In der Affäre um angebliche Spionageaktivitäten des Lobbyisten und ehemaligen EU-Botschafters in Südkorea, Gerhard Sabathil, kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unter Druck. Dem stern vorliegende Unterlagen zeigen, dass es in der für die Ermittlungen zuständigen Bundesanwaltschaft in Karlsruhe inzwischen Zweifel an der Beweiskraft von Telefongesprächen gibt, die bei Sabathil und zwei angeblichen Mittätern seit Januar 2019 abgehört worden waren. Diese Abhörprotokolle waren eine der Grundlagen für den Anfangsverdacht gegen die drei Männer.
In einem Schreiben an das BfV vom 13. März formulierten die Bundesanwälte mehrere Kritikpunkte. So hätten Mitarbeiter des in Köln ansässigen Verfassungsschutzes die abgehörten Telefonate teils verkürzt und mit teils erkennbaren Abweichungen vom echten Gesprächsverlauf zusammengefasst. Überdies seien die zusammengefassten Aussagen teils als wörtliche Zitate markiert worden. Entlastende Passagen habe das BfV teilweise weggelassen.
Angebliches Agentengehalt kommt von chinesischer Großmutter
Das gilt offenbar für ein Gespräch, das Sabathil mit seiner Bank geführt haben soll. Im Protokoll des BfV erschien es so, als hätte er eine Überweisung von 70.000 Euro aus China als Gehaltszahlung bezeichnet. Tatsächlich ging es in dem Gespräch um mehrere voneinander unabhängige Buchungen. Das Geld aus China kam demnach von der Großmutter und war für Sabathils junge Tochter gedacht. Seine Lebensgefährtin ist Chinesin.
Einen nicht ganz korrekten Eindruck erweckten offenbar auch die BfV-Verschriftlichungen von Telefonaten, in denen Sabathil seine zwei angeblichen Mittäter rekrutiert haben soll. Einer dieser beiden Männer arbeitet für einen bekannten deutschen Thinktank, der andere für ein außenpolitisches Magazin. Auf Sabathils Initiative setzten sich beide mit dem Shanghai Institute for European Studies (SIES) in Kontakt und ließen sich zu einer Konferenz in der südchinesischen Stadt eingeladen.
In den Gesprächsprotokollen des BfV fehlten aber bestimmte Anmerkungen, die Sabathil gegenüber den anderen zwei Männern gemacht hatte – insbesondere der Hinweis, dass die Chinesen Stipendien oder Reisestipendien anböten.
Wissenschaftsinstitut soll Tarnorganisation sein
Das BfV hält das SIES überdies für eine Tarnorganisation des chinesischen Nachrichtendiensts. Dort sei auch der Führungsoffizier von Sabathil tätig, für den dieser bereits vor 2017 begonnen haben soll zu arbeiten.
Die Einschätzung des Instituts durch den Verfassungsschutz wird aber von den deutschen Behörden offenbar nicht einhellig geteilt. Einer der beiden Eingeladenen hatte sich vorab beim deutschen Generalkonsulat in Shanghai über das Institut erkundigt. Die dortige Generalkonsulin wollte ihm in ihrer Antwort ausdrücklich "von der Reise und der Annahme einer Einladung nicht abraten". Sie schrieb weiter: "Unter den Mitgliedern von SIES sind mehrere Wissenschaftler, die dem GK gut bekannt sind."
Unklar scheint auch, welche Staatsgeheimnisse die beiden angeblichen Mittäter verraten haben könnten. In einem Durchsuchungsbeschluss ist die Rede von Studien, die einen vorerst nicht näher bekannten Inhalt hätten und die an unbekannte Empfänger – mutmaßlich das SIES – gegangen seien.
Die Lebensgefährtin des Verdächtigen ist Chinesin
Das BfV hatte Sabathil bereits im Jahr 2015 seine Sicherheitsüberprüfung entzogen. Damals war der heute 66 Jahre alte langjährige EU-Beamte noch EU-Botschafter in Südkorea. Zuletzt war er in Berlin und Brüssel für die große Lobbyfirma Eutop tätig, verlor diesen Job aber nach Bekanntwerden der Ermittlungen im Januar.
Offenbar standen die Spionagevorwürfe gegen ihn im Zusammenhang mit seiner aus China stammenden Lebensgefährtin, einer Politikwissenschaftlerin.
Eine mysteriöse Rolle scheint aber auch ein alter Bekannter von Sabathil zu spielen. Er war bis zu einem tödlichen Autounfall im März 2019 ebenfalls als Berater tätig, für eine weitere bekannte Lobbyfirma in Berlin.
Wurde ein Verdacht umgelenkt?
Aus dem Schreiben der Bundesanwaltschaft an den Verfassungsschutz von März geht hervor, dass die Karlsruher Ermittler den Verdacht zu hegen scheinen, dass der inzwischen verstorbene Berliner Berater den Verdacht auf Sabathil gelenkt haben könnte.
Das BfV führte den Berliner nämlich als angeblich zuverlässigen Hinweisgeber. Die Bundesanwälte wollten nun wissen, ob er schon länger als Quelle geführt wurde und seit wann er eventuell selbst in Kontakt mit dem Shanghai Institute for European Studies stand. Der Mann, der der Hinweisgeber des Verfassungsschutzes war, hatte Sabathil offenbar sogar im Oktober 2016 zu einem Anhörungstermin im Bundesinnenministerium begleitet, in der es um die Ablehnung der Verlängerung von dessen Sicherheitsüberprüfung ging.
Offenbar brachten auch die Razzien, die das Bundeskriminalamt Mitte Januar in den Büros und Wohnungen der drei Beschuldigten vorgenommen hatte, keine weiteren Beweise für ihre Schuld. Die Auswertung scheint nach Einschätzung der Karlsruher Ermittler die Verdächtigen eher entlastet zu haben.

Chinesische Spione werden in Deutschland selten enttarnt
Nach den ersten Berichten über den angeblichen Spionagering um den ehemaligen EU-Diplomaten hatten Beobachter bereits unterstrichen, dass es sehr selten sei, dass chinesische Spione in Deutschland ertappt würden. Würden sich die Vorwürfe bestätigen, wäre es einer der wenigen Erfolge im Kampf gegen chinesische Nachrichtendienste.
Umgekehrt wäre eine Pleite peinlich für die Agentenjäger des Verfassungsschutzes. "Diese angebliche geheimdienstliche Agententätigkeit ist eine Pekingente", hatte Sabathils Anwalt Peter Gauweiler bereits im Januar erklärt. Das BfV erklärte auf Fragen zu den Vorwürfen, dass man sich zu einem laufenden Ermittlungsverfahren nicht äußere *. Beim Generalbundesanwalt teilte ein Sprecher mit, man äußere sich "grundsätzlich nicht zur Beweislage etwaiger Ermittlungsverfahren sowie zu etwaiger behördeninterner Kommunikation".
In der Karlsruher Behörde ist man aber laut der dem stern vorliegenden Unterlagen so verärgert über die Verfassungsschützer, dass man um eine grundsätzliche Klärung bat, nach welchen Kriterien dort Gesprächsinhalte zusammengefasst würden. Man brauche das, so die Nachricht aus Karlsruhe nach Köln, auch mit Blick auf zukünftige Verfahren.
* Ergänzung vom 27.5.2020: Die Stellungnahme des BfV wurde nachträglich eingefügt. Anders als zunächst berichtet, hatte das Amt fristgerecht auf eine Anfrage reagiert.