Zweites Triell zur Bundestagswahl Viel Vergangenheit, wenig Erkenntnisgewinn und ein unfreiwilliger Wahlhelfer

Von Andrea Zschocher
Wahlkampf: Schlagabtausch beim zweiten Triell der Kanzlerkandidat:innen
Sehen Sie im Video: Teils hitziger Schlagabtausch im zweiten TV-Triell




Die jeweiligen Anhänger der drei Kandidaten für die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten sich am Sonntagabend in Berlin in Position gebracht. Vor dem zweiten sogenannten Triell von Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock bei ARD und ZDF versuchten sie noch einmal ihren Kandidaten und ihrer Kandidatin den Rücken zu stärken. Umfragen vor dem Duell sahen die SPD unverändert vorne. Die Sozialdemokraten kommen laut ZDF-Politbarometer auf 25 Prozent, die Union liegt bei 22 Prozent. Die Grünen kommen auf 17 Prozent. Während des gut 90 minütigen Rededuells im Studio lieferten sich Scholz, Laschet und Baerbock dann einen heftigen Schlagabtausch. Dabei war Scholz zunächst in der Defensive. Hintergrund war die jüngste Razzia der Staatsanwaltschaft im Bundesfinanzministerium. Laschet: "Ist in Ihrem Haus durchsucht worden oder nicht?" Scholz: "An ihrer Frage merkt man, wie sehr Sie unehrlich sind. In meinem Hause war die Staatsanwaltschaft. Und die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung in Köln. Und für die Untersuchung, die sie dort macht, braucht sie Auskünfte. Sie hat keine Untersuchung im Hinblick auf dieses Ministerium." Kontrovers ging es auch beim Umgang mit der Linkspartei und der rechtspopulistischen AfD zu. "Wir werden auf keinen Fall mit der Linken koalieren, wir werden auf keinen Fall mit der AfD koalieren, wir werden mit denen noch nicht einmal reden, wir werden nicht kooperieren. Und Demokraten untereinander müssen nach der Wahl reden. Und wir kämpfen um Platz eins." Beim Thema Klimaschutz ging Baerbock hart mit ihren Kontrahenten ins Gericht. "Diese nächste Bundesregierung, die ist die, die noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise legen kann. Und das heißt dann, wir müssen früher aus der Kohle aussteigen, deutlich vor 2038. Wir können doch nicht, das wollen sie beide, aber wenn sie jetzt ihre Meinung ändern, weil sie sagen, wir sind jetzt die größten Klimaschützer, dann wäre es ja super, dann hätten wir ja schon einmal einen Erfolg. Wir können doch nicht 17 Jahre lang weiter so machen, als wäre nichts passiert." Gefragt wurden die drei Kandidaten nach der aus ihrer Sicht wichtigsten Lehre aus der Coronavirus-Pandemie. Laschet sagte, Europa müsse in kommenden Pandemien autark reagieren können. Baerbock forderte die Bildung eines Krisenstabs. Und Scholz mahnte, der Gesundheitsdienst in Deutschland müsse auf den modernsten Stand gebracht werden.
Ein angriffslustiger Armin Laschet und ein streitbarer Olaf Scholz arbeiten die Vergangenheit auf, Annalena Baerbock denkt an die Zukunft. Im zweiten TV-Triell gab es wenig Überraschungen. Sieger des Abends? Der moderate Mittelweg.

Zwei Männer streiten über die Vergangenheit, eine Frau blickt nach vorn. Das ist, ganz verknappt und oberflächlich, die Zusammenfassung des zweiten TV-Triells, das in ARD und ZDF übertragen wurde. Denn während Olaf Scholz und Armin Laschet sich in vielen Punkten vor allem darum stritten, wer wann in der Vergangenheit welches Gesetz und welche Idee verhindert hatte, wer wofür in der Großen Koalition die Verantwortung trug, wollte Annalena Baerbock in die Zukunft schauen. "Bereit, weil ihr es seid", der Wahlslogan der Grünen, galt auch an diesem Abend. Da die Kanzlerkandidatin den Umfragewerten zufolge nach wie vor auf Platz drei steht, konnte Baerbock zwar Themen setzen und Debatten anstoßen, für die Kanzlerschaft reicht das aber eher nicht.

Brauchen wir wirklich Trielle

Die meisten Zuschauenden brauchen aber sicher auch kein (zweites) Triell, um sich ihre Meinung über ihren nächsten Kanzler oder ihre nächste Kanzlerin zu bilden. Das mag eine deprimierende Erkenntnis sein. Auch Anne Will gefiel dieser Hinweis von Politikwissenschaftlerin Ursula Münch in ihrer Triell-Nachbesprechung nicht. "Ich glaube nicht", sagte diese, "dass die Trielle so viel Eindruck machen". Es sei einfach so, dass die meisten Menschen schon mit einer Meinung im Kopf diese Wahlsendungen schauen würden. Dennoch werden nach so einem Triell schnell sämtliche Meinungsforschungsinstitute mit Analysen beauftragt und mögliche Wahlentscheidungen dokumentiert. Dabei gilt nach wie vor: Abgerechnet wird am Schluss. Und dieser ist noch zwei Wochen entfernt.

Weil Armin Laschet klar sein dürfte, dass er mit Sympathie bei den meisten Wählenden nicht mehr punkten kann – das bestätigen auch diverse Umfrageergebnisse – gab er sich im zweiten Triell deutlich angriffslustiger. Er sprach Scholz auf die laufenden Ermittlungen an, auf Cum-Ex und Wirecard. "Man sieht, wie Dinge hier verdreht werden", entgegnete Scholz und versuchte, Boden gutzumachen, zu erklären, wie es zu der Untersuchung kam. "An Ihrer Frage merkt man, wie unehrlich Sie sind", wurde der SPD- Politiker dann auch recht persönlich.

Gleich an mehreren Stellen fiel dies im Triell auf, dass Scholz sich über die Fragen und Vorwürfe Laschets ärgerte. Und, das gehört zur Wahrheit dazu, Scholz wirkte durch die Herausforderung Laschets direkt lebendiger, leidenschaftlicher. Sonst eher als sehr sachlich und nüchtern bekannt, konnte der Kanzlerkandidat der SPD hier, mit vermutlich ungewollter Hilfe Laschets, tatsächlich glänzen. Denn die Zuschauenden erlebten endlich mal einen Olaf Scholz, der aus sich heraus kam, der sich angriffslustig und streitbar zeigte. Auch das muss ein Kanzler schließlich können, kein Kanzler und keine Kanzlerin war in der Vergangenheit so ruhig und besonnen, wie Olaf Scholz über weite Teile des Wahlkampfs agierte.

Wer wirkt glaubhafter?

Weniger überzeugen konnte Scholz aber vermutlich mit seinen Aussagen, denn die werden, wie Politikwissenschaftlerin Münch und Journalist Robin Alexander später bei "Anne Will" erklärten, für die meisten Zuschauenden inhaltlich kaum fassbar sein. Das Volk würde sich mit den angesprochenen Themen in der breiten Masse in der Tiefe überhaupt nicht auskennen, vieles an diesem Schlagabtausch sei sehr "technisch" gewesen. Es fehlte eine Einordnung, was natürlich dem Format geschuldet ist, solche tiefgehenden Debatten dann aber für einen Großteil der Zusehenden ärgerlich und vielleicht auch nutzlos macht. Denn wo in vielen Politiksendungen sonst Einblendungen und Faktenchecks gezeigt werden, fehlten sie beim Triell völlig. Da gewinnt dann der, den das Publikum für glaubhafter hält, und das ist nicht notwendigerweise derjenige, der auch die Wahrheit sagt.

Schwaches Moderationsteam

Die Zeit eines solchen politischen Schlagabtauschs ist begrenzt, aber dass das Moderationsteam Maybritt Illner und Oliver Köhr einen ärgerlich konfusen Eindruck vermittelte, sorgte sicher nicht dafür, dass die Botschaften der Kandidat:innen nachvollziehbarer wurden. Illner und Köhr fielen sich immer wieder ins Wort, hielten stur an den vorher besprochenen Fragen fest, hatten das Triell über weite Teile einfach nicht im Griff. Es reicht für ein solches Format eben nicht, den gleichen Stiefel zu fahren, der sonst bei Politiktalkshows gilt. Natürlich sind beide im Politikjournalismus sehr erfahren. Für das Triell war das aber kein Gewinn, denn das Moderationsteam griff eben leider nicht moderierend ein, sondern hetzte von Thema zu Thema. Gleichzeitig wurde vieles gar nicht angesprochen. Um möglichst viele Wahlberechtigte abzuholen, wäre es aber nötig gewesen, auch Themen jenseits von Coronalearnings, Digitalisierung, Klimaschutz, Koalitionspartnern und Parteiinterna zu debattieren.

Eine Großaufnahme zeigt einen Kugelschreiber, der ein Kreuz auf einem Wahlzettel malt
© DPA
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Natürlich ist die Themensetzung in jedem Triell eine andere, aber so wie die Kandidat:innen nicht müde werden, ihre Wahlversprechen immer zu wiederholen, wäre es auch nötig, bestimmte Themen immer wieder anzusprechen. So gab es gerade zu den möglichen Koalitionspartnern und einigen Parteimitgliedern keine befriedigende Antwort. Während Annalena Baerbock es immerhin noch schaffte, im ganz kleinen Rahmen auf Rassismus und Familienpolitik hinzuweisen, herrschte bei den beiden Herren da Schweigen. Auf Baerbocks Hinweis, dass die Politik in Sachen Coronatests von Kindern Sachen verlangt, "die wir von Erwachsenen nicht verlangen", gingen die Kontrahenten nicht ein. Solche Themen, die aber für viele Menschen wichtig sind, fallen hinten runter, wenn man lieber durch den Fragenkatalog hechtet.

Wattewolkige, nichtssagende Antworten

Armin Laschet erklärte: "Ich beantworte keine Würde- Fragen", als er gefragt wurde, ob er selbst Hans-Georg Maaßen wählen würde, umstrittener CDU-Kandidat in Südthüringen. Ein klares Nein hört sich anders an und diese Antwort lässt natürlich viel Raum für Interpretation. Das wollte Annalena Baerbock, angesprochen auf Tübingens Bürgermeister Boris Palmer, in jedem Fall umgehen und erzeugte, auch wenn die Frage dazu an sie gerichtet wurde, eine gewisse Nähe zwischen Maaßen und Palmer, die es so gar nicht gibt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Gefragt nach dem Erkenntnisgewinn aus dem Coronamanagement antwortete Laschet, dass er nie wieder "horrende Summen für Masken bezahlen" wolle. Unter den Tisch fiel dabei selbstverständlich das eher unrühmliche Verhalten seiner Partei. Olaf Scholz hingegen baute neue Schreckensszenarien auf, er will den Gesundheitsdienst voranbringen, weil nicht absehbar ist, was da noch kommt. Natürlich ist die Zukunft ungewiss, aber sich jetzt schon mal Gedanken für morgen machen, ist sicher immer eine gute Idee.

Armin Laschet blickte im Triell trotzdem lieber in die Vergangenheit, genauer gesagt in die 90er-Jahre, denn da hätte man ja schon richtig was für den Klimaschutz tun müssen. Wenn die Erkenntnis jetzt auch ein bisschen spät kommt, es wäre ja Zeit, jetzt etwas zu ändern. Dass die von ihm geforderte Klimaneutralität aber nicht umsonst zu haben ist, das wollte Laschet dann nicht kommentieren.

Dieses Herauslavieren aus konkreten Fragen und möglichst wattewolkige, nichtssagende Antworten zu geben, das bringt Laschet eigentlich gar nichts. Außer, dass es ihn, wie die Umfragewerte auch zeigen, weniger kompetent erscheinen lässt. Hier konnte aber aus Sicht der Befragten auch Annalena Baerbock nicht punkten. Was solche Umfragen nicht benennen, was aber immer wieder zu beobachten ist: Frauen werden oft als sympathisch eingeschätzt, aber nicht als kompetent. So auch im Fall der Grünen-Politikerin, die zwar 39 Prozent der Befragten als am sympathischsten benennen, für kompetent halten sie aber nur 18Prozent.

Der moderate Mittelweg

Natürlich wollen wir alle wissen, wie die Zukunft der Bundesregierung aussehen kann. Das Triell hat dabei leider wenig Antworten geliefert, auch, weil kein Kandidat, keine Kandidatin irgendwelche Koalitionskonstellationen ausgeschlossen hat. Fest steht aktuell nur, dass niemand mit der AfD koalieren wird. Die CDU schließt eine Regierungsbeteiligung mit der Linken aus, die anderen beiden tun das nicht. Olaf Scholz verspricht außerdem ein Kabinett, dass zu 50 Prozent aus Frauen und zu 50 Prozent aus Männern besteht. Mit ihm als Bundeskanzler soll Respekt wieder ein Thema und "jede Lebensleistung anerkannt" werden.

Armin Laschet geht es ums Vertrauen, er will als Bundeskanzler niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu reden oder zu denken habe. "Ich will Bundeskanzler des Vertrauens werden", schließt er sein Statement an die Zuschauenden ab.

Annalena Baerbock will eine "moderne Regierung die handelt bevor es zu spät ist". 

Als die Chefredakteurin vom WDR-Fernsehen, Ellen Ehni, bei "Anne Will" die Umfrageergebnisse zum Triell präsentierte, wurde klar, dass sich laut diesen die Menschen für den moderaten Mittelweg entscheiden werden. Aktuell ist der für die allermeisten – wie auch nach dem ersten Triell – der Weg mit einem Kanzler Olaf Scholz.

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