Ganz am Schluss des G-20-Gipfels in Pittsburgh ist dann noch Australiens Premierminister Kevin Rudd auf die beiden zugekommen, hat sie an den Händen gefasst, links Bundeskanzlerin Angela Merkel, rechts den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück, und hat dem Duo viel Erfolg für den Wahlsonntag gewünscht.
Eigentlich geht das so ja nicht. Die beiden sind schließlich Konkurrenten an diesem Tag. Doch auf internationalem Parkett hätte man ganz und gar nichts dagegen, wenn es so weiter gehen würde mit Schwarz und Rot - Seit an Seit. Man hat sich dort an das so ungleiche Paar gewöhnt, das so harmonisch zusammenarbeitet in Zeiten der Weltwirtschaftskrise - und die Kanzlerin hat das auch. Angela Merkel versucht nach knapp zwei Tagen Rettung der Finanz- und Wirtschaftswelt jedenfalls gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, als müsse da partout etwas zu Ende gehen an diesem Sonntag, Punkt 18 Uhr. In Pittsburgh, so schätzt sie, wären bestimmt 80 Prozent der Staats- und Regierungschefs ganz froh, wenn in Berlin alles beim Alten bliebe. Und wie sie das so erzählt, hoch über dem Atlantik, kurz vor der Öffnung der Wahllokale, und wie sie dabei ihren in diesem Moment sehr zufrieden nickenden Finanzminister anlächelt, da sieht es so ganz und gar nicht danach aus, als wäre es für sie ein Drama, wenn sie ein schwarz-gelbes Bündnis mit der FDP des Guido Westerwelle ein weiteres Mal verfehlen würde.
Es wird knapp
Auf 33 Prozent ist die Union in der aktuellsten Forsa-Umfrage für den stern abgesackt, zwei Punkte sogar noch unter dem miserablen Wert von 2005. Eigentlich ein Katastrophenwert. Es wird knapp. Die FDP liegt bei 14, das Rot-Rot-Grüne Lager bei 47. Ein Patt zeicnet sich ab. Schwarz-Gelb hätte mit diesen Werten keine Mehheit mehr. In der CDU wird der Teufel los sein, wenn sich das am Sonntag bestätigen sollte. Es sähe nach Merkeldämmerung aus. Dem Anfang vom Ende einer Geschäftsbeziehung zwischen ihr und einer Partei, der sie immer irgendwie fremd geblieben ist. Man wird ihr ihren präsidialen Wahlkampfstil ankreiden, die mangende Profilschärfe, das zu geringe Quantum an "CDU-pur".
Sie müsste nun nervös sein - doch die Anspanung scheint im Gegenteil gerade von ihr abgefallen zu sein. Eben, in Pittsburgh, da war sie noch Teil einer neuen Art von Weltregierung. War Staatenlenkerin unter all den Staatenlenkern. Zu wichtig das alles für parteipolitisches Klein-Klein. Undenkbar für sie, auf eine Gipfelteilnahme zu verzichten, weil sie damit daheim für gut 48 Stunden nicht in der heißen Wahlkampfphase hat mittun können. Mag sein, dass schon am Sonntag die Vorwürfe aus den eigenen Reihen kommen werden, dass sie nicht präsent genug gewesen sei auf den letzten Metern - doch was wäre das für ein Bild, fragt sie, wenn sie den Wahlkampf wichtiger genommen hätte, als eine internationale Konferenz?
Aus ihrer Rolle will sie auch nicht
Sie kann nicht aus ihrer Rolle, sie will auch nicht. Staatspolitisch, sagt sie, wäre ein Ende der Großen Koalition "natürlich wünschenswert". Doch darüber hinaus scheinen ihr die Argumente auszugehen. Sie hat ein sich an merkwürdigen Kriterien orientierendes Wahlvolk erlebt in den vergangenen Wochen. Eine Wählerin hat ihr versprochen, sie mit der Erststimme zu wählen, wenn sie ein Bündnis mit den Grünen nicht kategorisch ausschließen würde. Doch das Versprechen konnte sie nicht geben. Eine andere kündigte an, ihre Stimmen splitten zu wollen. Erststimme Merkel, Zweitstimme für die Linke. "Ich will, dass Sie Kanzlerin bleiben, aber ich will auch eine starke Opposition", habe die Frau ihre ungewöhnliche Wahlabsicht begründet.
Die Lager brechen auf. Nicht allzu viel ist mehr so, wie es früher war. Angela Merkel hat die Versatzstücke schon im Kopf, wenn es am Sonntag darum gehen wird, ein mageres Ergebnis für die Union zu begründen. Sie wird ihr persönliches Ziel dennoch erreichen: Sie wird ein zweites Mal Kanzlerin werden. Politik, das hat sie gemerkt, kann bisweilen paradox sein. "Je weiter wir von Deutschland weg sind, desto anerkannter ist die Arbeit der großen Koalition." Die Worte stamen von Peer Steinbrück. Nur noch wenige Stunden sind es bis zur Öffnung der Wahllokale in diesem Moment. Angela Merkel nickt.