Energieimporte Habeck will Putin "das Handwerk legen" – aber der Weg ist weit

Ein weißer Mann in Anzug steht vor einer blauen Wand mit Schriftzügen "Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz"
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, bei seiner Pressekonferenz zur Energiesicherheit in Deutschland
© Kay Nietfeld / DPA
Der deutsche Wirtschaftsminister verkündet ehrgeizige Ziele, um Deutschland schnell unabhängig zu machen von russischer Energie. Aber der Weg ist noch weit – und er wird teuer.

Es sind beeindruckende Zahlen, die Wirtschaftsminister Robert Habeck am Freitag in seinem aktualisierten Energiesicherheitsbericht vorgelegt hat – zumindest auf den ersten Blick: Deutschland ist dabei, seine Abhängigkeit von russischen Energieimporten drastisch herunterzufahren. Laut Habecks Bericht wird beim Öl der Anteil aus Russland von 35 Prozent im vergangenen Jahr kurzfristig auf 25 Prozent sinken, bei Steinkohle von rund 50 Prozent auf rund 25 Prozent. Beim Erdgas, wo die Abhängigkeit am größten ist, kam im ersten Quartal 2022 nur noch 40 Prozent aus Russland – statt der durchschnittlich etwa 55 Prozent in den vergangenen Jahren.

Damit hat die Bundesregierung einen fatalen Trend gedreht: Während Deutschland sich unter den Vorgängerregierungen immer stärker an den Tropf des Kreml hängte, treibt die Ampelkoalition nach dem russischen Überfall auf die Ukraine die Abnabelung nun mit Hochdruck voran. Schon binnen weniger Monate, so Habecks Botschaft, könne man sich weitgehend aus der Abhängigkeit befreien.

Russland als Energielieferant überflüssig machen

Das politische Signal, das der Wirtschaftsminister damit in der hitzigen Debatte um ein Energieembargo gegen Russland setzen will, ist klar: Deutschland arbeitet daran, Russland als Energielieferant überflüssig zu machen. Zwar geschehe dies nicht auf einen Schlag, wie es die Befürworter eines kurzfristigen Lieferstopps in der deutschen Innenpolitik, aber auch einige EU-Partner wie Polen verlangen. Im Ergebnis könne aber auch diese Strategie dazu dienen, Präsident Wladimir Putin "das Handwerk zu legen", wie es Habeck formuliert – nämlich indem dem russischen Staat in absehbarer Zeit wichtige Einnahmen aus dem Export von Gas, Kohle und Öl wegbrechen. Zugleich käme ein sukzessiver Ausstieg nicht als der brutale Schock für die deutsche Volkswirtschaft daher, den Habeck und die Industrie im Fall eines kurzfristigen, vom Westen beschlossenen Energieembargos fürchten.

Allerdings lohnt es sich, sich die im Energiesicherheitsbericht vermeldeten Fortschritte genauer anzuschauen – und auch nach den verschiedenen Energieträgern zu differenzieren. Tatsächlich handelt es sich bei den Zahlen für Öl und Kohle zunächst einmal um Prognosen: So soll der Anteil von russischem Öl "absehbar" auf 25 Prozent sinken, zum Jahresende soll Deutschland dann "nahezu unabhängig" von Lieferungen aus Russland sein. Bei der Steinkohle, die unter anderem in Kraftwerken für die Stromerzeugung genutzt wird, soll der Anteil "in den nächsten Wochen" auf rund ein Viertel sinken. Bis zum Herbst "kann" Deutschland "unabhängig" von russischer Kohle sein, heiß es im Bericht. Was auch immer diese Formulierungen konkret bedeuten.

Öl und Kohle dürften teurer werden

Hinzu kommt, dass es bei Öl und Kohle vergleichsweise einfach ist, Alternativen zu finden: Bei beiden Energieträgern gibt es einen funktionierenden Weltmarkt mit zahlreichen Anbietern und ausreichenden Ressourcen. Bestehende Verträge mit russischen Lieferanten zu kündigen und neue Verträge mit Anbietern aus anderen Ländern wie Südafrika oder Kolumbien abzuschließen, ist für deutsche Energiekonzerne und Händler letztlich eine Frage des Preises. Wegen der weltweit hohen Nachfrage nach Alternativen zu Öl und Kohle aus Russland dürften die Importe – zumindest vorerst – teurer werden.

Anders verhält es sich beim Gas. Hier kann Habeck schon eine konkrete Reduzierung der hohen Abhängigkeit von russischen Importen im Vergleich zu früheren Jahren vorweisen – um rund 15 Prozentpunkte auf etwa 40 Prozent im ersten Quartal 2022. Dabei handelt es sich tatsächlich um einen Fortschritt. Allerdings war es zuletzt auch so, dass der russische Staatskonzern Gazprom – über die zugesagten Liefermengen aus den langfristigen Verträgen hinaus – weniger Gas nach Westeuropa geliefert hat als in früheren Zeiten – möglicherweise als Teil der Kriegsstrategie des Kreml, um einen wirtschaftlichen Hebel gegen die Europäer in der Hand zu haben. Dies schlägt sich auch in den Bilanzen nieder.

Deutsche Energiepolitik rächt sich jetzt

Die Abhängigkeit beim Gas zurückzufahren, wird die kniffeligste Aufgabe für Habeck und die Bundesregierung. Jetzt rächt sich, dass frühere Regierungen nie ernsthafte Alternativen zu Pipelinegas aus Russland aufgebaut haben – vor allem eigene Terminals für Flüssigerdgas (LNG), um eine Versicherungsoption gegen Ausfälle russischer Lieferungen zu schaffen. Für die deutsche Politik ging es stets in erster Linie um günstige Energie. Dass Energiesicherheit etwas kostet und nicht durch den Markt allein geregelt wird, ist eine Lektion, die nun alle schmerzhaft lernen müssen: Politiker, die Energiebranche, die Industrie – aber auch die Verbraucher, die mehr für Strom und Heizen bezahlen werden müssen.

Diese Versäumnisse führen nun dazu, dass die Bundesregierung vor allem beim Gas im Eiltempo Alternativen aufbauen muss – nicht nur bei der Infrastruktur für Flüssiggas, bei der nun Tesla-Geschwindigkeit in den Genehmigungsverfahren gefordert ist, sondern auch bei den Lieferanten. Anders als bei Öl und Kohle sind die auf dem Weltmarkt verfügbaren Mengen an LNG knapp. Um die Lieferanten balgen sich nun viele Interessenten, was dazu führt, dass deutsche Regierungsvertreter als Bittsteller auftreten müssen, so wie am Wochenende Habeck selbst bei den Scheichs in Katar. Aber auch die Deals, die Habeck von seinen jüngsten Reisen in wichtige Lieferländer wie die USA, Norwegen und Katar mitgebracht hat, können die Abhängigkeit von Russland, in die sich Deutschland über Jahrzehnte begeben hat, nicht von heute auf morgen beenden.

Habecks Zahlen zeigen, dass sich Deutschland auf den richtigen Weg begeben hat. Aber der Weg ist noch lang.