Hannelore Kraft, SPD, würde am liebsten täglich TV-Duelle mit Jürgen Rüttgers, CDU veranstalten. Oder sagen wir: stündlich.
Jedenfalls klagt ihr Umfeld gerne darüber, wie viele Diskussionsrunden Rüttgers abgesagt hat. Zu einem geplanten Streitgespräch mit allen Spitzenkandidaten der Parteien im Hörfunkprogramm WDR 2 am 6. Mai will er nicht kommen. Im ZDF wollte er sich nicht den den Fragen von Internetusern stellen. Und so weiter, und so fort.
Das ist - aus seiner Perspektive - auch verständlich. Denn Rüttgers hat zwei strukturelle Nachteile. Erstens: Er kommt mit seinem Politikersprech ("Sie können dazu beitragen, dass dieser Zukunftsweg weitergeht"), seiner Fixierung auf Zahlen und seinem etwas grimmigen Aussehen weniger sympathisch rüber als Hannelore Kraft. Zweitens: Rüttgers ist Ministerpräsident in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Phase, er kann keine Nettigkeiten verkünden. Das macht es der Opposition leicht, mit rosigen Wahlversprechen zu punkten - die ja nichts weiter als rosige Versprechen sind.
Rüttgers zitiert auch mal Beck
So war es auch in der Kölner Vulkanhalle am Montagabend, als sich Rüttgers und Kraft vor den Kameras des WDR gegenüber standen. 60 Minuten, drei Themenblöcke - Arbeit, Bildung, Wirtschaft - und zwei Moderatoren, Jörg Schönenborn und Gabi Ludwig, die sich glänzend vorbereitet hatten. Sie stellten kurze, präzise Fragen und ließen es in den seltenen Augenblicken, in denen sich die Kandidaten verbal an die Wäsche gingen, einfach laufen. Eine Wohltat im Vergleich zum Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem einst die Moderatoren beim TV-Duell Merkel-Steinmeier unterwegs waren.
Gleich der erste Themenblock "Arbeit" war spannend - schließlich hat Rüttgers hier einen Ruf zu verlieren. Er geriert sich gerne als "Arbeiterführer", als einzig legitimer Erbe von Johannes Rau. Und so feierte er sich auch diesmal dafür, dass er es war, der "Grundrevision von Hartz IV" gefordert hat. Außerdem sagte er einen Satz, den Kurt Beck, sein SPD-Amtskollege aus Rheinland-Pfalz, auch immer vorbetet: "Wer den ganzen Tag arbeitet, der muss seine Familie ernähren können." Kraft hatte hier trotzdem leichtes Spiel. Sie moderierte die Hartz-IV-Debatte mit ihrer Standardfloskel "Wir haben auch Fehler gemacht" schnell ab. Und verwies ansonsten auf die Millionen Menschen, die in ungesicherten Verhältnissen arbeiten und sehr wenig verdienen. Ihre politische Antwort: Ein Mindestlohn muss her. Das ist - gerade in einer zeitlich eng begrenzten TV-Debatte - griffiger zu kommunizieren als das kompliziertere Konzept der CDU, die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger zu verbessern.
Woher nehmen Sie das Geld, Frau Kraft?
Überhaupt musste Rüttgers - siehe "Arbeiterführer", siehe struktureller Nachteil, siehe oben - immer wieder harte wirtschaftspolitische Kante zeigen. Rente mit 67? "Ich glaube, dass es sinnvoll ist, bei dieser Regelung zu bleiben". Kohlebergbau? Rüttgers will 2014 aussteigen. Kraft konnte hier, auch im Sinne ihrer SPD-Klientel, klar punkten. Sie will Übergangsregelungen für die Rente mit 67, sie will den Kohlebergbau in Teilen erhalten, sie will die Zeitarbeit, die zu Lohndumping geführt habe, wieder einhegen. Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Woher das Geld dafür kommen soll? Schönenborn und Ludwig fragten nicht nur einmal nach. Und Kraft blieb nicht nur einmal eine Erklärung schuldig. Dass ein paar Stellenstreichungen in der Staatskanzlei und die Reduzierung der Repräsentationskosten des Ministerpräsidenten die benötigten Milliarden reinholen werden - wer's glaubt, wird selig. Und die "Umschichtungen im Haushalt", mit denen sie argumentierte, blieben, obwohl die Moderatoren dankenswerterweise auch hier nachhakten, ominös. So ist Wahlkampf: Schöne Dinge versprechen, abgerechnet wird später.
Sponsoring-Affäre, Linkspartei
Beim Thema Bildung sahen beide nicht sonderlich gut aus, weil beide ziemlich radikale Konzepte vertreten. Rüttgers klammert sich an das dreiteilige System (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) und verstieg sich zu der grotesken Behauptung, er kenne keine einzige Studie, die nachweisen würde, dass längeres gemeinsames Lernen förderlich sei. Kraft wiederum wiIl genau das und danach eine Art Gesamtschule, in der Kinder je nach Leistungsfähigkeit auf unterschiedlichem Niveau lernen können. Warum das nun der Weisheit letzter Schluss sein soll, konnte Kraft indes nicht plausibel darlegen. Rüttgers immerhin konnte damit auftrumpfen, dass im Land tausende neue Lehrer eingestellt wurden - und hackte zu Recht auf der SPD-geführten Vorgängerregierung rum, die Lehrer entlassen wollte.
Etwas bunter wurde der Abend, als die Moderatoren zum Ende hin auf zwei Spezialthemen zu sprechen kamen. Zunächst konfrontierten sie Rüttgers mit der Sponsoring-Affäre ("Rent a Rüttgers"). Er parierte mit einem perfekten, klaren Satz: "Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist nicht käuflich." Das gelte auch für seine Vorgänger. Punkt. Auf einmal saß die blaue Krawatte so staatsmännisch korrekt, dass sie wirklich Eindruck machte. Kraft wurde, na klar, mal wieder zu ihrem Verhältnis zu Linkspartei gefragt. Und sie eierte, na klar, wieder rum - was inzwischen allerdings niemand mehr versteht. Denn Kraft hat nun so oft gesagt, dass die Linkspartei nicht "koalitions- und nicht regierungsfähig" sei, dass dies de facto ein Ausschluss ist. Dann könnte sie es auch so formulieren. Was sie aber nicht tat - und was die aufgeweckte Gabi Ludwig sogleich noch mal festhielt.
So schön ist NRW!
Abschlussrunde, Solo-Ansprachen an die Wähler. Rüttgers vermasselte es mit nichtssagenden Phrasen wie "Nordrhein-Westfalen ist ein wunderschönes Land" oder auch dem bereits zitierten "Zukunftsweg", Kraft gab zwei Gründe an, weshalb es sinnvoll sei, sie zu wählen. Sie werde als Ministerpräsidentin die Kopfpauschale verhindern und für sichere Beschäftigung sorgen. Das war zumindest eine klare Ansage. Und sie wirkte in der Schluss-Sequenz eine gute Portion natürlicher und sympathischer als Rüttgers - ein im Fersehen, das eher emotionale als intellektuelle Einstellungen formt, wichtiger Vorteil.
Die Bilanz: Ein Unentschieden zwischen Rüttgers und Kraft - was als leichter Sieg der Herausforderin gesehen werden kann angesichts der Tatsache, dass sie noch vor einem halben Jahr als chancenlos galt. Kraft präsentierte sich im TV-Duell nicht als Oppositionsführerin sondern als kommende Landesmutter, und Rüttgers hatte alle Mühe, sich argumentativ nicht zu sehr in Kraft zu verbeißen, was ihm die falsche Rolle zugewiesen hätte, nämlich die des Oppositionsführers in spe.
Gerade deswegen, weil es keinen eindeutigen Sieger gab, twittern nun CDU und SPD ihre Tastaturen kaputt, um ihrem Kandidaten das TV-Krönchen aufzusetzen - ein zweckfreier Zeitvertreib. Die einzig interessante Erkenntnis bleibt dabei nämlich unerwähnt: Das Duell hat gezeigt, dass Kraft und Rüttgers politisch nicht Lichtjahre auseinander liegen und sich gut ergänzen würden. Eine super Voraussetzung für eine Große Koalition. Denn darauf könnte es in NRW hinaus laufen.