Das war ich. Was mich als Experten auswies, war einzig und allein die Tatsache, dass ich ganz gut zuhören kann, wenn mir wildfremde Menschen erzählen, was sie bedrückt oder auch nicht bedrückt oder sie eben glauben, sie könnten Licht essen.
Ein paar Jahre hörte ich mir ziemlich viel Irrsinn an und bedankte mich am Ende immer sehr artig für das interessante Gespräch. Es waren meistens harmlose und exzentrische Geschichten, wenn ich mich richtig erinnere. Und Exzentriker mochte ich schon immer. Es ging um Stromkästen mit kosmischer Strahlung oder neuartige Wege, Urin im Kinderbecken nachzuweisen. So was. Hätte Trump bei uns angerufen und von Licht und Desinfektionsmitteln gefaselt, wäre er auf der Stelle zu mir durchgestellt worden.
Dann gingen wir in die USA, ich ließ die harmlosen Irren in Deutschland zurück und traf speziell nach 9/11 ziemlich viele neue Irre in New York City.
An einen Abend in New York erinnere ich mich immer wieder. Seinerzeit trafen sich Verschwörungstheoretiker jeden Sonntagabend in der St. Marks Church auf der Lower Eastside, in einer der ältesten Betstätten Manhattans. Sie nannten sich "Wahrheitssucher". Zu Gast war Ralph Schoenman, ein Guru dieser Art Aufklärung.
Rund 250 Männer und Frauen jeden Alters waren erschienen. Viele Männer trugen Baskenmützen, und erstaunlich viele Frauen sahen so aus wie Barbra Streisand. Ich hatte diesen Typus zuvor auch schon in Deutschland gesehen, vornehmlich auf Kirchentagen und Castor-Demonstrationen.
Irgendwann betrat ein wenig gebückt der kinnbärtige Schoenman die Bühne und monologisierte zweieinhalb Stunden lang. Zusammengefasst ging sein Vortrag so: Hinter den Anschlägen des 11. September steckt die US-Regierung in Zusammenarbeit mit der CIA, mehrere Flugzeugentführer leben noch mitten unter uns, einige aber auch auf einer einsamen Insel im Pazifik. Alles war Plan einer viel größeren Agenda. Und alles wurde ausgeheckt in Washington, um Panik zu verbreiten. Wie die Vogelgrippe. Auch die sei ein Konstrukt der Regierung in Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie.
Als wir ein Foto von der Veranstaltung machen wollten, sagte der Organisator: "Lieber nicht. Sie müssen verstehen, viele dieser Leute sind diesbezüglich etwas paranoid."
Das verstanden wir sofort.
Große Katastrophen generieren große Verschwörungstheorien. Das ist jetzt wieder so. Es ist ja auch eine merkwürdige Zeit. Einige finden im wochenlangen Lockdown zur Besinnung, andere kommen auf dumme Gedanken. So ist der Mensch. Überall übrigens. Dummerweise verabreden sich die mit den dummen Gedanken seit geraumer Zeit und halten sogenannte "Hygiene-Demos" ab. Ein überaus buntes Volk ist da neuerdings unterwegs: Erdogan-, Trump- und Pegida-Fans stehen dicht an dicht neben Impf-Gegnern und linken Staatsverächtern und brüllen gemeinsam Polizisten nieder. Normalerweise würden sie sich gegenseitig nicht mal mit der Kneifzange anpacken, sich anbrüllen und so viel Abstand wie möglich halten. Corona macht aus ihnen eine große Koalition der Spinner. Mittendrin sind gerne auch Vertreter der Q-Bewegung, die glauben eine pädophile Elite hielte in Tunneln Kinder gefangen, das Virus sei lediglich ein Ablenkungsmanöver, und Trump sei der Retter. Für Ostern war eine große Kinderbefreiungsaktion angekündigt. Ein Vorsänger dieses Stuss-Trupps ist der ölige Borderliner Xavier Naidoo. Noch Fragen?

Seit meiner Zeit in New York habe ich jegliche Toleranz für Verschwörungstheoretiker verloren. Sie haben nichts, rein gar nichts mit meinen putzigen Exzentrikern gemein. Ich halte sie nicht nur für dumm und dämlich, sondern inzwischen auch für gefährlich. Am liebsten würde ich ihnen ein zünftiges "Fuck you" zurufen. Das tue ich nur deshalb nicht, weil sie mich womöglich beim Wort nehmen könnten.
Und nicht mal diesen Spaß möchte ich ihnen gönnen.