Streit in der CDU "Merkel ist überrascht"

Die CDU streitet, die Parteivorsitzende schweigt. Dabei ist die Debatte um die künftige Ausrichtung keineswegs nur ein Sommertheater, sagte der Parteienforscher Hans-Joachim Veen stern.de.

Die Stimmung in der CDU gleicht derzeit dem Wetter: Wolkenverhangen, kühl und sehr ungemütlich. Von fröhlicher Urlaubsstimmung keine Spur bei den Christdemokraten. Die CDU streitet, und zwar über den künftigen Kurs der Partei und ihr Profil in der großen Koalition. Ausgelöst hat diesen Zoff der Vizeparteichef Jürgen Rüttgers in einem stern-Interview. Darin hatte er seine Partei aufgefordert, sich von Lebenslügen zu verabschieden, etwa davon, dass Steuersenkungen mehr Arbeitsplätze bringen würden. Nun hat der nordrhein-westfälische Ministerpräsident die Diskussion aus seinem Urlaubsdomizil angestoßen. Man könnte also glauben, es sei eine typische Sommerlochdebatte. Doch die teilweise heftigen Reaktionen seiner Parteikollegen lassen etwas anderes vermuten.

"Die CDU ist dabei sich zu finden"

Es sei kein Sommertheater, sagte der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach, sondern ein ernstzunehmender Vorgang. Das meint auch der Parteienforscher Hans-Joachim Veen. Die Diskussion über die künftige Ausrichtung der Partei sei eine ernste Angelegenheit. "Sie drückt eine tiefe Unzufriedenheit mit der Großen Koalition aus", sagte Veen zu stern.de. Die CDU sei dabei, sich zu finden. "Die Partei nimmt das ernster als es die Parteivorsitzende glaubt. Ich glaube, Angela Merkel ist von der Intensität der Diskussionsbereitschaft der Basis überrascht", sagte Veen.

Inzwischen hat sich auch der Arbeitnehmerflügel der Partei in den Streit eingeschaltet. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann verlangt eine neue Kursbestimmung der CDU und ist seinem Chef Jürgen Rüttgers zur Seite gesprungen. "Wir müssen wieder mehr eine Partei der Arbeitnehmer werden", sagte Laumann, Vorsitzende der CDU-Arbeitnehmerschaft CDA. Es sei jetzt Zeit für eine Debatte über den künftigen Kurs der Partei.

"Merkel hat Analyse unterdrückt"

Unterstützung bekommt Laumann dabei von Parteienforscher Veen. Merkel habe nach der für ihre Partei einigermaßen enttäuschenden Bundestagswahl eine gründliche Analyse der Fehler unterdrückt, kritisiert Veen. Auch habe sie den Auftrag an Generalsekretär Ronald Pofalla, demnächst ein neues Grundsatzprogramm vorzulegen, zu kurzfristig angesetzt. Damit habe sie versucht, von anderen Problemen abzulenken. "So eine Diskussion muss man aber ausführlich über einen Zeitraum von mehreren Jahren führen", sagt Veen.

Doch mancher in der CDU vermisst ein klares Wort von ganz oben. So verlangte Stefan Mappus, CDU-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, eine klare Posititionierung der Parteivorsitzenden. "Wir brauchen eine politische Führung, die die Konturen dieser Politik deutlich betont." Jörg Schönbohm, Innenminister in Brandenburg, übte auch indirekt Kritik an der Parteiführung: "Viele CDU-Wähler sind enttäuscht. Es ist für die Menschen offenbar nicht sichtbar, ob die Partei einer Linie und Überzeugung folgt."

Die Bundeskanzlerin hat sich bislang noch nicht in den Streit eingemischt. Hat Merkel ihren Laden noch im Griff? Parteienforscher Veen: "Frau Merkel hat die Komplexität in einer großen Partei nie richtig wahrgenommen" Denn, so Veen, in der CDU gebe es seit jeher eine "existenzielle" Spannung zwischen den Anhängern der liberalen Marktwirtschaft und denen der christlichen Soziallehre. Eine Spaltung der Partei befürchtet Veen deshalb durch den derzeitigen Streit nicht. "Die Partei muss lernen, diese Diskussionen nicht zu unterdrücken. Sie muss das für ihre Produktivität nützen."

Die Richtungsdebatte der CDU kommt zu einer Zeit, die auch der Durchschnittsbürger zum Zurücklehnen und Nachdenken nützt. Und in jeder guten Familie kommt es im Urlaub zu handfesten Meinungsverschiedenheiten, zu einem reinigenden Gewitter. Das scheint auch Karl-Josef Laumann zu denken, wenn er sagt, seine Partei müsse einen solchen inhaltlichen Streit aushalten, ohne sich gegenseitig persönlich zu attackieren.

Malte Arnsperger