Jede Show, und mag sie noch so sehr mit Superstars besetzt sein und großen Egos, sie sucht sich einen Helden. Einen, der zum Symbol einer Veränderung wird, einer Hoffnung gar. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist so ein Ort dafür. Gerne sprechen hier wichtige und kluge Menschen über Grundsätzliches, über Weltpolitik und Strategie, das grosse Bild eben. Doch immer wieder gibt es Momente, da wird das Große ganz klein, ganz konkret.
Auf dem Podium im Festsaal des Bayerischen Hofs hat Vitali Klitschko Vitalij Klitschko Platz genommen, sozusagen Stargast der Konferenz. Blass ist er, übernächtigt. Er trägt eine Krawatte, hält eine rote Pappkladde in den Händen, ganz fest. An diesem Samstagnachmittag geht es hier um die Zukunft der Ukraine, um ein Ende der Gewalt, um eine politische Lösung gar. Mit Klitschko diskutieren Männer aus anderen Ländern im Osten Europas; sie haben die ein oder andere Erfahrung mit Revolutionen gemacht. Aus den USA ist der große Außenpolitiker gekommen, der ehemalige Sicherheitsberater Zbignijew Brzezinski. Und aus Russland ein sehr bärbeißiger Abgeordneter des russischen Parlaments, da ist er für die euroasiatische Union zuständig, Russlands Gegenmodell zur EU. Mächtig, vor Kraft strotzend, sitzt der gleich neben Klitschko, keine Begrüßung, die beiden wechseln kein Wort.
Vitalij Klitschko hat viel erreicht in den vergangenen Tagen. In Kiew hat er sich den Respekt der Menschen auf dem Maijdan erarbeitet, er hat die Gefolterten im Krankenhaus besucht, die fadenscheinigen Angebote des ukrainischen Präsidenten auf Regierungsposten abgelehnt. Er hat sich eine gewisse Glaubwürdigkeit erarbeitet, seine Popularität steigt. Für den Westen ist er - auch mangels Alternative - ohnehin ein Hoffnungsträger, wer weiß, vielleicht sogar ein zukünftiger Präsident.
Rede auf Deutsch
Jetzt möchte Vitalij Klitschko auch hier in München ein Zeichen setzen, eine europäische Geste. Er will seine kleine Rede auf Deutsch halten, in der Sprache, in der er nicht zu Hause ist. Er sitzt auf dem Podium, vor ihm 500 Zuschauer: Staatsmänner, Minister, Abgeordnete, die deutsche Business-Elite. Klitschko holt seine Rede aus der roten Pappkladde, er übt lautlos, spricht ganze Sätze vor sich hin. Er wirkt sympathisch, unsicher, verloren fast.
Wenn an diesem Münchner Konferenztag über die Ukraine gesprochen wurde, waren die Meinungen schnell so gespalten wie das Land, über dessen Zukunft hier in gewisser Weise gerade verhandelt wurde. Da sagte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, "die Zukunft der Ukraine" gehöre "nach Europa" - als ob das selbstverständlich sei. "Heute wissen alle politischen Anführer, dass die Ereignisse in Kiew ein Anliegen von uns allen sind." Außenminister Steinmeier setzte sich für die Ausreise eines schwer verletzten Folteropfers ein, ließ sich mit Klitschko fotografieren.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow wiederum fragte ebenso zynisch wie knallhart, was "das Anstiften von Unruhen mit Demokratie" zu tun habe. "Warum gibt es keine Verurteilung derjenigen, die Regierungsgebäude besetzt und die Polizei angegriffen haben, wieso wird das von der EU noch befördert, wo doch in ihren Mitgliedstaaten ein solches Vorgehen sofort geahndet werden würde?" Wieder einmal hielt Putins Aussenminister westlichen Politikern doppelte Standards vor, Heuchelei gegenüber Russland. Und daraus sprach auch die Sorge, dass die propagierte EU-Politik der Partnerschaft mit der Ukraine letztlich nur zu einer "Wirtschafts-Nato" führe, gegen Russland gerichtet.
Klima wie im Kalten Krieg
Mitglieder der amerikanischen Delegation machten kaum Hehl aus der Enttäuschung über Putins Machtpolitik in der Region. Schon lange ginge es nicht mehr um Gemeinsamkeit, gar Partnerschaft. Putin verfolge eine vielmehr eine Politik der Isolation, die Ukraine solle Russlands "Sicherheitskordon" gegen den Westen sein. All' das klingt schon wieder ziemlich nach Kaltem Krieg, in Moskau und auch in Washington . Der noch vor wenigen Jahren propagierte "reset", der Neustart? Ach, heißt es in Washington höflich, das sei wohl nur ein Moment gewesen.

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Und mittendrin im großen Spiel um Macht und Einfluss und Milliarden Vitalij Klitschko, ein zurückhaltender, freundlicher Mann mit markigem Kopf, wie gemeißelt die Züge. Er sitzt auf dem Podium, hat lautlos deutsche Sätze geübt. Jetzt will er seine Botschaft über den "Kampf zwischen Macht und Gesellschaft" in der Ukraine überbringen. Er spricht langsam, holprig, immer wieder sucht er nach Worten, als müsse er seine Gedanken abarbeiten. Später wechselt es ins Englische.
Russisch, seine Muttersprache, meidet er. Er sagt, es gehe den Menschen in der Ukraine gar nicht mehr um die EU, um ein Assoziierungsabkommen. Vielmehr ginge es jetzt vor allem um den Kampf gegen das korrupte System: "Wir haben genug von diesem System", sagt er. Dann steht er auf, lässt sich von seinen Mitarbeitern ein kleines Fotobuch geben. "Atrocities" steht darauf, "Grausamkeiten". Darin Fotos der schrecklich Gefolterten, der Toten, Opfer der Staatsmacht. Er schlägt das Buch auf, reicht es herum. Höflich verteilt er ein paar Exemplare. Der Russe neben ihm schaut kurz hinein. Dann legt er das Buch weg. Klitschko setzt sich. Dann sagt er nichts mehr.
Vom Boxweltmeister zum Hoffnungsträger
Man versucht, sich Vitalij Klitschko vorzustellen. Etwa in Verhandlungen mit dem wankelmütigen ukrainischen Präsidenten und seinen gerissenen Rüstungsoligarchen. Oder gar in Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der sich zunehmend in der Rolle des allmächtigen Zaren gefällt, von Gott gesandt, Russland zu retten. Klitschko müsse noch in seine neue Rolle hineinwachsen, heißt es hoffnungsfroh in seiner Umgebung.
Längst ist die Ukraine ein Testfall für Europa, den Westen, ein Testfall auch für Russland. Die Zeit läuft davon, Viele fürchten einen showdown der Staatsmacht nach der Olympiade in Sotschi. Und mittendrin ein ehemaliger Boxweltmeister, der nun ein ganzes Land retten soll. An diesem späten Münchner Nachmittag sieht es manchmal aus, als wisse Vitalij Klitschko selbst nicht so recht, was da gerade mit ihm geschieht.
Am Geldtropf Russlands
Die Ukraine brauche jetzt die EU als eine Art Vermittler, heißt es jetzt in Kiewer Regierungskreisen, vielleicht könne so der Weg zu Neuwahlen geebnet werden. Allerdings nur dann, wenn die EU Sicherheitsgarantien stelle. Eine Überlebensgarantie für Janukowitsch - und mit ihm für die mächtigen Oligarchen im Land. Und Geld natürlich, Geld braucht man auch. Wenn Russland die versprochenen Hilfen nicht auszahlt, droht dem Land im April die Zahlungsunfähigkeit.
Die Zeit läuft allen davon. Jeder weiß es, hier im zartgelb gestrichenen Münchner Ballsaal. Wie sagte doch die neue deutsche Verteidigungsmnisterin Ursula von der Leyen, wie sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier: Wegsehen ist keine Option.