Kurz nach 10.00 Uhr, nach 36 Stunden Dauerverhandlungen, ist es so weit. »Ich sehe hier einen Konsens«, sagt der Präsident der Weltklimakonferenz, Jan Pronk, hinter den verschlossenen Türen des Konferenzsaals im Bonner Hotel Maritim. »Ich bedanke mich.« Applaus brandet auf. Wenig später liegen sich Unterhändler vor der Tür in den Armen. »Wir haben es geschafft«, ruft eine junge Frau.
Der deutsche Umweltstaatsekretär Rainer Baake steht überrumpelt im Gemenge, als wisse er nicht, wie ihm geschehe. »Ich glaube, wir haben hier einen Durchbruch«, sagt Baake, ein wenig zweifelnd noch. EU-Umweltkommissarin Margot Wallström vertritt den Erfolg offensiver: »Wir haben das Kyoto-Protokoll gerettet«, verkündet sie, erschöpft, erlöst und ein klein wenig gerührt. »Jetzt können wir unseren Kindern in die Augen schauen.«
Delegierte aus 178 Ländern sind sich letztlich doch irgendwie einig geworden über die Umsetzung eines hoch komplizierten, hoch bürokratischen, bisher einmaligen Abkommens zum Schutz der Erde. Mit den in Bonn ausgehandelten Regeln ist der Weg frei für die Ratifizierung des vier Jahre alten Klimaprotokolls von Kyoto. Darin verpflichten sich Industrieländer erstmals,
weniger Schadstoffe in die Luft zu blasen und damit die Erwärmung des Erdballs zu bremsen.
Umweltschützer sind sich zwar klar, dass in einem hart ausgefochtenen Kompromiss nur noch »Kyoto-Light« übrig geblieben ist. Denn die Umsetzungsregeln enthalten Verrechnungsmodelle, die die eigentlichen Emissionsminderungen auf ein Minimum herunterschrauben. Statt wie einmal vorgesehen 5,2 Prozent Verringerung auf der Basis von 1990 werden schätzungsweise nur noch 1,8 Prozent bis 2012 erreicht.
Dennoch erkennen auch die Umweltschützer an, dass dies die einzige Lösung war, überhaupt erste Schritte verbindlich durchzusetzen. »Ich bin«, sagt Phil Clapp vom National Environmental Trust in Washington und zögert, »ich glaube, ?hocherfreut? ist das richtige Wort.«
Hysterisches Gelächter in der Sitzung
Wie die Vertreter der »Nichtregierungsorganisationen« sind auch viele der Delegierten bewegt, vielleicht gehen nach den elend langen Stunden des Verhandelns und Wartens die Gefühle mit ihnen durch. Die Nacht zum Sonntag, den Sonntag und die Nacht zum Montag haben die Unterhändler in kleinen, wechselnden Gruppen durchverhandelt. Mal eineinhalb, mal zwei Stunden Schlaf haben sie pro Nacht bekommen, wie der deutsche Unterhändler Karsten Sach berichtet.
Das geht nicht spurlos an Menschen vorbei, auch nicht am Tagungspräsidenten Pronk. In der zweiten schlaflosen Nacht bricht er in fast hysterisches Gelächter aus, wegen eines Schnitzers in einer Übersetzung. Und am Ende ist auch der umtriebige niederländische Umweltminister mit seinen fast Waigelschen Augenbrauen und ständig wechselnden Nickelbrillen fast zu Tränen gerührt.

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Ihm, der während der Verhandlungen immer wieder wegen seiner Führung gescholten wurde, dem Eitelkeit vorgeworfen wurde, gewähren die Delegierten den Triumph, den ausgehandelten Kompromiss ohne weiteres passieren zu lassen. Alle scheinen sich plötzlich einig. Sie spenden ihm stehend lange anhaltenden Beifall. Pronk hat trotz aller Kritik anerkanntermaßen die tragende Rolle bei der Kompromissfindung gespielt.
Er hat aus den weit auseinanderliegenden Einzelpositionen zu den Streitfragen bei der Umsetzung des Protokolls ein einziges, relativ verständliches Papier zusammengeschrieben, das letztlich fast unverändert angenommen wurde. Der Trick war dabei, »jedem zu geben und zu nehmen«, wie Wallström anerkennt. Die EU war nicht erfreut, aber sie konnte zähneknirschend um des Erfolges Willen zustimmen.
Die Zögerer, die diese Chance nicht von selbst erkannten, hat Pronk in der letzten Verhandlungsrunde weich gekocht. »Pronk hat uns gebeten, so lange nicht den Raum zu verlassen, bis wir eine Einigung haben«, sagt EU-Kommissarin Wallström. »Das hat funktioniert.«
Bundesregierung begrüßt Erfolg
Die Bundesregierung sieht in den Ergebnissen des Klima-Gipfels in Bonn einen »großen Erfolg«. Die Alternative zu einem Kompromiss wäre eine »Verschiebung auf den Sankt Nimmerleinstag« gewesen, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Bela Anda am Montag in Berlin. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) habe dem Konferenzleiter, dem niederländischen Umweltminister Jan Pronk, sowie Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) für deren Einsatz gedankt.
Die Konferenz sei auch ein Erfolg für die Europäische Union, selbst wenn Kompromisse notwendig gewesen seien, sagte Anda weiter. Es handele sich aber um »einen guten Kompromiss für den Klimaschutz«. Bonn sei »ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung«.
Schröder habe vom G 8-Gipfel von Genua aus ständig Kontakt nach Bonn gehalten, um dorthin das Signal auszusenden, dass das Treffen zum Erfolg geführt werden müsse. In Genua habe er das Thema auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir
Putin sowie dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush erörtert.
Japan zufrieden
Auch der japanische Regierungschef Junichiro Koizumi hat die beim Weltklimagipfel in Bonn erzielte Einigung begrüßt. »Japan begrüßt die grundsätzliche Einigung auf «Kernelemente»«, erklärte Koizumi am Montag in einer schriftlichen Stellungnahme in Tokio. Japan habe im Bewusstsein seiner Präsidentschaft bei der Klimakonferenz in Kyoto und basierend auf der Politik, »so viele Übereinkünfte« in Bonn »wie möglich« zu erzielen, sein »Äußerstes getan« habe, diese zu formulieren.
Details müssten in folgenden Verhandlungen noch ausgearbeitet werden. Japan wolle jedoch »weiter sein Bestes geben«, um mit Blick auf eine Inkraftsetzung des Klimaschutzprotokolls in 2002 eine abschließende Einigung auf der Folgekonferenz zu erzielen. Japan werde sich zudem sehr bemühen, um im eigenen Land die Ziele des Kyoto-Protokolls zu erreichen.
Zugleich bezeichnete es Koizumi als »wichtig, dass alle Länder unter einer Regelung handelten«. Um eine Einigung einschließlich der USA zu erzielen, wolle Japan weiterhin sein »Maximum an Bemühungen« fortsetzen. Zugleich werde man die USA aufrufen, auf Foren wie bei den japanisch-amerikanischen Konsultationsgesprächen »konstruktive« Schritte zu unternehmen.