SPD-Drama bei "Anne Will" Annes Allerlei

  • von Peter Luley
In der SPD überschlagen sich die Ereignisse, und was macht Anne Will? Sie ließ wie zu besten Sabine-Christiansen-Zeiten Heil, Pofalla, Westerwelle, Trittin und Ramelow ihre Phrasen dreschen. Und schaffte so das Kunststück, aus einer brisanten Lage eine charismafreie Talkshow zu machen.

Man muss es ihr zugestehen: Auch die Redaktion der Talkshow "Anne Will" wurde vom Lauf der Ereignisse überrascht. Eigentlich sollte über "Reformwut in der Schule - Klassenkampf statt klasse Bildung" diskutiert werden. Damit, dass die Sendung in Kenntnis eines frisch gekürten SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier vonstatten gehen würde, hatte man noch rechnen können - mit der Sachlage "Beck ist weg und Münte back" sowie einem verspäteten Einsatz wegen eines 15-minütigen "Brennpunkts" um 20.15 Uhr sicher nicht.

Gleichwohl ist klar, dass es genau solche Gelegenheiten sind, bei denen mehr als das Stammpublikum einschaltet, bei denen sich politische Talkshows, nicht unumstrittene zumal, auszeichnen können. Nicht nur die SPD, auch Anne Will befindet sich ja in einer Art Glaubwürdigkeitskrise. Die Chance, hier zu punkten, wurde verpasst.

Christiansen-mäßig anmutende Runde

Mit dem ohnehin auch zum ursprünglichen Thema eingeladenen CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, seinem SPD-Pendant Hubertus Heil, dem Grünen-Granden Jürgen Trittin, dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle und dem thüringischen Linkspartei-Landesvorsitzenden Bodo Ramelow hatte Will eine fast Christiansen-mäßig anmutende Runde zusammengecastet.

Genau in dieser Assoziation mit dem oberflächlichen Salon-Talk der TV-Vergangenheit lag allerdings auch das Problem. Nur zu Beginn ging Will den SPD-Funktionär Heil kurz etwas härter an, bezüglich der Indiskretionen und "gezielten Falschinformationen", die Kurt Beck in einer persönlichen Erklärung als Rücktritts-Gründe angab: "Soll man das glauben, dass die SPD heute gleichsam aus Versehen ihren nächsten Vorsitzenden verloren hat?", wollte sie wissen. Recht bald aber ergab sie sich den ausweichenden Antworten Heils, Beck sei eben "schwer angekratzt von der Berichterstattung" gewesen, es habe sich um "einen Tropfen" gehandelt "in einem Fass, das zum Überlaufen gekommen ist".

"Keine einzige strategische Frage geklärt"

Es durften die ritualisierten Stanzen der Parteipolitik abgesondert werden. Pofalla befand, die SPD habe mit der Personal-Rochade "keine einzige strategische Frage geklärt." Heil konterte, Pofalla möge vor der eigenen Tür kehren. Westerwelle mimte den ans deutsche Gesamtwohl denkenden Staatsmann und wiederholte mantragleich, es dürfe nun keinen einjährigen Dauer-Wahlkampf zwischen SPD und CDU geben. Trittin räsonierte über die "tiefe strategische Krise der SPD". Ramelow verdrückte ein paar Krokodilstränen über das Schicksal des weggeputschten Pfälzers ("man möchte am heutigen Tag nicht Kurt Beck sein") und erkannte im Übrigen "die Rückkehr der Originalvertreter der Agenda-Politik".

Wer insbesondere die beiden technokratischen Volkspartei-Generäle sich beharken sah, konnte alle Politikverdrossenheit verstehen - und auch die Skeptiker des Konzepts der Anne-Will-Show.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Natürlich trifft die Moderatorin keine Schuld am fehlenden Charisma der Funktionsträger. Und sie kann auch nichts für die Manager-Rhetorik Heils, der andauernd "am Ende des Tages" sagt und sich offensichtlich die Formulierung antrainiert hat, dass Frank-Walter Steinmeier ein guter Kanzler sein "wird" - Achtung: Indikativ, weil er ja so fest dran glaubt.

Dramatik verflüchtigte sich

Sehr wohl aber trägt Will Verantwortung dafür, dass sich die Dramatik der brisanten Nachrichtenlage im Lauf der Sendung verflüchtigte, dass kaum mehr über den entwürdigenden Hintertür-Abgang Kurt Becks diskutiert und eine Analyse der dahinter stehenden politischen Kultur versucht wurde. Stattdessen stellte sich fast das Gefühl von "business as usual" ein. Man debattierte über Hessen (die ursprünglich eingeladene hessische SPD-Spitzenfrau Ypsilanti, die sich bei der Müntefering-Kür enthielt, wäre vielleicht kein schlechter Gast gewesen), über Farbenlehre, Koalitionsoptionen und so weiter.

Der Zuschauer hat auf Dauer einfach zu wenig davon, wenn Anne Will abgeklärt-wissend-ironisch lächelt - an Stellen, wo es der Leidenschaft und Zuspitzung bedürfte. Was in den Kurz-Interviews der "Tagesthemen" ein probates Mittel der Distanzierung war, reicht bei der Talkshow-Langstrecke nicht aus. Wills Gesprächsführung ist zu defensiv, was ihr teilweise selbst aufzufallen scheint. So kommt es, dass ein halbwegs schlagfertiger Dialog mit Heil über dessen Redezeit (Will: "Jetzt sind Sie aber schon ganz schön lange dran" - Heil: "Wir sind seit zehn Jahren dran und werden weitermachen") bereits als rhetorischer Höhepunkt gelten muss.

Will stellt die falschen Fragen

Dazu stellt Will oft die falschen Fragen an die falschen Leute: zum Beispiel, wenn sie von Westerwelle wissen will, "was Steinmeier kann, was Merkel nicht kann". "Nun hör'n Se mal, ich bin Opposition, nicht Coach von unseren Mitbewerbern", entgegnete Westerwelle nicht zu Unrecht.

So erlahmte das Interesse am ungeheuren Personalverschleiß der SPD recht bald. Das war nicht allein Anne Will anzulasten, aber: Die tiefenpsychologische Deutung des gestrigen Tages - Desaster oder Befreiungsschlag für die SPD? - steht noch aus. Was Anne Will angeht, so bleibt zumindest der Eindruck haften, dass sie nicht viel inspirierter wirkt als das politische Personal, das sie befragt.