Streit zwischen Berlin und Rom Italiens Giorgia Meloni: Warum diese Frau für Scholz gefährlich werden könnte

Olaf Scholz und Giorgia Meloni in Rom
Olaf Scholz und Giorgia Meloni in Rom
© Picture Alliance / AP
Zwischen Italien und Deutschland herrscht Eiszeit. Kann ein Treffen zwischen dem Kanzler und der rechten italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Spanien die Stimmung verbessern?

Eine alarmierende Diagnose hat die italienische Zeitung "Corriere della sera" dem Patienten ausgestellt. Dieser werde gerade von "hohem Fieber“ heimgesucht. 

Der Patient, das sind die deutsch-italienischen Beziehungen. Diese galten nach der Wahl der Postfaschistin Giorgia Meloni vor fast genau einem Jahr ohnehin als angeschlagen. Doch nun sind sie in einer veritablen Krise. Ein Treffen zwischen Meloni und Bundeskanzler Olaf Scholz in der südspanischen Stadt Granada soll das Verhältnis nun wieder verbessern.

Dort treffen sich an diesem Donnerstag unter spanischer Schirmherrschaft 47 Staats- und Regierungschef aus fast allen europäischen Ländern. "Europäische Politische Gemeinschaft“ heißt dieses Format, das vor zwei Jahren ins Leben gerufen wurde.  

Am Freitag wollen die Chefs und Chefinnen der EU quasi als exklusiver Club in kleiner Runde allein weiterberaten. Dann wollen sich auch Scholz und Meloni treffen, am Rande des offiziellen Programms.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Flüchtlingspolitik Deutschlands. In Italien steigt seit Monaten die Zahl der ankommenden Migranten drastisch an. Bis August kamen laut Innenministerium über 100.000 Bootsflüchtlinge, rund doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum. 

Geschmackloser Vergleich 

Für Empörung sorgt in Italien, dass Schiffe von Nichtregierungsorganisationen unter deutscher Flagge vor der Küste Italiens Menschen aus Seenot retten, die dann in Italien Asyl beantragen. Die europäische Grenzschutzagentur "Frontex“ sieht darin einen "Pull-Faktor“, einen Anreiz für illegale Migranten, die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer zu riskieren.  

Ende September verlangte Meloni in einem Brief an Scholz Auskunft darüber, warum Deutschland weiter solche Rettungsschiffe finanziere. Ihr Koalitionspartner ging noch weiter. Andrea Crippa von der Lega Nord, der als Vertrauter von Vizepremier Matteo Salvini gilt, warf Deutschland vor, mit illegaler Migration die italienische Regierung zu Fall bringen zu wollen – und verstieg sich dabei zu einem - vorsichtig formuliert - reichlich gewagten historischen Vergleich: "Vor 80 Jahren beschloss die deutsche Regierung, mit der Armee in andere Staaten einzumarschieren, aber das ging schief. Jetzt finanziert sie die Invasion illegaler Einwanderer, um die Regierungen zu destabilisieren, die den Sozialdemokraten nicht gefallen.“  

Schon kursieren erste Gerüchte, der Krach könnte die für November geplanten deutsch-italienischen Regierungskonsultationen gefährden. 

Auch der "Mittelmeer-Pakt" scheint zu platzen 

Offiziell reagiert die deutsche Regierung bislang weitgehend gelassen. Zwar tadelte Außenministerin Annalena Baerbock beim Besuch ihres italienischen Amtskollegen den NS-Vergleich der Lega Nord. Doch zu größeren Verwerfungen führten die Attacken von Meloni und ihrer Bündnispartner nicht.

Der Grund: Im Gegensatz zu ihrem Auftreten im Wahlkampf hatte sich die Chefin der Fratelli d’Italia nach der Wahl gegenüber der EU und der Bundesregierung eher als Realpolitikerin präsentiert. Auch bei ihren beiden Besuchen im Bundeskanzleramt zeigte sich Meloni konziliant.  

Doch das hat sich mittlerweile geändert. Denn die italienische Ministerpräsidentin ist innenpolitisch unter Druck. Ihr Amt als erste Frau an der Spitze Italiens trat sie mit dem Versprechen an, die illegale Migration zu bekämpfen. Stattdessen nimmt diese zu.

Auch der von Meloni eingefädelte "Mittelmeer-Pakt“ mit Tunesien, in dem die dortige Regierung der EU versprach, die Zahl der über ihr Transitland kommenden Migranten einzudämmen, hat sich als wirkungslos erwiesen. Mehr noch: Präsident Kais Saied scheint die Vereinbarung platzen lassen zu wollen. Kurz vor dem EU-Treffen auf Granada lehnte er die versprochenen Finanzhilfen der EU mit dem Hinweis ab, sein Land brauche keine "Almosen“.  

"Meloni greift in die Trickkiste des Vorurteils"

Findet Meloni keine Lösung, um die Zahlen zu senken, muss sie um Popularität und Macht fürchten. Für die Lega Nord ist das Thema ideal, um mehr Einfluss in der Regierung zu beanspruchen. 

"Die Kritik an Deutschland ist ein reines Ablenkungsmanöver“, ist Tobias Mörschel, Leiter des Italien-Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung überzeugt: "Meloni ist unter Rechtfertigungsdruck. Man sucht einen außenpolitischen Gegner.“ Meloni greife in die "Trickkiste des Vorurteils und des Ressentiments“, um "Stereotype des deutsch-italienischen Verhältnisses zu instrumentalisieren“. 

Den Streit um die Flüchtlingsboote hält Mörschel dabei für eine Scheindebatte. "Der weit überwiegende Teil der Flüchtlinge in Seenot wurde nicht von Nichtregierungsorganisationen unter deutscher Flagge sondern von der italienischen Küstenwache gerettet.“ 

Auch von der Forderung der italienischen Regierung, Flüchtlinge sollten in dem Land ein Asylverfahren bekommen, unter dessen Flagge sie aus dem Mittelmeer gerettet wurden, hält Mörschel nicht viel: "Diese Forderung verstößt gegen internationales Recht und ist rein politisch motiviert.“ Das sehen auch viele Juristen so. 

Umstrittener Satz wird gestrichen 

Einen kleinen Sieg konnte Meloni dennoch bereits davon tragen. Im Streit um die Asylreform der EU setzte Italien durch, dass in der neuen Krisenverordnung, die Regeln für Zeiten besonders starker Migrationsbewegungen enthält, eine positive Formulierung über die Rolle der Rettungsboote wieder gestrichen wurde. Das ist vor allem für die deutschen Grünen eine Niederlage, die auf diese Formulierung Wert gelegt hatten.

Italien-Experte Mörschel glaubt, dass das Meloni noch nicht reicht. Sie brauche von Scholz ein (zumindest symbolisches) Zugeständnis, dass Deutschland Italien bei der Bekämpfung der illegalen Migration stärker unterstützen will – und auch zu Einschränkungen bei der Finanzierung der Seenotrettung bereit ist. 

Scholz muss Krisenpsychologie betreiben 

Der Bundeskanzler muss in Granada unterdessen noch andere Krisenpsychologie betreiben. So soll das EU-Treffen dazu beitragen, eine weitere Eskalation der Spannung zwischen Serbien und dem Kosovo zu verhindern.

Der Versuch, direkt zwischen Armenien und Aserbeidschan zu vermitteln, scheiterte schon im Vorfeld von Granada: Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew sagte seine Teilnahme am EU-Treffen kurzfristig ab. Er habe andere Termine, teilte sein Sprecher mit.

Fest eingeplant war für den Donnerstagnachmittag dafür das Treffen mit Wolodymyr Selenskyi, dem ukrainischen Präsidenten.