungsministerin Christina Lambrecht, die Russland-Verbindungen der Partei und vor allem durch den Kanzler. "Die Umfrage-Werte von Olaf Scholz sind nicht dazu angetan, die SPD nach vorne zu bringen."

Olaf Scholz trägt Verantwortung an der Niederlage

Dass die unerwartet deutliche Wahl-Klatsche mit dem Kanzler nach Hause geht, steht für viele politische Beobachter fest. Die Kritik an der mal ganz fehlenden, mal inhaltlich unklaren und insgesamt als unzulänglich empfundenen Kommunikation ist allgegenwärtig. Hinzu kommt das Zögern und Zaudern in der Ukraine-Politik, das die europäischen Partner an der Zuverlässigkeit der deutschen Regierung zweifeln lässt. Eine große Hypothek für die Wahlkämpfer im einstigen Stammland der Sozialdemokratie.

Mussten die Genossen in Düsseldorf also (auch) für die Politik in Berlin büßen? "Eindeutig", urteilt von Lucke. "Die SPD ist ein hohes Risiko eingegangen, aber das nicht freiwillig, weil sie ganz genau wusste, dass diese Wahl eine ungeheure Ausstrahlung auf den Bund hat. Deswegen war Scholz immer Seite an Seite mit Kutschaty plakatiert und hat dementsprechend auch gemeinsam mit ihm verloren und trägt mit die Verantwortung für diese Niederlage."

SPD in NRW: "Der Ruf ist nachhaltig demoliert"

Die Stimm-Verweigerung von rund 300.000 Anhängern wiegt besonders schwer, so von Lucke. Vor allem, da laut Umfragen lange Zeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet worden war. "Eigentlich waren die Voraussetzungen ja nicht schlecht", so der Politikwissenschaftler. "Man kann nicht behaupten, dass die CDU-FDP-Regierung auf allen Feldern überzeugt hätte." Im Gegenteil: Der Abgang von Ex-Ministerpräsident und Ex-CDU-Chef Armin Laschet sei ein Desaster gewesen. Hinzu kam die "Mallorca-Affäre" um Ex-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) sowie deren Rücktritt. Die Corona-Politik an den Schulen, verantwortet von der FDP-Ministerin Yvonne Gebauer, erzeugte erboste Kritik aus der Elternschaft und ist einer der Gründe für das Wahldesaster der Liberalen in NRW. "Das heißt: Die Mobilisierung ist vollständig missglückt, obwohl die Wahl ja offen schien. Das muss der SPD ungemein zu denken geben. Der Ruf der SPD in Nordrhein-Westfalen ist ersichtlich nachhaltig demoliert."

Das gilt auch für das Personal der Partei. "Personell ist die SPD in Nordrhein-Westfalen massiv ausgezehrt", urteilt der Experte. Als Alternative für den schwachen Spitzenkandidaten Kutschaty hätte man allenfalls überlegen können, eine prominente NRW-Kraft aus der Bundespolitik zu "reimportieren". Doch: "Die einzigen beiden Personen, die im Bund aus NRW in Erscheinungen getreten sind, sind Karl Lauterbach, dem man nicht unbedingt ein Ministerpräsidentenamt zutrauen würde, nachdem er mit seinem eigenen Ministerium Schwierigkeiten hat, und Svenja Schulze, die als Entwicklungsministerium nicht unbedingt geeignet ist, wirklich zu mobilisieren." Jetzt zeigten sich die Folgen von Personalverschleiß und Nachwuchsproblemen in der NRW-SPD.

"Die SPD ist fast zurück auf Null"

"Man kann es hart sagen: Die SPD ist fast zurück auf Null. Sprich: Wie vor der Scholz-Wahl mit Schwarz-Grün als fast zwingender Regierungsalternative", urteilt von Lucke. Wie ein Jahr vor der Bundestagswahl stehe die CDU als Garant der Sicherheit da und damit als Wahrer der Gegenwartsinteressen, und die Grünen seien die progressive Zukunftspartei. "Das war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb die SPD in NRW nicht als wirklich zukunftsoffen erschienen ist", so von Lucke. CDU-Mann Hendrik Wüst fehle es zwar an Charisma, doch wenn er nun Schwarz-Grün in Düsseldorf zuwege bringe, dann sei das die Koalition der Zukunft. Und damit drohe die SPD, wieder als Partei der Vergangenheit abgehängt zu werden. Selbst für eingefleischte SPD-Anhänger in der NRW keine attraktive Perspektive.