Vertrag von Lissabon Karlsruhe setzt der EU Grenzen

Der ganz große Paukenschlag blieb aus. Der "Lissabon-Vertrag" zur Reform der Europäischen Union verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Doch die Verfassungsrichter haben ein deutliches Signal nach Brüssel geschickt: Die EU darf sich aus deutscher Sicht nicht zu einem Bundesstaat entwickeln.

Es waren zwei wichtige Botschaften, die das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nach Brüssel schickte. Die erste war, dass sich der Bundestag in Berlin mit gesetzlichen Klarstellungen beeilen muss, wenn der "Lissabon-Vertrag" noch bis zum Herbst von Bundespräsident Horst Köhler unterschrieben werden soll. Die zweite - vielleicht wichtigere - war, dass das Zusammenwachsen der EU nun für längere Zeit an einem Punkt angekommen ist, der nicht überschritten werden darf.

Zwar lobte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die neuen Befugnisse für das Europaparlament und die erstmals anerkannte Rolle der nationalen Parlamente im Entscheidungsprozess stellten "wichtige Schritte nach vorne" dar. Tatsächlich hatten die Richter - noch nicht einmal einen Monat nach der Europawahl - mit fast gnadenloser Klarheit formuliert, was sie vom Europaparlament halten. Dieses nämlich sei "gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen nicht gleichheitsgerecht gewählt und innerhalb des supranationalen Interessenausgleichs zwischen den Staaten nicht zu maßgeblichen politischen Leitentscheidungen berufen".

Fast noch schlimmer: Das EU-Parlament sei "weder in seiner Zusammensetzung noch im europäischen Kompetenzgefüge dafür hinreichend gerüstet, repräsentative und zurechenbare Mehrheitsentscheidungen als einheitliche politische Leitentscheidungen zu treffen". Das "im Staatenverbund nicht auflösbare Demokratiedefizit" bedeute, dass weitere europäische Integration die "politische Gestaltungsfähigkeit der Staaten" nicht aushöhlen dürfe.

In ersten Reaktionen freuten sich die EU-Parlamentarier in Brüssel daher vor allem darüber, dass der "Lissabon-Vertrag" als solcher nicht für verfassungswidrig erklärt wurde. Der Vertrag, so hieß es in mehreren Stellungnahmen, sorge für mehr Demokratie und für mehr parlamentarische Kontrolle. Durch das Urteil aus Karlsruhe zieht sich allerdings wie ein roter Faden die Feststellung, dass das Europa-Parlament - anders als gerne von maßgeblichen Parlamentariern behauptet - keineswegs einem nationalen Parlament gleichwertig sei. Das Volk müsse die Möglichkeit haben, mit seinen nationalen Abgeordneten die öffentliche Gewalt zu bestimmen. Das "nicht gleichheitsgerecht gewählte" Europaparlament könne das nicht tun.

Diskussion um "Lissabon-Vertrag" haben Kraft gekostet

Davon ausgehend leitet sich auch die Zustimmungspflicht des Bundestages zu weiteren Kompetenzübertragungen an die EU ab, beispielsweise in dem im "Lissabon-Vertrag" vorgesehenen "vereinfachten Änderungsverfahren".

Die von den deutschen Verfassungsrichtern gesetzten Grenzen für die Übertragung von Befugnissen an die Europäische Union sind möglicherweise erst in vielen Jahren von Bedeutung. Denn die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten waren sich bei der Unterzeichnung des "Lissabon-Vertrags" im Dezember 2007 einig, dass sie an diesem Vertrag so rasch nichts mehr ändern wollten.

"Wir sollten uns lange Zeit nicht mehr damit beschäftigen, neue Verträge auszuarbeiten", sagte der britische Premier Gordon Brown. Die Vertragsdiskussion habe zu viel Kraft gekostet: Zunächst ein Verfassungsvertrag, nach dessen Scheitern Neuverhandlungen über den "Lissabon-Vertrag", nach dem Scheitern eines irischen Referendums wiederum Nachverhandlungen und Verzicht auf die Verkleinerung der Kommission - es war ein mühsamer Prozess.

Für die EU ist wichtig, dass die Ratifizierung von "Lissabon" in diesem Herbst klappt. Unter anderem, weil das Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Kommission und des gerade gewählten Parlaments hat. Sollte Deutschland ratifizieren und sollten auch die Iren bei einem neuen Referendum im Oktober Ja sagen, so fehlen nur noch die Unterschriften von Vaclav Klaus (Tschechien) und Lech Kaczynski (Polen). Jeder von ihnen möchte gerne der letzte sein, der den ungeliebten "Lissabon-Vertrag" unterzeichnet.

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Dieter Ebeling/DPA