Taurus-Lieferungen "Putin sieht Deutschland offenbar längst im Krieg gegen Russland" – das sagt die Presse zur Abhöraffäre

Kremlchef Wladimir Putin bei seiner Rede zur Lage der Nation in Moskau
Kremlchef Wladimir Putin bei seiner Rede zur Lage der Nation in Moskau
© Sergei Bobylev/Tass / Imago Images
Russland hat einen Mitschnitt veröffentlicht, in dem deutsche Offiziere über eine Taurus-Lieferung an die Ukraine beraten. Deutsche Medien kommentieren, welche Konsequenzen daraus erfolgen sollten.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat die Abhöraffäre bei der Bundeswehr als Teil eines russischen "Informationskrieges" bezeichnet. Russlands Präsident Wladimir Putin versuche, die deutsche Innenpolitik auseinanderzutreiben, sagte Pistorius am Sonntag in Berlin. "Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation – es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben", sagte der SPD-Politiker. "Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen." Deshalb müsse man auf die von Russland veröffentlichte Aufnahme eines Telefonats ranghoher Bundeswehroffiziere besonnen reagieren, "aber nicht weniger entschlossen".

Ob die deutschen Medien das genauso bewerten? Die Pressestimmen.

Augsburger Allgemeine

"Nein, niemand sollte jetzt über Putins Stöckchen springen und den Kanzler vorschnell bezichtigen, die Unwahrheit gesagt zu haben. Sicher, nach der Veröffentlichung einer von den Russen abgehörten und offensichtlich authentischen Unterhaltung mehrerer hochrangiger Bundeswehr-Militärs sieht es so aus, als habe Olaf Scholz die Faktenlage nicht ganz korrekt beschrieben, als er vergangene Woche behauptete, er wolle den Marschflugkörper Taurus deshalb nicht in die Ukraine schicken, weil Soldaten der Bundeswehr zu dessen Bedienung unabdingbar seien. Doch hinter Scholz' Worten können auch ganz andere Erwägungen stecken, etwa die, dass der Kanzler der Zusage der Ukrainer – warum auch immer – schlicht nicht traut, sie würden das gefährliche Gerät nicht auf Ziele in Russland selbst abfeuern. Und daher auf Kontrolle durch deutsche Soldaten besteht."

Badische Zeitung

"Es ist eine peinliche Angelegenheit – und zwar auf mehreren Ebenen. Russland hat offenbar eine Telefonkonferenz zwischen hochrangigen Offizieren der Bundeswehr abgefangen und veröffentlicht. (…) Olaf Scholz (SPD) muss sich Fragen gefallen lassen. Der Kanzler warnt immer wieder davor, Deutschland dürfe nicht zur Kriegspartei werden. Dass er diese rote Linie zieht, ist richtig.  Doch wer sich die Aufnahme anhört,  erkennt schnell: Die militärische Führung hält das, was der Kanzler öffentlich über Taurus sagt, für sachlich falsch. Denn ein Einsatz der Waffe würde laut Scholz  erfordern, dass deutsche Soldaten an der Ziel-Programmierung beteiligt sind. Dem widersprechen die Luftwaffen-Offiziere: Mit einer entsprechenden Ausbildung könnten ukrainische Soldaten die Waffe allein  beherrschen. Scholz hat angekündigt,  die Affäre  zügig aufzuklären. Den ersten Schritt muss er selbst tun: Er muss erklären, was seine wahren Gründe sind, Taurus nicht zu liefern."

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"Vielleicht war das sogar das Ziel der russischen Propaganda-Operation. Das Nato-Bündnis soll gespalten, Top-Offiziere der Bundeswehr geschwächt werden.

Diesen Gefallen sollten wir Putin ganz sicher nicht tun. Es darf auch nicht nur der geringste Anschein erweckt werden, dass der Kreml die Bundeswehr in der Auswahl ihrer Top-Personalien durch Propaganda beeinflussen kann!

Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius haben jetzt die Aufgabe, den Skandal aufzuklären. Wir wollen wissen, WIE die Russen uns ausspionieren, WARUM das möglich war und WAS für Konsequenzen daraus gezogen werden."

Frankfurter Allgemeine Zeitung

"So detailliert die Offiziere auch über die Einsatzmöglichkeiten des Taurus sprachen (vor allem zu Angriffen auf die Kertsch-Brücke), so klar war dabei auch, dass es nur um Handlungsoptionen ging, die der politischen Führung vorgelegt werden sollten. Nach diesem Geheimhaltungs-GAU, der bei den Verbündeten die alten Zweifel an der Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit Deutschlands wiederbelebt, werden Köpfe rollen müssen.

Dass Scholz seinen populärsten Minister entlässt, ist jedoch nicht zu erwarten. Auch nicht, dass der Kanzler seine Entscheidung zum Taurus revidiert. Das hat Moskau mit der Veröffentlichung des Mitschnitts sichergestellt. Der Kreml weiß inzwischen gut, wie der Kanzler tickt. Und auch, wie man den Spieß beziehungsweise Marschflugkörper umdreht, so dass er für den zum Albtraum wird, der ihn nicht einsetzen wollte."

Leipziger Volkszeitung

"Militärische Neuigkeiten allerdings hat die russische Staatsführung, die den Gesprächsausschnitt in einer Mischung aus Triumph und Empörung kommentiert, wohl kaum erfahren. In der Propagandaschlacht, die den Krieg begleitet, ist die Aufnahme für Russland allerdings ein willkommenes Instrument. Bei den eigenen Leuten lässt sich damit die Erzählung vom aggressiven Westen füttern und damit die eigene Aggression zudecken. Russland war es, das die Ukraine überfallen hat. Wenn gleichzeitig in Deutschland nun Verunsicherung geschürt und Glaubwürdigkeit handelnder Akteure untergraben werden kann - dem Kreml gefällt's."

Neue Osnabrücker Zeitung

"Der Kreml-Chef führt längst einen Informationskrieg gegen Deutschland, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius betont. Es führt die Lage ad absurdum, wenn jetzt mehr über Taurus-Forderungen der Opposition gesprochen wird als über den eigentlichen Abhörskandal. Bevor die Bundesregierung über die Lieferung weiterer schwerer Waffen nachdenkt, sollte sie erstmal sicherstellen, dass das russische Regime deutsche Militärs nicht einfach so belauschen kann. Sonst kann Putin seinen Informationskrieg ungehindert fortsetzen – womit der Ukraine kein bisschen geholfen ist."

Rhein-Zeitung

"Schlimmer geht es eigentlich nicht. Der Abhörskandal zeigt zunächst, wie leichtfertig und naiv selbst höchste Bundeswehrkreise in dieser gefährlichen Auseinandersetzung mit Russland weiter agieren. Es ist geradezu ungeheuerlich, dass ein Luftwaffenchef mit seinen Offizieren, einer davon in Singapur, über die Plattform Webex ein sensibles militärisches Gespräch führt. Dieser Skandal muss umgehend aufgeklärt werden. Darüber hinaus sorgt die deutsche Seite einmal mehr für Irritationen in Großbritannien, weil die Bundeswehroffiziere von britischen Soldaten in der Ukraine sprechen. Dadurch bringen sie die britische Ukraine-Politik in Gefahr. Putin sieht Deutschland offenbar längst im Krieg gegen Russland. Die Lage im Ukraine-Krieg wird bedrohlicher, mit Abstrichen gilt das auch für die deutsche Sicherheitslage."

Bundeswehr-Waffensystem: Das kann der Marschflugkörper Taurus (Video)
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Stuttgarter Nachrichten

"Russland ist es gelungen, Deutschland mit der Veröffentlichung eines internes Gespräch deutscher Luftwaffen-Offiziere bloßzustellen. Die russische Propaganda schlachtet das Thema aus, ­zudem ist der deutsche Sicherheitsapparat blamiert. Am Sonntag wurde spekuliert, dass ein russischer Geheimdienstler sich womöglich einfach in das Gespräch eingeklinkt haben könnte, weil er an die Zugangsdaten gelangt sei. Wenn das stimmt, werden Verbündete wie die USA oder Großbritannien wichtige Geheimdienstinformationen noch seltener mit Deutschland teilen. Denn der deutsche Sicherheitsapparat scheint mehr offene ­Türen zu haben als ein Adventskalender an Heiligabend. Verteidigungsminister Boris Pistorius verlangte am Sonntag zu Recht eine vollständige Aufarbeitung des Vorfalls. Auch Scholz hatte zuvor erklärt, die Abhöraffäre solle "sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig" aufgeklärt werden. Den ersten Beitrag dazu muss der Kanzler selbst leisten: Er muss erklären, was seine wahren Beweggründe sind, Taurus nicht an die ­Ukraine zu liefern."

Welt

"Dass russische Dienste ein Gespräch deutscher Offiziere abgehört haben, ist peinlich für die Bundesregierung. Klar ist aber auch: Der schiere Umstand, dass Moskau mithörte, ist für Putin offenbar wertvoller als die abgeschöpften Informationen selbst. Darauf muss der Westen reagieren."

 

Quellen: DPA, "Bild", "FAZ", "Welt".

tkr mit DPA

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