Heute ist der internationale Tag der Menschenrechte. Die meisten Deutschen dürften solche Daten wenig bis gar nicht interessieren – mich eingeschlossen. "Internationale Tage für XY" gibt es so inflationär, dass sie schon nichts Besonderes mehr sind. Das geht dann natürlich zulasten von Tagen wie diesem. Zum Aufreger und Politikum werden Menschenrechte ohnehin meist erst dann, wenn Zivilisten in Kriegen angegriffen (Ukraine), Minderheiten politisch verfolgt (Uiguren in China), Flüchtende an Grenzen abgewiesen (Mittelmeer) oder Menschen in anderen Staaten ausgebeutet werden (Katar).
Keine Frage, die Betroffenen sind Menschen wie Sie und ich, denen dieselben Rechte zustehen wie uns allen. Deshalb ist es auch richtig, dass sich Deutschland als Mitglied der Vereinten Nationen international für diese Menschen einsetzt. Vor diesem Hintergrund ist es auch legitim, wenn sich Politiker etwa mit den Protestierenden im Iran solidarisieren. Allerdings sollte das in den Aufgabenbereich von Annalena Baerbock mit ihrer feministischen und wertebasierten Außenpolitik fallen – und nicht in den von Innenministerin Nancy Faeser.
Faeser hätte genug Auswahl, um sich im Rahmen ihres Amtes als Innenministerin zu positionieren. Zum Beispiel an der Seite jener Bürger, die sich keine Lebensmittel mehr leisten können und deshalb auf die Tafeln angewiesen sind. Dort hat sich die Anzahl der Kundschaft teilweise verdoppelt. Viele Einrichtungen haben deshalb einen Aufnahmestopp verhängt. Auch Obdachlose in Deutschland würden sich bestimmt über etwas mehr Aufmerksamkeit der deutschen Innenministerin freuen. 37.400 Menschen sind laut einer Erhebung des Bundesamtes für Arbeit und Soziales wohnungslos – Schätzungen zufolge ist die Dunkelziffer noch höher. Allein in den zwei Jahren vor der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Wohnungslosen um acht bis neun Prozent.
Das Grundrecht auf Gesundheit nimmt Deutschland nicht ernst
Es ist nicht so, dass die Menschenrechte in Deutschland mit Füßen getreten werden, wie es andernorts der Fall ist – bei Weitem nicht. Dennoch reicht es nicht, über die Landesgrenzen hinaus Autokraten und Diktatoren zu schelten, wenn im Inland einiges schief läuft. Bestes Beispiel derzeit: unser Gesundheitswesen.
Vielleicht überrascht Sie das, aber: Die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen sieht das Recht auf Gesundheit vor. Konkret bedeutet das gute Nahrung, Kleidung, eine Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen. Googelt man "Recht auf Gesundheit", dann landet man schnell auf der Seite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dort ist aufgeschlüsselt, wie sich Deutschland etwa in Afrika in der Aidshilfe und der Verminderung der Kinder- und Müttersterblichkeit engagiert. Äußerst lobenswert.
Aber bei allem Respekt: Wo bleibt das Engagement für die deutschen Mediziner und Pflegekräfte, die täglich am Limit dafür arbeiten, dass Patienten in Deutschland wieder gesund werden? Spätestens seit der Corona-Pandemie ist klar, dass etwas geschehen muss. Aber seit das Virus in den Hintergrund getreten ist, gibt es nicht mal mehr Applaus für die Medizin. Für Aufsehen sorgten zwar zuletzt die Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Weil der aber nicht das dringend benötigte Geld locker machen kann (oder will?), muss man davon ausgehen, dass es die deutsche Politik mit dem Menschenrecht auf Gesundheit nicht wirklich ernst meinen kann.
Menschenrechte dürfen nicht nur im Ausland gelten!
Dabei ist Gesundheit die Grundlage für funktionierende und wirtschaftsstarke Gesellschaften. Laut Techniker Krankenkasse hat der Krankenstand in der Bundesrepublik im ersten Quartal 2022 einen Höchststand erreicht. Während der Pandemie haben wir alle gesehen, was mit großen Volkswirtschaften wie China passiert, wenn das Personal wegen Krankheit ausfällt. Das bekommt die ganze Welt zu spüren.
Dass Patienten hierzulande teilweise monatelang auf Psychotherapien, Kuren oder ganz normale Hausarzttermine warten müssen, weil die Einrichtungen überlaufen sind, ist hinlänglich bekannt. Dass nun aber die Krankenhausplätze für die Kleinsten und Jüngsten unserer Gesellschaft knapp werden, ist der Gipfel des Unmöglichen.
Das Recht auf Gesundheit existiert damit wohl nur auf dem Papier, aber es wäre die Aufgabe der Ampel-Regierung, das zu ändern. Denn die ist in erster Linie für Deutschland zuständig. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun und soll auch nicht heißen, dass sich die deutsche Politik Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern verschließen sollte. Aber wir können nicht immer nur auf Autokratien und Diktaturen verweisen, wenn es um genau diese Verfehlungen geht. Sie sind zwar in der Schwere nicht miteinander vergleichbar. Aber in allen Fällen werden Rechte verletzt. Das darf in einem Land, das sich als Demokratie rühmt und eine moralische und wertebasierte Außenpolitik betreiben möchte, nicht passieren.
Zumal es bestimmt einfacher wäre, das Menschenrecht auf Gesundheit hierzulande zu fördern, als verbohrte Autokraten zu Verfechtern der Menschenrechte zu erziehen.