Auswirkungen auf die Ampel Nachbeben aus NRW: Das könnte für Kanzler Scholz noch stürmisch werden

NRW-Landtagswahl: Das könnte für Kanzler Scholz noch unbequem werden
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem Wahlkampftermin der SPD in Nordrhein-Westfalen
© Federico Gambarini / DPA
Eine enttäuschte SPD, erfreute Grüne und eine alarmierte FDP: Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen dürfte auch Folgen für das Machtgefüge der Ampel-Koalition in Berlin haben. Das könnte für Kanzler Scholz noch heikel werden.

Was bleibt festzuhalten? Wenn es einen Scholz-Effekt gibt, dann war er für die SPD nicht von Vorteil. Die Grünen strotzen vor Kraft. Und die FDP bewegt sich in gefährlichem Gefilde. Noch etwas? Ach ja, für die Union läuft's wieder. Aber eins nach dem anderen.

Das bevölkerungsreichste Bundesland hat gewählt, die Stimmen sind ausgezählt – und wer nun als angezählt gelten muss, ist damit gewiss. Sicher ist auch, dass die "kleine Bundestagswahl" nicht spurlos an der Bundespolitik vorbeigehen dürfte. 

Immer wieder hat Nordrhein-Westfalen einen langen Schatten aufs politische Berlin geworfen. 2005 markierte den Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Gerhard Schröders, 2012 belastete das Verhältnis der schwarz-gelben Regierung von Kanzlerin Angela Merkel nachhaltig, 2017 sicherte Merkel womöglich ihre vierte Amtszeit, nachdem Armin Laschet der SPD überraschend die Staatskanzlei abluchste und einen historischen Wahlsieg einfuhr. 

Und 2022?

Auch dieses Mal könnte die Landtagswahl Auswirkungen auf die Bundespolitik haben. Bundeskanzler Olaf Scholz könnte es nun mit Koalitionspartnern zu tun bekommen, die sich demonstrativer profilieren wollen (FDP) und breitbeiniger auftreten werden (Grüne), während in der SPD mindestens die Erkenntnis reifen dürfte, dass ihr Kanzler nicht als Zugpferd herhält.

SPD: Absage an Scholz

Das ist mit dieser Wahl deutlich geworden. Scholz absolvierte mehrere Wahlkampfautritte in Nordrhein-Westfalen, ließ sich an der Seite des SPD-Spitzenkandidaten plakatieren, mit Thomas Kutschaty würde man auch den "direkten Draht ins Kanzleramt" wählen, war nicht zuletzt die Losung von Parteichef Lars Klingbeil. Doch die offenkundige Hoffnung auf den Kanzler-Bonus wurde enttäuscht.

Mit Scholz als Wahlargument wurde zwangsläufig auch über ihn abgestimmt. Und damit über seine Ukraine-Politik, seine – je nach Lesart – besonnene oder zögerliche Haltung in Sachen Waffenlieferungen und seine oft als unzureichend empfundene Kommunikation. Dafür könnten Scholz und die SPD in Düsseldorf nun die Quittung bekommen haben. Der Beginn des sozialdemokratischen Jahrzehnts, das der damalige Generalsekretär Klingbeil nach der gewonnenen Bundestagswahl heraufbeschwor, darf nach sechs Monaten als vertagt gelten.

Grüne: Neues Machtbewusstsein

Stattdessen strotzen die Grünen vor Kraft, die zuvor auch bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein ein historisches Ergebnis einholten. Zwar scheiterten sie im Saarland an der Fünf-Prozent-Hürde, konnten ihr enttäuschendes Ergebnis von der Bundestagswahl (14,6 Prozent) nun aber gleich zweimal toppen.

Das dürfte für die Partei eine späte Genugtuung sein, hatte sie im Bund mitunter große Zugeständnisse zu machen. Ein Tempolimit wurde nicht durchgesetzt, strengere Corona-Regeln scheiterten an der FDP. Dazu rückten die Grünen im Zuge des russischen Angriffskrieges – wie wohl keine andere Ampel-Partei – deutlich von zentralen Grundsätzen ab. Sie werben nun, allen voran Bundeswirtschaftsminister Robert Hobeck und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, für Auf- statt Abrüstung und setzen sich für den Bau von Flüssiggasterminals ein.

Die Kehrtwenden, die vor allem von Habeck erfrischend und mitunter schockierend ehrlich kommuniziert werden, werden von den Wähler:innen offenbar goutiert. Allein: Die drei beliebtesten Kabinettsmitglieder der Ampel sind Grüne. Das alles könnte dazu beitragen, dass die Grünen fortan mit einem neuen Selbstbewusstsein im Bund auftreten und sich machtbewusster zeigen, wenn es darum geht, grüne Themen durchzusetzen.

FDP: Es läuft nicht

Auch die FDP könnte angesichts der Wahlergebnisse versuchen, ihre Politik erkennbarer zu machen – wenngleich aus anderen Motiven. Wo einst der Wiederaufstieg in die Bundespolitik begann, gilt es nun eine "desaströse Niederlage" zu verkraften, wie Parteichef Christian Lindner das Wahlergebnis nannte. Zwar konnten die Liberalen im Saarland leicht zulegen, scheiterten letztlich aber an der Fünf-Prozent-Hürde. In Schleswig-Holstein halbierte die Partei ihr Ergebnis von 2017, in Nordrhein-Westfalen stand nun sogar der Einzug in den Landtag auf der Kippe. 

Vor allem der jüngste Urnengang stellt eine bittere Niederlage dar, zeichnet sich die bundespolitische Bedeutung des (zumal größten) FDP-Landesverbandes schon in Lindners Führungsriege in Berlin ab: Der Bundesjustizminister kommt aus NRW, der Generalsekretär und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion ebenso – und nicht zuletzt der Parteichef und Bundesfinanzminister Lindner selbst. 

Weder konnte die FDP aus der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein heraus punkten, noch aus dem schwarz-gelben Bündnis in Nordrhein-Westfalen – und die Regierungsbeteiligung in Berlin konnte das offenbar nicht wettmachen. Kurzum: Teil einer Regierung zu sein, zahlte sich für die FDP nicht aus. 

Lindner, der vor dem Wahlsonntag noch acht Wahlkampfauftritte in NRW absolvierte, wird eine Antwort darauf finden müssen, wie sich das ändern lässt. "Die FDP muss auch als wirtschaftsliberale Kraft wahrnehmbar sein", twitterte noch am Abend der bayerische FDP-Chef Martin Hagen. "Das ist in der Ampel eine besondere Herausforderung." 

Was bleibt also festzuhalten? Die Grünen könnten in der Ampel aus einem neuen Selbstbewusstsein heraus mehr Themen setzen wollen, die FDP aus Sorge vor einem Bedeutungsverlust ebenso, während in der SPD die Sorge wachsen könnte, ins Hintertreffen zu geraten. Eine potenziell explosive Mischung, die vom Unions-Oppositionsführer Friedrich Merz – der sich nach den letzten beiden Landtagswahlen als Sieger fühlen darf – ausgenutzt werden dürfte. 

Für den Bundeskanzler und Regierungschef Scholz könnte es entsprechend ungemütlich werden. Und der nächste Stimmungstest bahnt sich schon an: Am 9. Oktober gilt es für die SPD die Staatskanzlei in Niedersachsen zu verteidigen.