Plötzlich saß Johann Wadephul am Tisch der Mächtigen. Am vergangenen Montag in New York durfte der Bundesaußenminister im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Gastredner zu den russischen Luftraumverletzungen sprechen. Wadephuls Platz befand sich ganz am Rand des Hufeisentisches, und nach etwa fünf Minuten musste der CDU-Politiker den Stuhl auch schon wieder räumen. Aber immerhin – es war ein kurzes Rendezvous mit der ganz großen Weltpolitik.
Wenn es nach der Bundesregierung geht, soll Deutschland demnächst wieder einen Stammplatz im höchsten UN-Gremium bekommen. Zumindest für zwei Jahre. Kommenden Juni entscheidet die Generalversammlung über die Besetzung der zehn nicht-ständigen Sitze im Sicherheitsrat für 2027 und 2028. Der Gruppe westeuropäischer Staaten stehen zwei Plätze zu. Doch es gibt drei Bewerber, neben Deutschland noch Österreich und Portugal. Im Auswärtigen Amt ahnt man: Das wird eine sehr knappe Angelegenheit.
Deutschland gibt mehr als fünf Milliarden für die UN
Deutschland befindet sich ab sofort im Wahlkampf. "Wir gehören an diesen Tisch", sagt der Außenminister selbstbewusst. "Wir nehmen Verantwortung wahr. Wir glauben an das System der Vereinten Nationen." Das kann die Bundesregierung sogar beweisen: Deutschland ist der zweitgrößte Finanzier der UN, wenn man Pflichtbeiträge und freiwillige Zahlungen für Hilfsprogramme und Friedensmissionen zusammenzählt. Zuletzt flossen insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr aus dem Bundeshaushalt an die Vereinten Nationen. Das könnte helfen, aber kaufen kann man sich einen Sitz im Sicherheitsrat nicht.
Ein Scheitern wäre auch eine Blamage für die außenpolitischen Ambitionen von Kanzler Friedrich Merz, vor allem wenn Deutschland gegen Österreich den Kürzeren zöge – quasi Schmach von Cordoba, Teil zwei. In der argentinischen Stadt verlor die Nationalmannschaft 1978 bei der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Österreich mit 2:3.
Erforderlich für den Einzug in den Rat ist in jedem Fall eine Zweidrittelmehrheit. Die liegt derzeit bei 129 Stimmen. Dafür muss man etwas tun. Österreich zum Beispiel war bei der Generalversammlung diese Woche nicht nur mit dem Bundespräsidenten und der Außenministerin angereist, auch Kanzler Christian Stocker trat trotz Ischias-Schmerzen die Reise nach New York an.
Und Deutschland? Wurde vom Außenminister und der Entwicklungsministerin vertreten. "Wir sind ein starkes Team", behauptete Johann Wadephul tapfer über sich und die Kollegin Reem Alabali-Radovan. Der Kanzler blieb wegen der Haushaltsdebatte in Berlin – so die offizielle Version. Ein Grund dürfte auch gewesen sein, dass Friedrich Merz bereits der Ruf anhängt, er bespiele gerne die internationale Bühne und kümmere sich zu wenig um die Innenpolitik und notwendige Reformen. Ob allerdings der Verzicht auf die Generalversammlung und die Möglichkeit zu Gesprächen mit zahllosen hochrangigen Staats- und Regierungschefs das richtige Symbol zur rechten Zeit war, wird auch in Diplomatenkreisen bezweifelt.
Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Der UN-Sicherheitsrat erlebte legendäre Sitzungen
Wadephul wehrt solche Vorwürfe ab. "Wir haben einen guten Plan", sagt der Minister. Nicht eine Woche entscheide, sondern dauerhaftes Engagement. Viele Staaten wüssten "das verlässliche deutsche Engagement in den Vereinten Nationen" zu schätzen. Deshalb könne er sich auch vor Gesprächsanfragen "nicht retten".
Lange Zeit umgab den Sicherheitsrat eine gewisse Aura als Weltregierung. Fünfmal war die Bundesrepublik seit 1977 bereits nicht-ständiges Mitglied – und einige Male mit dabei, als tatsächlich Geschichte geschrieben wurde. So leitete Außenminister Joschka Fischer 2003 persönlich jene Sitzung, in der sein US-Kollege Colin Powell Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak präsentierte, die sich später als falsch erwiesen. Und 2020 legte sich UN-Botschafter Christoph Heusgen im Streit um humanitäre Hilfen für Syrien als Vorsitzender des Sicherheitsrates offen mit Russland und China an. Nach einem mühevollen Kompromiss gab Heusgen den Vertretern der beiden Veto-Mächte die Frage mit, "ob die Leute, die die Anweisungen dafür gegeben haben, 500.000 Kindern die Hilfe zu entziehen, morgen noch in den Spiegel gucken können".
Inzwischen aber erscheinen selbst schlechte Kompromisse im Sicherheitsrat kaum noch möglich. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich auch die diplomatischen Fronten massiv verhärtet: Die Veto-Mächte USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China blockieren sich gegenseitig. Und in der Nahost-Politik stehen wiederum die USA fest an der Seite Israels – und oft alleine. Welchen Unterschied macht es da überhaupt, ob Deutschland als nicht-ständiges Mitglied dabeisitzt, oder nicht?
Gunter Pleuger, vier Jahre lang Deutschlands ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, unterstützt die Bewerbung. "Man zeigt, dass man trotz aller derzeitigen Probleme die Uno für unverzichtbar hält und daher erneut eine verantwortungsvolle Rolle übernehmen will", sagt der ehemalige Diplomat. Im Falle der Wahl "hat man zwei Jahre lang Mitspracherecht und kann wirklich etwas für die internationale Zusammenarbeit bewirken", so Pleuger – manchmal auch, dass eine unerwünschte Einigung nicht zustande kommt. So war Deutschland an vorderster Stelle beteiligt, als 2003 eine von Briten und Amerikanern angestrebte Resolution im Sicherheitsrat, die den Irak-Krieg völkerrechtlich legitimieren sollte, die notwendige Stimmenmehrheit verfehlte.
Auch Christoph Heusgen sieht in den schwierigen aktuellen Verhältnissen keinen Grund, auf eine Bewerbung zu verzichten – im Gegenteil. "Auch wenn der Sicherheitsrat bei den größten Konflikten blockiert ist, wäre die Aufgabe einer Kandidatur das Eingeständnis, dass Deutschland die Vereinten Nationen abschreibt", warnt der Ex-Diplomat, zuletzt Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz. Zudem sei der UN-Sicherheitsrat "eine der wenigen Institutionen, wo es noch immer zu Gesprächen zwischen den sich ansonsten feindlich gegenüberstehenden Mächten kommt".
Außenminister Wadephul und die Diplomaten des Auswärtigen Amtes versuchten in der Woche der Generalversammlung in zahllosen Gesprächen mit einzelnen Kollegen oder Staatengruppen für Deutschland zu werben. In vielen Staaten hat vor allem Deutschlands pro-israelische Haltung für immer mehr Verstimmung gesorgt, je härter die israelische Regierung im Gaza-Streifen vorging.
Dem Konkurrenten Portugal kam die deutsche Position gerade recht. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa verkündete auf einer Konferenz zur Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten, dass Portugal einen palästinensischen Staat nun anerkenne – und wurde von den meisten Vertretern der etwa 140 Teilnehmerstaaten dafür bejubelt.