Türkischer Regierungschef in Berlin Friedrich kontert Erdogan-Tiraden

Nach den Angriffen auf die Bundesregierung bläst Erdogan ein kühler Wind aus Berlin entgegen. Innenminister Friedrich pocht darauf, dass junge Türken in Deutschland zuerst Deutsch lernen.

Junge Türken in Deutschland sollen zuerst Türkisch lernen? Die Forderung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan kurz vor seinem Berlin-Besuch hat unter anderem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) auf den Plan gerufen. Er stellte am Mittwoch richtig: Die erste Sprache junger Türken in der Bundesrepublik muss aus seiner Sicht Deutsch und nicht Türkisch sein.

Friedrich sagte, das Erlernen der deutschen Sprache sei eine zentrale Voraussetzung, um die zu hohe Zahl von Schulabbrechern zu senken und die Basis für beruflichen Erfolg zu legen. Die Schulabbrecherzahl müsse sinken. "Das ist ein Potenzial an jungen Menschen, das uns nicht verloren gehen darf."

Der Innenminister wies die Forderung zurück, die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft für dauerhaft in Deutschland lebende Ausländer zu schaffen, um ihre Integration zu verbessern. "Ich glaube nicht, dass das etwas ändern würde, im Gegenteil." Wer in Deutschland dauerhaft bleiben wolle, solle die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. "Und dann sind sie eben keine Türken mehr. Ich glaube, die Entscheidung muss man in seinem Leben irgendwann mal treffen."

Auch die Migrationsbeauftragte der Regierung widersprach den Forderungen des türkischen Regierungschefs. "Die Interview-Äußerungen Erdogans sind kontraproduktiv für die Integration der türkischstämmigen Migranten in Deutschland", sagte Staatsministerin Maria Böhmer. Der türkische Staat müsse lernen, die Migranten in unserem Land "loszulassen".

"Wir fühlen wir uns gerade hier im Stich gelassen"

Kurz vor seinem Deutschland-Besuch hatte Erdogan die Bundesregierung scharf kritisiert. Berlin mache Fehler bei der Integration und unterstütze die Türkei nicht ausreichend beim angestrebten EU-Beitritt, beklagte er sich in der "Bild"-Zeitung. Die Grünen im Bundestag warfen dem Premier im Gegenzug "unerträgliche Stimmungsmache" gegen Deutschland vor und verlangten eine Entschuldigung des Regierungschefs.

Das türkische Volk sehe das deutsche Volk "immer noch mit sehr positiven Gefühlen an", sagte Erdogan in dem Interview. Deshalb solle Deutschland mit der Türkei viel mehr Solidarität zeigen. Die deutsche Politik müsse viel mehr für den EU-Beitritt der Türkei tun, weil er die Integration massiv vorantreiben würde. "Weil wir Türken so viel Positives für Deutschland empfinden, fühlen wir uns gerade hier im Stich gelassen."

Deutschtest "verletzt die Menschenrechte"

Scharf kritisierte Erdogan in der Zeitung die deutsche Gesetzgebung, wonach türkische Angehörige vor dem Zuzug nach Deutschland die deutsche Sprache erlernen müssen. "Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte." Deutschland müsse zugezogene Türken "nicht als Gefahr sondern als Bereicherung sehen". Erdogan bekräftigte, Türken in Deutschland sollten ihren Kindern zuerst Türkisch und dann Deutsch beibringen. Dies sei "nur eine sprachwissenschaftliche Erkenntnis": Wenn ein Kind eine neue Sprache erlernen solle, müsse es die eigene Sprache gut können. "Andernfalls kann man keine zweite Sprache erlernen."

Die deutsche Politik würdige zudem die Verflechtung der drei Millionen Türken in Deutschland nicht genug, beschwerte sich Erdogan. "Die erste Generation waren Gäste. Viele sind geblieben und denken jetzt nicht mehr daran zurückzukehren", sagte der Regierungschef. Es gebe in Deutschland bereits 72.000 türkische Arbeitgeber mit 350.000 Arbeitsplätzen. "Der Gastarbeiter von gestern wird langsam auch Arbeitgeber, Akademiker, Künstler."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

"Erdogan sollte sich öffentlich entschuldigen"

Die Grünen warfen dem türkischen Ministerpräsidenten im Gegenzug bewusste Provokationen vor: Die Regierung Erdogan schüre "immer wieder bewusst Vorurteile gegen Deutschland, um damit bei den Hardlinern im eigenen Land zu punkten", sagte ihr Innenexperte Memet Kilic der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Zuletzt habe der Premier nicht einmal davor zurückgeschreckt, deutsche Stiftungen in der Türkei als Unterstützer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK hinzustellen. Diese "unerträgliche Stimmungsmache" dürfe nicht so stehen bleiben.

"Erdogan sollte sich in Deutschland öffentlich für seine Ausfälle entschuldigen", forderte Kilic, der auch integrationspolitischer Sprecher der Grünen ist. Sofern er das nicht tue, "muss die Bundeskanzlerin ihn öffentlich zurechtweisen". Alles andere wäre falsch verstandene Diplomatie, die Erdogan nur zu weiteren Provokationen ermutigen würde. Erdogan ist am Mittwochmorgen in Berlin eingetroffen, wo er gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an den 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens erinnert. Mit dem Abkommen von 1961 hatte offiziell die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für Unternehmen in der jungen Bundesrepublik begonnen.

DPA
fw/mad/AFP/DPA