Bei Anne Will sprechen sich Politiker von SPD und CDU gegen eine "Null-Covid"-Strategie aus und wollen den Menschen lieber Hoffnungen auf Lockerungen machen. Wie das gehen soll? Tja...
Die Sorge vor den neuen Mutationen des Corona-Virus wächst auch in der Anne Will-Redaktion – "wie viel 'Zumutung' braucht es jetzt?"ist deshalb ihre Frage an diesem Abend. Die allergrößten Zumutungen fordern ja die Anhänger der "Null-Covid"-Bewegung, die das Virus nicht nur kontrollieren, sondern es richtig ausrotten will. Deshalb möchte sie alle Kontakte auf ein absolutes Minimum reduzieren, Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen sowie Schulen schließen und die Arbeitspflicht aussetzen. Ihr Richtwert: maximal zehn Neuinfektionen pro eine Million Einwohner und Tag – und zwar für ganz Europa.
Wer hat diskutiert?
Helge Braun (CDU), Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln
Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler
Vanessa Vu, Redakteurin bei Zeit Online
Wie lief die Diskussion?
Die beiden Politiker in der Runde möchten gerne Hoffnung ausstrahlen und die Botschaft vermitteln, das Land sei bisher im Grunde doch ganz gut durch die Pandemie gekommen. Ja, sie sprechen auch immer wieder von "Perspektiven", die sie bieten und von "Öffnungsstrategien", die sie am liebsten im Februar schon umsetzen wollen. Der Intensivmediziner Janssens widerspricht vehement: "Wir sind nicht gut durch die Pandemie gekommen". Er fordert immer wieder "klare Ziele", ohne diese selbst aber ganz genau zu benennen. Und die Journalistin Vu, die Taiwan und Südkorea für ihre harte Pandemiepolitik lobt, fordert vergeblich einen harten Lockdown und strenge Mobilitätsbeschränkungen nach dem Vorbild der "Null-Covid"-Bewegung. Diese "fundierte Strategie" vermittelt aus ihrer Sicht den Menschen "eine Zukunftsperspektive". Doch weder von Helge Braun noch von Malu Dreyer kann sie dabei Unterstützung erwarten. Dreyer hält die Forderung für "so ehrgeizig", dass sie politisch nicht durchsetzbar sei, Braun sagt, in einer "offenen Gesellschaft" wie der unseren müsse es "viel Bewegung" geben.
Gleichzeitig gibt Braun zu, dass es sich im vergangenen Jahr einen härteren Lockdown gewünscht hätte – dabei aber offenkundig gemeinsam mit der Kanzlerin an den Interessen der Ministerpräsidenten gescheitert sei. Dass die immer wieder für unterschiedliche Corona-Regeln in ihren Hoheitsgebieten sorgen, ist für Janssens das eigentliche Problem dafür, wieso viele Menschen Corona mürbe würden. Auch Michael Hüther als Sprecher der Wirtschaft in der Runde ist gegen die "Null-Covid"-Strategie: Er hält sie schlicht für "unrealistisch" und fürchtet chinesische Verhältnisse. Er möchte lieber darüber debattieren, mit welchen Inzidenzzahlen die Gesellschaft auf Dauer wohl umgehen kann. Janssens wird schon bei einem Wert von 50 "Angst und Bange", Hüther nicht, er denkt gar über 100 nach - weswegen er sich von Frau Vu anhören muss, er sei "zynisch", weil er Coronatote in Kauf nehme. Doch Hüther will so nicht diskutieren, und auch ein harter Lockdown habe ja Todesfolgen. Er will die Maßnahmen und das Risiko "ins Verhältnis" setzen und fordert eine bessere Empirie, auch auf Kosten des Datenschutzes: 80 Prozent der Infektionen seien noch immer "nicht zuordnenbar", so Hüther. "Wir tun alles, um vulnerable Menschen zu schützen", sagt Helge Braun dann in beruhigendem Ton einmal mehr, und dass das in Deutschland 30 Millionen seien.
Die Erkenntnisse
- Über die Verbreitung der neuen Corona-Mutationen könne derzeit noch wenig gesagt werden, sagt die Gesellschaft für Virologie – jene namens B.1.1.7 aus England wurde in 60 Staaten nachgewiesen und soll für 70 Prozent aller Neuinfektionen in England verantwortlich sein. Kanzleramtsminister Braun fürchtet, dass Mutationen wie diese auch in Deutschland "die Führung übernehmen", während Intensivmediziner Janssens südafrikanische und brasilianische Mutationen für noch viel gefährlicher hält. Insgesamt gebe es schon heute 300.000 Mutationen, so Janssens.
- 41 Prozent der Bundesbürger sind einer Umfrage zufolge mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung "zufrieden", 33 Prozent aber "weniger zufrieden" und 21 Prozent "gar nicht zufrieden".
- Kanzleramtsminister Braun hofft, dass bis Ende Februar alle 400 Gesundheitsämter nun auch wirklich den digitalen Standard haben, der schon für Jahresende versprochen war.
Fazit
Politische Entscheidungsträger möchten nicht so gern über noch mehr und noch härtere "Zumutungen" reden, das ist für sie selbst eine Zumutung. Lieber sprechen sie darüber, dass wir uns im Ziel ja eigentlich alle einig sind. Und was diese Mutationen angeht: Nichts Genaues weiß man nicht.