CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hält das von der Ampel-Koalition geplante neue Bundestagswahlrecht für einen "Betrug am Wähler". Das Vorhaben sei "absolut verfassungswidrig", sagte Dobrindt am Mittwoch im ARD-"Morgenmagazin". Die geplante Streichung der Grundmandatsklausel und der Umstand, dass Gewinner von Wahlkreisen womöglich nicht ins Parlament einziehen, ignorierten eindeutig den Wählerwillen. "Ganz offensichtlich ist das ja ein Wahlrecht des Betrugs am Wähler, weil der Wählerwille nicht mehr abgebildet wird", sagte Dobrindt. "So ein respektloses Wahlrecht muss beim Verfassungsgericht landen", fügte er hinzu.
Dobrindt verwies darauf, dass bereits die vorherige Koalition aus Union und SPD das Wahlrecht geändert habe mit mehreren Schritten. Dieses würde bei der nächsten Bundestagswahl seine volle Wirkung entfalten. Und es würde bei der Gesamtzahl der Mandate zu einem sehr ähnlichen Ergebnis kommen wie die Ampel-Pläne.
CSU durch Zweitstimmen im Bundestag
Die Ampel-Koalition will die von Union und Linkspartei strikt abgelehnte Reform voraussichtlich am Freitag im Bundestag mit ihrer eigenen Mehrheit beschließen. Am Dienstag hatten die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP grünes Licht gegeben.
Durch die Reform wird der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag bei der nächsten Wahl wieder auf 630 Mandate verkleinert. Zentral ist, dass es künftig keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben wird. Gestrichen wird auch die sogenannte Grundmandatsklausel. Sie bewirkt, dass eine Partei auch dann nach ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einzieht, wenn sie zwar die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt, aber mindestens drei Direktmandate gewonnen hat.
Die CSU sitzt im Bundestag, weil sie rechnerisch bundesweit über der Fünf-Prozent-Hürde liegt, obwohl sie nur in Bayern gewählt werden kann. Möglich ist das durch die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU, zu der sich Parteien zusammenschließen können, die ähnliche politische Ziele verfolgen. Sie dürfen allerdings nirgendwo in Konkurrenz zueinander stehen. Deswegen tritt die CDU nicht in Bayern an und die CSU in keinem anderen Bundesland.
Wahlrechtsreform Gefahr für CSU und ganze Union
Die CSU übt Kritik zum einen daran, dass nach dem Reformvorschlag der Ampel-Koalition einige Wahlkreis-Gewinner der CSU – die mit den im bayernweiten Vergleich schlechtesten Ergebnissen – künftig leer ausgehen könnten. Eben weil die sogenannten Überhangmandate wegfallen sollen. Viel gravierender für die CSU aber ist die drohende Gefahr, dass sie sämtliche Mandate verlieren könnte, eben wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde bliebe.
Und so ganz aus der Welt ist das Szenario nicht: 2021 holte die CSU – bundesweit gerechnet – 5,2 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 waren es noch 7,4 Prozent, 2017 dann 6,2 Prozent. Setzt sich dieser Trend fort, rutscht die CSU bei der Bundestagswahl 2025 unter die Fünf-Prozent-Hürde – und wäre damit zum ersten Mal seit 1949 nicht im Bundestag vertreten.
Die Merkel-Ära geht zu Ende – eine politische Zeitenwende in Bildern

Dies wiederum wäre für die gesamte Union hochproblematisch. Würde die CSU bei 4,9 Prozent landen, wären die Stimmenanteile aus Bayern komplett weg und damit mögliche Mehrheiten für die CDU in Gefahr. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Union bisher eher von der Teilung und den damit verbundenen Überhangmandaten profitiert hat.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Sollte die Reform so beschlossen werden und in Karlsruhe Bestand haben, dann bliebe der CSU, wenn sie auf Nummer sicher gehen will, nur eine wie auch immer geartete noch engere Kooperation mit der Schwesterpartei CDU, mit gemeinsamen Wahllisten oder ähnlichem. Fürs Selbstverständnis der CSU dürfte derlei gravierende Folgen haben.
FDP-Politiker kritisiert CSU
Der Erste Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, verteidigte die Ampel-Pläne. Es dürfe nicht passieren, dass die Wahlrechtsreform die vierte Legislaturperiode in Folge scheitere, sagte er im Deutschlandfunk am Mittwoch.
Das, was die Koalition jetzt machen wolle, sei etwas, was es auch in Bayern in den 50er Jahren lange gegeben habe. "Nämlich, dass wir die sogenannte Zweitstimmendeckung einführen und das führt zu dem beschriebenen Effekt: Der Bundestag wird dauerhaft und sicher verkleinert", sagte Vogel. Damit würden die Stimmen, wie bereits heute, nach der Stärke der Parteien verteilt. Das sei das Verhältniswahlrecht und immer schon der Kern des deutschen Wahlrechts gewesen, sagte Vogel.
Er habe sich zwar gewünscht, eine Reform im Konsens mit der Opposition umzusetzen. Die CSU sei aber immer nur zu Vorschlägen bereit gewesen, bei denen sie unterproportional verliere, sagte der FDP-Politiker. Mit dem Vorschlag der Ampel verlieren demnach alle Parteien proportional. Die Folgen für die Union dürften trotzdem größer werden als für die Ampel.
Weitere Quellen: bundeswahlleiter.de zur Fraktionsgemeinschaft CDU/CSU, Bundestagswahlergebnisse 2013, Bundestagswahlergebnisse 2017.